Die Idee klingt so verrückt, dass sie aus einem Science-Fiction-Roman entspringen muss. Tatsächlich ist es so: Isaac Asimov beschrieb in "Reason" bereits 1941 die Energiegewinnung im Weltraum. Präziser gesagt, fantasierte er von der Nutzung der Sonnenenergie, dort wo die Sonne nie untergeht und weder Wolken noch die Atmosphäre im Weg sind. Bis zu 60 Prozent der Energie gehen dadurch bisher regelmäßig verloren. Zahlreiche Physiker und Ingenieure theoretisierten seither immer wieder über die Umsetzbarkeit weltallgestützter Solarenergie. Die Vorschläge sind zahl- und variantenreich – von Wärmekraftwerken auf dem Mond über Schwärme aus Solarpaneelen, die die Sonne direkt umkreisen. Und dennoch schien es immer wie ein futuristischer Traum.

Doch schön langsam könnte die Träumerei Wirklichkeit werden. "Wir könnten bereits jetzt so ein System entwickeln, das in fünf bis zehn Jahren einsatzbereit ist", schätzt Florian Neukart, Energieexperte und Direktor von Volkswagen Advanced Technologies, im STANDARD-Gespräch. Die Entwickler stünden "vor gewaltigen, aber keinen unlösbaren Aufgaben", so Neukart.

Die Form und Art, wie die Solarpaneele angeordnet werden, variiert je nach Entwurf. Spiegel und Trichterform sind jedoch beliebt.
Illustration: Eva Schuster

Woran scheitert die Umsetzung? Neben bestehenden technischen Herausforderungen wie etwa den gewaltigen Temperaturunterschieden von mehreren Hundert Grad binnen weniger Millimeter zwischen der Vorder- und der Rückseite der Paneele ist die Antwort recht einfach: Es fehlt an Geld, sehr viel Geld, aber auch an politischem Willen – denn hochgerechnet und inflationsbereinigt haben die ersten Mondmissionen der 1960er- und 1970er-Jahre teils deutlich mehr Geld verschlungen, als es manche Modelle für die neuen Energieträger im All voraussagen. Der Kalte Krieg rechtfertigte damals jedoch ganz andere Ausgaben – solche, die Staatsoberhäupter aktuell (noch) nicht auszugeben bereit sind.

Runter mit den Kosten

Umso begeisterter blicken die Forscher deshalb auf die Fortschritte in der privaten Raumfahrt, wie sie etwa mit Space X des umstrittenen Gründers Elon Musk vorangetrieben wird. Nicht weil sie zwangsläufig das Rad neu erfinden – die notwendige Technologie könnte auch mit den alten Raketen in den geostationären Orbit (GEO) gebracht werden. Sondern weil die wiederverwendbaren Raketen und die Fortschritte in der Materialtechnik die Raumfahrt beinahe monatlich extrem viel günstiger machen.

"Wir könnten jetzt ein System entwickeln, das in fünf bis zehn Jahren einsatzbereit ist." – Florian Neukart

In einem Best-Case-Szenario könne man laut Neukart eine sehr leichte Variante eines Vier-Gigawatt-Solarkraftwerks im All installieren. Durch Spiegel würden Sonnenstrahlen in einer trichterförmigen Anordnung von Solarpaneelen konzentriert und aufgenommen werden. Die dafür notwendigen – 4.000 Tonnen schweren – Materialien könnte man mit rund 40 bis 50 Raketenstarts relativ einfach in die erdnahe Umlaufbahn bringen. Mitsamt dem späteren Weitertransport durch Ionenmotoren in den GEO würden sich die Kosten auf circa elf Milliarden US-Dollar beschränken. Pro Gigawatt läge man damit schon deutlich unter den Kosten für ein neues Atom- oder Kohlekraftwerk, rechnet Neukart vor.

Das erscheint machbar. Klar ist aber auch, dass sich das Milliardeninvestment im All nicht nur wirtschaftlich, sondern auch umweltpolitisch rechnen müsste.

Neukart und zahlreiche andere Wissenschafter überlegen aber, gleich noch einen Schritt weiterzugehen. Sie sind überzeugt, dass sich die meisten Materialien und Teile für die Sonnenkollektoren direkt auf dem Mond oder gar auf einem Asteroiden gewinnen und zusammensetzen lassen. Aufgrund der viel geringeren Anziehungskraft würden dadurch nicht nur die Startkosten, sondern auch die Emissionen langfristig deutlich reduziert werden.

Senden und Empfangen

Heikel bleibt freilich die Frage, wie die gewonnene Energie wieder die Erde erreichen soll? Tatsächlich wurden auch fixe Kabel in Betracht gezogen. Mit den aktuellen Materialien scheint dieser Weg aber ausgeschlossen. Deshalb hat sich in Wissenschafterkreisen mittlerweile die Idee der drahtlosen Übersendung durchgesetzt.

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Die von den Kollektoren aufgenommene Energie der Sonne wird mithilfe von Photovoltaikanlagen in elektrische Energie umgewandelt. Anschließend wird sie per Mikrowellenstrahlen zur Erde gesendet und dort von einem einige Quadratkilometer großen Feld aus Kollektoren aufgefangen und wieder in elektrische Energie zurückverwandelt. Andere Ansätze nehmen Laser ins Visier, die weit weniger streuen würden, theoretisch aber gefährlicher wären als Radiowellen.

Der drahtlose Energietransfer, der auf Ideen Nikola Teslas beruht, ist vielversprechend. Er wurde in kleinem Rahmen schon auf der Erde erfolgreich getestet. 2008 "verschickten" US-Wissenschafter 20 Watt Solarstrom per Mikrowellen über 148 Kilometer von Maui nach Hawaii. 2015 übertrugen japanische Wissenschafter zehn Kilowatt über eine Distanz von 500 Metern. Bei der Übertragung aus dem Weltall wären die Dimensionen freilich viel größer – technisch möglich und zugleich für den Menschen ungefährlich ist es aber, sind führende Wissenschafter überzeugt.

Kein Speicherproblem

Diese ersten praktischen Erfolge werden in den kommenden Monaten und Jahren vermehrt erzielt werden und das breite, theoretische Fundament zusätzlich untermauern. So kreist aktuell etwa ein Solarpaneel an Bord des X-37B, eines unbemannten Raumgleiters der US Air Force, in der erdnahen Umlaufbahn. Neben allerlei geheimen Experimenten wird an Bord auch erstmals die Funktion jener Solarkollektoren im Weltall getestet, die für eine Solarfarm im All infrage kämen.

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Die X-37B kurz vor ihrem Start.
Foto: U.S. Air Force via AP

Das aktuelle Experiment passt in einen Pizzakarton und wird nicht einmal genug Elektrizität liefern, um eine Glühbirne zum Leuchten zu bringen. Auch die Energieübertragung zur Erde kann nicht getestet werden, weil dadurch andere Experimente an Bord verfälscht werden könnten. Dennoch spricht der Projektleiter Paul Jaffe – ganz im Astronautenjargon – von einem "gewaltigen Schritt nach vorn". Ian Cash, seines Zeichens Direktor der International Electric Company, sagte zu "Wired" zudem kürzlich, dass weltallbasierte Solarenergie schon bald die günstigste saubere Energiequelle werden könne – auch weil sie das Speicherproblem durch die permanente Zufuhr eliminiere.

Ewige Drohne

Ganz allgemein ist die weltallgestützte Solarenergie global in einer Art Aufbruchstimmung. Kurz nach der chinesischen Ankündigung vom vergangenen Jahr, noch im Jahr 2035 die erste Weltall-Solarnation sein zu wollen, wurden auf der anderen Seite des Pazifiks die Bemühungen intensiviert. 100 Millionen US-Dollar wurden kurzerhand lockergemacht und sollen in die Entwicklung der nötigen Hardware für die USA fließen. Auch Japan und Indien forschen fleißig, mit Abstrichen auch einige EU-Staaten.

In diesem Video werden einige Aspekte der weltraumbasierten Solargewinnung ebenfalls gut erklärt.
Primal Space

Wenngleich umweltpolitische Ambitionen gemeinsam mit der lukrativen Aussicht schier unbegrenzter Energie einen riesigen Teil der Motivation ausmachen, darf auch der militärische Aspekt dahinter nicht vernachlässigt werden. Die großen Militärs der Welt träumen bereits heute davon, dass unbemannte Drohnen durch die permanente Energiezufuhr per Laserstrahl aus dem All quasi jahrelang unerkannt über feindlichem Gebiet kreisen könnten – sei es für Spionagetätigkeiten oder den potenziellen Beschuss mit vollautonomen Lenkwaffen.

Weit weniger gefährlich und dystopisch klingt dabei die Idee, auch kommerzielle elektrische Flugzeuge ab einer bestimmten Reiseflughöhe so durchgehend mit Energie zu versorgen. Die schweren Akkus könnten dadurch weit kleiner ausfallen, weil man sie nur noch für Start und Landung bräuchte.

Allen Kritikern und Skeptikern zum Trotz schreitet die Forschung indes voran. Und der futuristische Traum nimmt langsam Form an. (Fabian Sommavilla, 4.8.2020)