Wanderarbeiter packten in der Großen Depression ihr gesamtes Hab und Gut zusammen und zogen auf der Suche nach Jobs durch die USA .

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"Entweder wir tun es und überleben, oder wir tun es nicht und überleben nicht." So hatte ihre Mutter während der Großen Depression begründet, warum sie die Familie auseinanderriss, erinnert sich Wanda Bridgeforth. Wanda besuchte damals in Chicago die Volksschule. Ihr Vater, Chemiker, fand keinen Job mehr, und die Mutter versuchte als Haushälterin die Familie zu ernähren. Die kleine Tochter wurde weggeschickt, zuerst zu Verwandten, später zu Fremden.

Die jetzt 98-Jährige schilderte im National Public Radio, wie hart die Zeiten selbst für gut ausgebildete Arbeitnehmer während der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten waren. Auch wenn der Einbruch infolge der Corona-Krise regelmäßig als der größte Einbruch seit jener Großen Depression bezeichnet wird, ist der Abstand doch beträchtlich. Einige Lehren aus der Zwischenkriegszeit bleiben jedoch bis heute gültig.

Arbeitslosigkeit schoss in die Höhe

Die Große Depression begann 1929 und dauerte in Ländern wie den USA bis zum Zweiten Weltkrieg. Die am schwersten getroffenen Länder, die USA und Deutschland, verloren binnen drei Jahren über ein Viertel ihrer Wirtschaftsleistung, die Arbeitslosigkeit schoss in Höhen, die Statistiker nicht mehr mit Sicherheit erfassen konnten.

Der Teller ist leer. Viele Eltern konnten ihre Kinder kaum ernähren. Es fehlte das Arbeitseinkommen.
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Auch im Österreich der 30er-Jahre erreichte die Arbeitslosigkeit 25 Prozent. Hunger und Elend prägten eine Generation, die in den goldenen 20er-Jahren gerade begonnen hatte, Optimismus zu schöpfen. Eine Enttäuschung, die in Deutschland und Österreich den Weg für Faschismus ebnete. Wie konnte es so weit kommen?

Ursprünge im Ersten Weltkrieg

Die Ursprünge reichen bis zum Ersten Weltkrieg zurück. Der Konflikt hatte nicht nur die globalen Machtverhältnisse, sondern auch das Weltwirtschaftssystem neu geordnet. Europa, der traditionelle Gläubiger der Welt, wurde zum Hauptschuldner, während die USA zum großen Gläubiger aufstiegen, ohne dieser Rolle gerecht zu werden, wie der deutsche Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe die Situation beschreibt.

Statt neue Wege zu finden, mit der Nachkriegswirtschaft umzugehen, versuchten die Siegermächte den Status quo vor dem Krieg wiederherzustellen. Den alten GoldStandard wieder einzuführen war Washington, London und Paris dabei sehr wichtig.

Im Krieg kein GoldStandard

Während des Kriegs wurde der GoldStandard pausiert. Wer Dollar, Pfund und Co hatte, konnte daher nicht den Gegenwert in Gold vom Staat verlangen. Das ermöglichte den kriegsführenden Nationen, im großen Stil Schulden aufzunehmen, um Rüstungsgüter anzuschaffen. Gleichzeitig wuchs damit die Geldmenge stark an und somit das Potenzial für Inflation.

Das wollte die Politik in den USA, Großbritannien und Frankreich verhindern, denn der GoldStandard funktioniert nur bei relativ stabilen Preisen. Die USA führten den GoldStandard nach dem Krieg wieder ein. Die Briten und Franzosen mühten sich noch über Jahre damit ab. In jedem Fall setzen Regierungen und Notenbanken auf eine sogenannte deflationäre Politik: Sparen und hohe Zinsen.

Gefahr der Deflation

Deflation, ein sinkendes Preisniveau, wurde auch dadurch begünstigt, dass die Industrie und die Landwirtschaft große Kapazitäten hatten, die nach dem Krieg nicht ausgeschöpft waren. Logisch, denn die Alliierten bestellten keine neuen Kanonen, und deutsche U-Boote versenkten auch keine Schiffe voll Getreide mehr.

Die Überkapazitäten drückten zusätzlich auf die Preise, was die deflationäre Wirtschaftspolitik verstärkte. Die niedrigen Absatzpreise trafen vor allem die Bauern in den USA. Das führte während der Großen Depression zu einer sozialen Katastrophe in ländlichen Gebieten, die eine massive Landflucht auslöste. Schwere Dürren verschlimmerten die Situation ab Mitte der 30er-Jahre.

Arbeitslose stehen an, um einen Apfel für fünf Cent zu kaufen.
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Die Rolle der Notenbank

Ein weiterer Sündenbock in der Geschichte der Großen Depression ist die US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Sie wurde erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg in der Hoffnung etabliert, dass sie Bankenpleiten abfangen würde, indem sie als Sicherheitsnetz diente. Doch die Notenbank spielte eine aktive Rolle in der deflationären Politik, da sie hohe Zinsen vorgab. Dadurch spornte die Fed aber eine Spekulationsblase mit an.

Der New Yorker Leitindex Dow Jones verzehnfachte sich im Wert über neun Jahre nach 1920. Am 24. Oktober 1929, dem berüchtigten Schwarzen Donnerstag, platzte die Blase an der Wall Street. Als es zum großen Crash kam, überließ die Fed strauchelnde Banken ihrem Schicksal. Eine Pleitewelle unter Kreditinstituten war die Folge, die das gesamte Finanzsystem lahmlegte. Bis Mitte der 30er-Jahre verlor der Dow Jones rund 90 Prozent seines Wertes, erst 1954 erreichte er wieder dieses Niveau.

Die Gründung der US-Notenbank hätte das Vertrauen in das Finanzsystem erhalten sollen. Nach dem großen Crash im Oktober 1929 stürmten Amerikas Bankkunden trotzdem die Filialen, um an ihr Geld zu kommen.
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Schutzzölle lähmten Handel

Leider machte die Politik einen weiteren Fehler: In den USA wurden die sogenannten Smoot-Hawley-Schutzzölle eingeführt, die ähnliche Reaktionen auf der ganzen Welt auslösten. Die Weltwirtschaft rutschte ab Mitte 1930 in einen Teufelskreis des Protektionismus. Der Welthandel brach während der Großen Depression um zwei Drittel ein.

So vielfältig, wie die unglücklichen Umstände waren, die Dauer und Tiefe der größten Wirtschaftskrise der Geschichte ausmachten, sind auch die Erklärungen, wie sie überwunden wurde. Klar ist heute, dass viel zu spät gehandelt wurde, wie der Wirtschaftshistoriker an der Uni Wien Dieter Stiefel betont: "Die weitverbreitete Annahme war, dass der Staat nichts gegen eine Wirtschaftskrise tun kann. Man rechnete mit einer längeren Stagnation, die man eben aussitzen muss."

Die Wiener Höhenstraße wurde in den 30er-Jahren erbaut. Als Konjunkturprogramm war der Bau allerdings nicht konzipiert. Es fehlte das Verständnis für die wirtschaftspolitischen Möglichkeiten, gegen Wirtschaftskrisen vorzugehen.
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Konjunkturprogramm der Nazionalsozialisten

In Deutschland setzten erst die Nationalsozialisten nach 1933 auf ein Konjunkturprogramm, das der Kriegswirtschaft diente und in eine viel größere Katastrophe mündete. Auch in den USA kam man trotz nachgereichter Konjunkturpakete des 1933 angelobten Präsidenten Franklin Delano Roosevelt unter dem Mantel des "New Deal" nicht richtig aus der Krise.

Denn die für damalige Zeiten immensen Arbeitsprogramme und Investitionspakete des Bundes wurden durch Sparpakete der Bundesländer wesentlich abgedämpft, wie Christina Romer, Wirtschaftshistorikerin und Beraterin von Ex-Präsident Barack Obama, in ihren Studien zeigt. Erst als auch in den USA die Kriegswirtschaft 1941 wieder anlief, war die Krise überwunden.

Amerikas Führungsrolle

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Fehler des Ersten nicht wiederholt, und die Wirtschaft setzte zu einem noch nie dagewesenen Boom an. Dieter Stiefel erklärt es so: "Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es auch deshalb nicht mehr zur Krise, weil sich die USA zur Weltmacht hochgearbeitet hatten und unendlich reich waren. Aber gleichzeitig haben die USA begriffen, dass sie die Staaten Europas als Märkte und als Verbündete gegen den Kommunismus brauchten – deshalb hat Washington sehr viel Geld in den Wiederaufbau investiert."

Für die Corona-Krise ist die Lektion der 1930er klar: Regierungen und die Notenbanken müssen die Wirtschaft ankurbeln, zumal es auch die öffentliche Hand war, die aus gesundheitspolitischen Gründen die Konjunktur abbremste. Auch während des Ersten Weltkriegs haben Staaten die Kontrolle über die Wirtschaft übernommen, aber nach Ende des Konflikts waren die Regierungen mit der neuen Situation überfordert. Das sollte im Gefolge der derzeitigen Pandemie nicht geschehen.

Im dritten Teil unserer Serie lesen Sie über die Ölkrise 1973. (Leopold Stefan, Aloysius Widmann, 25.7.2020)