Eine Aussage von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gegenüber Puls-24-Moderatorin Alexandra Wachter im Rahmen eines Interviews ist vom Sender herausgeschnitten worden.

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Wien – Eine flapsige Aussage von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gegenüber einer Puls-24-Moderatorin im Rahmen eines Interviews ist vom Sender herausgeschnitten worden. Das Gespräch, das am Dienstag aufgezeichnet und anschließend ausgestrahlt wurde, ging unter anderem ohne Kurz' Äußerung "Aber Sie haben ja ein eigenes Hirn" auf Sendung. Mittlerweile ist online das vollständige Interview abrufbar. Reporter ohne Grenzen kritisiert den "untragbaren Eingriff", so die Pressefreiheitsorganisation.

Die entfernte Passage.

In dem Fernsehinterview konfrontierte Moderatorin Alexandra Wachter den Kanzler unter anderem mit Kritik an seiner Rhetorik in Bezug auf die EU und an seinem Verhandlungsstil am EU-Gipfel. "Die Frage ist: Warum wird über Sie so negativ gesprochen?", sagt die Moderatorin. "Anscheinend weil wir gut verhandelt haben", antwortet der Kanzler. " Aber wenn Sie sagen, es stört Sie die Rhetorik oder ..." – "Mich stört gar nichts, ich habe nur zitiert." – "Aber Sie haben gerade gesagt, meine Rhetorik sei problematisch", so Kurz. – "So steht es in der 'Zeit', das war, was ich zitiert habe. – "Aber Sie haben ja ein eigenes Hirn. Sie müssen ja nicht –", sagt der Kanzler daraufhin. Den Satz vollendet er nicht, da ihn die Moderatorin unterbricht.

Interventionen aus dem Bundeskanzleramt

Die Aufzeichnung, die Medien vorab zwecks Zitierung in voller Länge geschickt wurde, ging allerdings am Dienstagabend ohne diesen Teil (etwa bei Minute 4) auf Sendung. Laut APA-Informationen soll es Interventionen aus dem Bundeskanzleramt gegeben haben. Für die TV-Ausstrahlung wurde die Passage dann entfernt. Teile der Puls-24-Redaktion sollen darüber alles andere als glücklich gewesen sein. Auch online war zunächst nur die gekürzte Version zu sehen, am Donnerstag wurde das Interview in voller Länge auf die Homepage des News-Senders gestellt.

Auch eine weitere kurze Passage – etwa bei Minute 8 des ungeschnittenen Interviews –, in der Kurz von einem Bruttobetrag, Wachter aber von einem Nettobetrag spricht, ging nicht auf Sendung. "Das Interview musste aufgrund einer missverständlichen Darstellung von Brutto- und Nettozahlen gekürzt werden. Um den Zusammenhang aufrechtzuerhalten, mussten auch andere Teile wegfallen", hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme von Puls 24 gegenüber der APA. Bei Puls 24 wurde außerdem darauf verwiesen, dass es sich um einen ganz normalen redaktionellen Zusammenschnitt handle, wie es etwa bei "ZiB 2"-Interviews auch vorkomme.

Update: Dem widerspricht wiederum "ZiB 2"-Moderator Armin Wolf auf Twitter. "Bei aller Freundschaft, aber in der ZiB2 würde das nicht vorkommen. Weder auf Wunsch eines Gastes, noch redaktionell. Bitte nicht uns in dieser Geschichte instrumentalisieren". In der Sache selbst zeigte er sich mit Berufskollegin Wachter solidarisch.

"Mehr ein Hickhack"

Ein Sprecher des Bundeskanzleramts nahm gegenüber der APA schriftlich folgendermaßen Stellung: "Ich habe die Redaktion darauf hingewiesen, dass im Interview eine falsche Zahl in den Raum geworfen wurde, ohne die Möglichkeit zu bekommen, das aufzuklären. Das Interview war aus meiner Sicht mehr ein Hickhack als ein Gespräch mit konsistenten Fragen und Antworten. Es obliegt allein der Redaktion, welche Teile eines Interviews und in welcher Länge gesendet werden."

Von einer Intervention könne keine Rede sein, hieß es im Bundeskanzleramt. Auch Puls 24 bestritt kolportierte Interventionsversuche.

Update: Kritik aus Opposition

SPÖ, NEOS und "Reporter ohne Grenzen" übten hingegen scharfe Kritik sowohl an der flapsigen Aussage als auch an der Tatsache, dass diese nach angeblicher Intervention des Kanzleramtes aus dem Interview herausgeschnitten wurde.

Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ist dieser "geringschätzige und frauenfeindliche Umgangston" gegenüber der jungen Journalistin "vollkommen inakzeptabel". Offenbar könne Kurz mit kritischen Fragen nicht umgehen. Dermaßen "patziges und untergriffiges" sowie "respektloses" Verhalten sei des Amts des Kanzlers nicht würdig, stellte NEOS-Generalsekretär Nick Donig fest.

Dass der – von Kanzleramt und Sender zurückgewiesene – Verdacht einer Intervention im Raum steht, lässt bei Deutsch "die Alarmglocken schrillen". Er warnte vor einem "Abdriften Österreichs in Richtung illiberaler Demokratie nach ungarischer Prägung".

Die Grüne Frauensprecherin Meri Disoski fordert von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eine Entschuldigung. "Der Bundeskanzler unterstellt einer Journalistin also sinngemäß, sie habe kein Hirn, weil sie aus der 'Zeit' zitiert. Das ist völlig inakzeptabel, respektlos und verlangt nach einer Entschuldigung", sagte Diskoski auf Twitter.

Update 24. Juli 2020: Reporter ohne Grenzen kritisiert "Intervention"

"Solche Eingriffe in die unabhängige Arbeit von Redaktionen sind nicht tragbar", kritisiert Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich.

Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich zeigt sich "angesichts dieser Intervention" sehr besorgt: "Die Entscheidung darüber, welche Passagen eines Interviews veröffentlicht werden, muss immer allein bei der Redaktion liegen. Versuche aus der Politik, das zu beeinflussen, verurteilen wir auf das Schärfste", erklärt Möhring zu dem Vorfall: "Medien sind nicht Transportvehikel der Politik, sondern müssen unabhängig agieren. Das ist nicht nur Teil der Pressefreiheit von Journalistinnen und Journalisten, sondern auch ein Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger auf freien Informationszugang. Wir fordern von der Regierung ein Bekenntnis zur Medien- und Informationsfreiheit. Dies im Sinne unserer Verfassung und unseres Rechtsstaates." (APA, red, 23.7.2020)