Die Felsenreitschule im Kleinformat und mit jenem Vorhang, den Intendant Gerard Mortier abnehmen ließ – ein Traditionsbruch.

APA/Barbara Gindl

Eines bleibt in Salzburg immer gleich – ohne Regenschirm geht es nicht. Vieles aber ist in diesem Jahr dennoch anders. Pandemiebedingt entfällt eine Eröffnungsfeier, das Programm existiert in entschieden reduzierter Form, und der Ablauf der Vorstellungen unterliegt den nun üblichen Sicherheitsmaßnahmen. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr wurde der Schwung eingebremst, mit dem die Salzburger Festspiele ihre Grundgedanken als europäisches Friedensprojekt und ihre Geschichte zu reflektieren gedachten.

100 Jahre sind in Festivallebensjahren nämlich kein Klacks. Viele Fragen an das Festival, so viel kann man jetzt schon sagen, wird die diesjährige Landesausstellung einlösen, die sich im Salzburg-Museum in der Neuen Residenz dem "Großen Welttheater" widmet. Sie ist ab Sonntag für Publikum zugänglich.

Ohne den modernen Begriff der Immersion zu bemühen, versetzt die von Margarethe Lasinger und Martin Hochleitner kuratierte Schau das Publikum in die Rolle von Mitspielern. Es ist keine Mitmachausstellung, und doch steht die Idee inszenierter Räume im Zentrum.

Dialogisch

Keine Sorge also: Hier wird nicht die "objektive" Geschichte der Festspiele auf Schautafeln feilgeboten. Das Salzburg-Museum entschied sich für eine spannende Mischform aus historisch-kritischer und künstlerischer Auseinandersetzung, das heißt, es sind Künstler und Institutionen, die ihre Perspektiven im Dialog mit den Festspielen einbringen.

Das klingt theoretischer, als es ist: Zum Beispiel hat die Künstlerin Eva Schlegel in Zusammenarbeit mit dem Salzburger Literaturarchiv eine Installation mit Texten von Hofmannsthal, Bernhard, Jelinek und Handke eingerichtet. Interessant ist dabei, wie sie das Ephemere, also das Vergehen, das der gesprochenen Sprache anhaftet, visuell übersetzt.

Das große Welttheater lädt zum Verweilen ein, es überredet den Besucher via Spielangebote, sich mit dem hier Arrangierten auseinanderzusetzen. Ein solches Tool ist Peter Androschs Polyphon, ein großer Kasten mit vielen kleinen Schubladen, aus denen, einmal herausgezogen, auditive Zeugnisse der Festspielgeschichte tönen, vom "Jedermann"-Ruf über Thomas-Bernhard-Bonmots bis zum trötenden Signalhorn, wenn sich der eiserne Vorhang senkt.

Idylle und Horror

Einige Räume weiter dient ein Spiegelkabinett als Datenhotspot, hier erfährt man auf mutierenden Bildschirmen alles über Festspielzahlen. Unter anderem auch, wer die am öftesten aufgetretenen "Topkünstler" in Salzburg waren (angeführt werden sie von Herbert von Karajan).

Bemerkenswert ist auch ein Raum, der mit der idyllischen Bergkulisse des Untersberg lockt, dann aber, auf der Rückseite, den blanken Nazi-Horror offenbart – kein schlechter Effekt (konzipiert mit dem Jüdischen Museum Wien). Beim Thema Trachten schlägt man in dieselbe Kerbe: Einerseits wird die Tracht in Salzburg zelebriert (manche Künstler verlangen anstelle einer Gage eine Hirschlederhose), andererseits steht sie für Ab- und Ausgrenzung (das Tragen von Trachten wurde Juden 1938 untersagt).

Alchemistische Neuschöpfung

Eine geradezu alchemistische Neuschöpfung von Jedermann und Buhlschaft hat sich Aktionskünstler John Bock vorgenommen. Ausgehend vom Begriff der "Requisite" dekonstruiert er die Figuren in ihre dekorativen Einzelteile und setzt sie mit eigenen Objekten neu zusammen. Andernorts ist man auf einem großen Hörsofa den Konzerten der Wiener Philharmoniker auf der Spur.

Ganz zum Schluss kommen Vitrinenaficionados doch noch auf ihre Rechnung. Im langgezogenen Raum der Max-Gandolph-Bibliothek sind einhundert Objekte aus dem reichhaltigen Archiv der Festspiele arrangiert, vom verwunderlich kleinen Jedermann-Regiebuch Max Reinhardts bis zum Bärenkostüm aus der Oper The Exterminating Angel von Thomas Ades 2016, dazu diverse Printdokumente wie Zeitungsausschnitte, Fotos, Verordnungen. Immer wieder dazwischen: Desinfektionsflaschen. Man kann gut nachvollziehen, dass es Wünsche nach einem eigenen Festspielmuseum gibt. (Margarete Affenzeller, 24.7.2020)