In Wien gibt es Gebiete, deren Entwicklung – aufgrund ihrer Größe, Struktur oder Entwicklungsdauer – besonders komplex sind. Um diese Komplexität besser steuern zu können, werden Zielgebietsmanagerinnen und -managaer eingesetzt. Diese sind für die Koordination der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure innerhalb und außerhalb der Stadt zuständig. Renate Kinzl ist Managerin für eines dieser Zielgebiete, das Stadtquartier Muthgasse.

Das Stadtquartier Muthgasse es ist eines der größten Stadtentwicklungsgebiete im Nordwesten Wiens. Es liegt im Nahbereich des Wiener Waldes, der Weingärten und der Donauinsel. Hier soll ein urbanes, belebtes und gemischt genutztes Stadtquartier mit attraktiven Freiräumen entstehen. In zehn bis 15 Jahren werden hier rund 5.000 Menschen leben und 10.000 arbeiten. Um die Transformation dieses ehemals reinen Betriebsbauareals zu steuern, wurde 2014 ein städtebaulicher Rahmenplan erarbeitet und von der Stadtentwicklungskommission beschlossen.

Straßenfreiraum mit Baumreihe in der Muthgasse.
Foto: jauschneg

Transformation von Bestehendem

Arbeiten und Wohnen im Quartier zu mischen, ist für eine nachhaltige Entwicklung im Sinne einer "Stadt der kurzen Wege" besonders wichtig. Wenn die Wege zwischen Wohn- und Arbeitsplatz kurz sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese zu Fuß oder mit dem Rad und nicht motorisiert zurückgelegt werden. Die Verringerung des motorisierten Verkehrs steigert die Lebensqualität im Quartier. Darüber hinaus sorgen hier arbeitende Menschen tagsüber für Belebung, hier wohnende Menschen am Abend und an den Wochenenden. Es erzeugt also einen Mehrwert für einen Stadtteil, wenn die unterschiedlichen Bereiche gut miteinander kombiniert sind.

Eine Transformation eines bestehenden Stadtteils zu begleiten ist anders, als einen Stadtteil von der grünen Wiese weg neu zu entwickeln: Bei der Transformation geht es einerseits darum bestehende Qualitäten hervorzustreichen und für alle stärker sichtbar zu machen: Die unmittelbare Nähe des Quartiers zum Wiener Wald stellt dabei eine besondere Qualität des Stadtquartiers Muthgasse dar. Die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner werden direkt von der Haustür weg über alte Heurigendörfer und Weingärten in den Wiener Wald wandern können. Andererseits sollen bestehende Defizite ausgeglichen sowie gemeinsam mit den dort ansässigen Betrieben und Bewohnerinnen und Bewohnern eine neue Identität für den Stadtteil gefunden werden. Genau dieses Einlassen auf das Bestehende und das dabei zentrale Zusammenwirken unterschiedlichster Personen und Interessen ist eine Herausforderung, die Renate Kinzl als besonders reizvoll empfindet.

Industriestraße im Stadtquartier Muthgasse.
Foto: king
Betriebsgleis am Bahndamm.

Mut und Vertrauen für Visionen

In einem Gebiet, das derzeit von einer Mischung aus neu errichteten Bürogebäuden, lebendigen Gewerbebetrieben, Brachen und leerstehenden Objekten, sowie von breiten Asphaltbändern und Durchzugsverkehr geprägt ist, braucht es Mut und das Vertrauen aller Beteiligten in die Vision eines attraktiven, gemischten Stadtteils. Kinzl bringt die Erfahrung mit, dass durch gute Planung auch bei scheinbar widersprüchlich und unlösbar scheinenden Aufgaben gute Qualität entstehen kann.

Die in Wien und Paris ausgebildete Architektin und Stadtplanerin, arbeitet in der Magistratsabteilung für Stadtteilplanung und Flächenwidmung der Stadt Wien. Sie beschäftigt sich dort mit den räumlichen und sozialen Strukturen der Stadt und entwickelt Planungskonzepte. Diese bilden eine der Grundlagen für Flächenwidmungs- und Bebauungspläne, die dann dem Gemeinderat als politischem Entscheidungsträger zum Beschluss vorgelegt werden. Diese Pläne sind das einzige rechtlich bindende Planungsinstrument auf städtischer Ebene.

Innovative Ziele mit Ausdauer verfolgen

Wesentliche "Motoren" für ihre Arbeit sind allgemein die eigene Neugier und Faszination am Thema Stadt, das grundsätzlich positive Klima und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf den verschiedensten Ebenen sowie die große Bandbreite an Menschen und Institutionen, mit denen sie zu tun hat. Herausfordernd und spannend ist es, trotz unterschiedlichster Denkwelten und Interessen tragfähige Lösungen zu finden. Stadtplanung kann viel zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel beitragen. Da das Thema nun auch in die gesellschaftliche Mitte gerückt ist und mehr Bewusstsein dafür da ist, werden die Hebel dabei größer: Beispielsweise bei der Aufteilung des öffentlichen Raums, wo die häufige notwendige Priorisierung "Baum oder Parkplatz?" heute in der öffentlichen Diskussion oft – anders als noch vor wenigen Jahren – zugunsten des Baums ausfällt. Wichtig findet Kinzl es dabei offen zu bleiben für Ideen und Lösungen, die man selbst vielleicht nicht im Auge gehabt hat. Gute Planung heißt für sie, Bewohnerinnen und Bewohner, Betriebe und Projektentwickelnde aktiv einzubeziehen, die vielschichtige Ausgangslage zu verstehen, gemeinsam vorauszudenken und dabei das "große Ganze" im Blick zu haben wie auch auf die Qualität im Kleinen zu achten.

Studierendenwohnhaus an der Ecke Mosslackengasse.
Foto: king
Blick vom Stadtquartier Muthgasse nach Süden.
Foto: king

"Gemeinnützige Genossenschaften als Chance"

Für die Zukunft Wiens stellt sie sich Innovationen vor, die auf bewährten Wiener Traditionen aufbauen und diese weiterentwickeln. Als Beispiel bringt sie die Idee gemeinnütziger Genossenschaften: Beim Wohnen zeigen die vielen Akteurinnen und Akteure des gemeinnützigen Wohnbaus seit Jahrzehnten vor, dass sich Qualität und nachhaltiges Wirtschaften verbinden lassen und welche Chancen in einem grundsätzlich nicht gewinnorientiertem System liegen können. Im Spannungsfeld "Wohnen als Grundbedürfnis" und "Wohnen als Markt" ist der gemeinnützige Wohnbau dabei ein wichtiges Regulativ, das sich preisdämpfend und qualitätssteigernd am Wiener Wohnungsmarkt auswirkt.

Kinzl findet es einerseits wichtig, die Bedeutung der dahinterliegenden genossenschaftlichen, beziehungsweise gemeinnützigen Prinzipien zu erkennen und andererseits diese Prinzipien – als wichtigen dritten Weg neben marktwirtschaftlichen und staatlichen Ansätzen – weiterzutragen. Sie erkennt darin eine Chance für andere aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wie die Klimakrise. Denn durch die Klimakrise sind wir alle aufgefordert viele unserer bisherigen Gewohnheiten – zu überdenken. Baugruppen, Vermögenspools, Community Supported Agriculture (CSA) sind Beispiele für solche alternativen Ansätze. Fürs Gelingen ist aus ihrer Sicht die breite Partizipation der Menschen, die in Wien leben, arbeiten, Unternehmen führen, forschen – kurz gesagt zur Lebendigkeit der Stadt beitragen, wesentlich. (Martina Jauschneg, 28.7.2020)

Renate Kinzl ist Mitarbeiterin der MA 21 A, Zielgebietsmanagerin für das Stadtentwicklungsgebiet Muthgasse.

"Mensch – Architektur -Stadt – um diese drei Bereiche kreist mein Interesse und Wirken seit 25 Jahren", sagt Kinzl.
Foto: privat