Martin B. wurde am 4. Juli in Gerasdorf erschossen.

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Etwas mehr als drei Minuten ist das Video lang, in dem sich Angehörige von Martin B., auch bekannt als Mamichan U. oder Ansor aus Wien, an Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow wenden. Martin B. hatte den Tschetschenenführer vor seinem Tod scharf kritisiert und in Videobotschaften beleidigt. Folglich war nach dem Mord Kadyrow als möglicher Hintermann der Tat in Verdacht geraten.

Doch die Angehörigen nehmen die Schuld auf sich und bitten Kadyrow nur um Verzeihung für die Beleidigungen, die der in Österreich lebende Mamichan zuvor ausgesprochen hatte. "Aus unserer Sippe stammt der Hund Mamichan, der in Europa lebte. Bis wir die Sache mit ihm nicht gelöst haben, konnten wir uns nicht zeigen", erklären die Verfasser des Bekennervideos.

"Wir haben ihn nun gestoppt"

Angeblich hätten sie versucht, den Blogger zur Einstellung seiner Kritik zu bewegen, doch er habe nur geantwortet, dass "die Geheimdienste Europas ihn nicht in Ruhe lassen und er auf ihre Anweisung" den Tschetschenenführer schmähe. "Wir haben ihn nun gestoppt, weil wir es tun mussten", sagen sie.

Die in Österreich als Tatverdächtige Inhaftierten bezeichnen die Urheber des Videos als unschuldig und fordern deren Freilassung. Zur Erinnerung: Die österreichische Polizei hatte den mutmaßlichen Todesschützen kurz nach der Tat und einer Verfolgungsjagd in Linz gestellt, ein weiterer Verdächtiger, der zunächst als Zeuge galt, hatte sich im Laufe der Befragung in Widersprüche verwickelt und wurde ebenfalls festgenommen. Beide Männer stammen wie das Opfer aus Tschetschenien.

Zwei Onkel des Opfers

Das jetzige Bekennervideo wurde über die sozialen Netzwerke verbreitet. Die Gruppe von Männern, die darauf zu sehen sind, stammt aus der Ortschaft Mesker-Jurt, dem Heimatdorf Mamichans. Als nächste Verwandte äußern sich zwei Onkel des Ermordeten in dem Video.

Die in Österreich lebenden Angehörigen Mamichans stützen die These der Unschuld Kadyrows allerdings nicht. Sowohl seine Witwe als auch seine Schwester beschuldigten den Tschetschenenführer, die Tat in Auftrag gegeben zu haben. Klar ist, dass in Europa bereits eine Reihe von Kadyrow-Kritikern Anschlägen zum Opfer gefallen ist, zuletzt Anfang des Jahres in Frankreich.

Mehrere Auftragsmorde

In Österreich wurde 2006 der ehemalige Leibwächter Kadyrows, Umar Israilow, ermordet. Israilow hatte vor Gericht als Zeuge über Folter und Auftragsmorde Kadyrows aussagen wollen, bevor er in Wien auf offener Straße von einem Tschetschenen erschossen wurde. Der Mord weist viele Parallelen zur Bluttat Anfang Juli auf.

Auch Entschuldigungen gegenüber Kadyrow für angebliche Vergehen sind keine Seltenheit in Tschetschenien, wo der 43-Jährige uneingeschränkte Macht besitzt. Zuletzt hatten sich Ärzte und Krankenschwestern, die sich zuvor in der Corona-Krise über fehlende Schutzausrüstungen beklagt hatten, anschließend im staatlichen Regionalsender für die Verbreitung von Falschinformationen entschuldigt. Kadyrow gab sich nur bedingt besänftigt und forderte die Entlassung der "Provokateure".

Das US-Verteidigungsministerium hat den Tschetschenenführer wegen der Menschenrechtsverletzungen in der Kaukasusrepublik auf die schwarze Liste gesetzt. Unter anderem verhängte das Pentagon gegen ihn, seine offizielle Ehefrau und mehrere Töchter ein Einreiseverbot. Kadyrow, in seiner Waffenkammer mit zwei Kalaschnikows posierend, erklärte daraufhin, dass er den Kampf annehme. (André Ballin aus Moskau, 23.7.2020)