"Wenn wir zusammenstehen, hat auch der Extremismus keinen Nährboden", sagt die grüne Abgeordnete Faika El-Nagashi.

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Mitten in der Debatte zwischen Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) und der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) wegen der geplanten Dokumentationsstelle Politischer Islam richtet Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) gleich noch einen weiteren Appell an die etwa 600.000 bis 700.000 Muslime in Österreich (Schätzung Vienna Institute of Demography/IGGÖ). Konkret fordert Sobotka von allen muslimischen Organisationen ein, sich zu Verfassung und Rechtsstaat und zur Trennung von Staat und Religion zu bekennen, was der politische Islam laut ihm offenbar nicht akzeptiere.

Beim Koalitionspartner sorgt der Vorstoß für Verärgerung. Die grüne Integrationssprecherin Faika El-Nagashi empfindet diesen gegenüber dem STANDARD als "absolut inakzeptabel". Damit stelle Sobotka, den sie ansonsten eher als besonnenen Menschen wahrnimmt, alle Musliminnen und Muslime unter Generalverdacht und unterstelle allen ein problematisches Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaat.

In der Koalition hätte man sich darauf verständigt, Rechtsextremismus und religiös motivierten Extremismus zu bekämpfen, aber nicht darauf, "eine Religionsgemeinschaft zu verunglimpfen, zu stigmatisieren und die Gesellschaft zu spalten". Für El-Nagashi steht dieser Vorstoß ganz im Zeichen des Wien-Wahlkampfs im Herbst. "Ich muss das wahltaktisch und als monothematische Ausrichtung der ÖVP verstehen", sagt die Abgeordnete. Es sei an der Zeit, auch die positiven Aspekte hervorzustreichen und aufzuzeigen, welchen Beitrag Musliminnen und Muslime für die Zusammengehörigkeit leisten. "Wenn wir zusammenstehen, hat auch der Extremismus keinen Nährboden", sagt El-Nagashi.

"Das löst das Problem nicht"

Aber wie steht es um das Bekenntnis zur Trennung von Staat und Religion innerhalb der muslimischen Community? Ein grundsätzliches Bekenntnis gab etwa die IGGÖ schon in ihrer eigenen Verfassung ab. Nämlich, dass sie sich gesetzlich dazu verpflichtet, "die Bundesverfassung der Republik Österreich und die österreichischen Gesetze zu achten".

Einer, der dazu geforscht hat, ist Ednan Aslan, Professor für islamische Religionspädagogik an der Uni Wien. Aus seiner Sicht helfe es nichts, wenn nun alle Muslime bloß ein Bekenntnis abgeben. "Das löst das eigentliche Problem nicht", sagt Aslan. Aus seiner Sicht gehe es eher um die Frage, wie viel Religion eine Gesellschaft verkraften kann und inwieweit Muslime ihre Erwartungen "korrigieren" müssten. "Manchmal habe ich das Gefühl, dass Muslime zu viel erwarten, dass die Religion den Verstand ersetzen muss", sagt Aslan. "Was es braucht, ist ein innerislamischer Diskurs über Säkularisierung ohne Opferrolle."

"Muslimfeindlichkeit aus dem Lehrbuch"

Aslans Studie aus dem Jahr 2017 (700 Befragte) kam zu dem Ergebnis, dass es eine Entwicklung hin zu einem säkularen Islam gebe. Die Religion spielte für 40 Prozent im Alltag keine prägende Rolle. Ein Viertel davon sah sich aus "kultureller Gewohnheit" als Muslim, für 15 Prozent fand die Religionszugehörigkeit auf dem Papier statt. 60 Prozent wurden als hochreligiös eingestuft, knapp die Hälfte davon hatte einen pragmatischen Zugang, 14 Prozent davon lehnten die Trennung von Religion und Staat ab. "Nur eine marginale Gruppe unter den Muslimen stellt die demokratischen Strukturen infrage", sagt Aslan. "Die Mehrheit hat damit keine Probleme, sie lebt gerne hier und schätzt Österreich."

Kritik für Sobotkas Forderung kommt auch vom Islamwissenschafter Rami Ali. Er spricht von einem "autoritären Diskurs" über Muslime. Sobotka suggeriere den Ausgangsstandpunkt, dass für alle Musliminnen und Muslime Religion und Staat nicht getrennt gehören. "Das ist Muslimfeindlichkeit aus dem Lehrbuch."

Ali kritisiert, dass die ÖVP erneut den Begriff politischer Islam ins Treffen führe. Diesem fehle die Trennschärfe, und es werde alles in einen Topf geworfen. "Die Art und Weise, wie dieser Begriff im Diskurs verwendet wird, kollektiviert den Generalverdacht gegen alle Musliminnen und Muslime", meint der Islamwissenschafter. (Jan Michael Marchart, 24.7.2020)