Der demokratische US-Präsidentschaftskandidat und Herausforderer von Amtsinhaber Donald Trump hat eine realistische Chance auf den Sieg.

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Zwar sind es bis zum Wahltag in den USA noch 100 Tage, in denen noch viel geschehen kann. Aber dass Donald Trump die Wiederwahl schafft, erscheint aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Und ein deutlicher Erfolg für Herausforderer Joe Biden gibt den Demokraten auch eine realistische Chance, die Mehrheit im Senat zu übernehmen. So wie einst Bill Clinton 1993 und Barack Obama 2009 hätte ein neu gewählter Präsident Biden beide Kammern des Kongresses hinter sich.

Das wäre bereits ein Szenario, das Hoffnung gibt. Aber noch entscheidender für die Zukunft der USA ist die Frage, was nach dem Amtsantritt einer neuen Regierung geschieht. Sowohl Clinton als auch Obama hatten nur zwei Jahre Zeit, Reformen nach ihren eigenen Vorstellungen durchzusetzen.

Wachsende Ungleichheit, soziale Verwerfungen

Sowohl 1994 als auch 2010 kam es bei den ersten Midterm-Wahlen zu einem rechtspopulistischen Backlash, der die Präsidenten in den weiteren sechs Jahren ihrer Amtszeit innenpolitisch lähmte und zu großen Konzessionen an rechte Interessengruppen zwang. Clinton und Obama trugen damit auch zur wachsenden Ungleichheit und all den weiteren sozialen Verwerfungen bei, die in der Corona-Krise und der Protestbewegung gegen Rassismus offengelegt wurden.

Nur wenn sich diese Ereigniskette nicht wiederholt, haben die USA die Chance, dem Absturz zu einem "failed state" mit Dritte-Welt-Status zu entkommen. Nicht nur die Person Trump ist eine Katastrophe für sein Land und die Welt. Die gesamte republikanische Partei hat sich in den vergangenen 30 oder sogar 40 Jahren – also seit der so oft gefeierten Präsidentschaft von Ronald Reagan – zu einer Clique entwickelt, die mit kalkulierender Gier und bornierter Ideologie den gesellschaftlichen Zusammenhalt untergräbt, die Wirtschaft schwächt und die Lebenschancen von Millionen zerstört. Sie steht der Schaffung eines modernen Gemeinwesens mit funktionierendem sozialem Netz, Respekt für Minderheiten und Bewusstsein für die Gefahren der Klimakrise im Weg.

Hoffen auf eine vernichtende Niederlage

Deshalb muss jeder, der sich um die USA Sorgen macht, auf allen politischen Ebenen auf eine vernichtende Niederlage der Republikaner hoffen, von der sie sich nur durch eine Art von Neugründung erholen kann. Das letzte Mal ist dies 1932 gelungen, als Franklin D. Roosevelt inmitten der großen Depression zum Präsidenten gewählt wurde und mit dem New Deal den gescheiterten Laissez-faire-Kapitalismus beendete.

Hat Biden das Zeug zum zweiten Roosevelt, ist die Zeit reif für einen neuen New Deal? Auf den ersten Blick: nein. Aber auch Roosevelt war damals kein strahlender Kandidat – er siegte, weil Präsident Herbert Hoover in der Weltwirtschaftskrise so hilflos agierte wie Trump in der Corona-Pandemie. Und obwohl Roosevelts Reformen nicht gleich Früchte trugen, hielten die Wähler den Demokraten die Treue. Die Republikaner hatten zuvor zu viel Kredit verspielt.

Trump und Corona

Die Zeichen für eine progressive Wende stehen besser als 1993 oder 2009. Ihre Kraft bezogen die Rechtspopulisten – erst Newt Gingrich, dann die Tea Party – vor allem aus dem reflexhaften Widerstand gegen die Bemühungen um eine nationale Krankenversicherung. Aber das Thema Gesundheit spielte schon bei der Wahl 2018 den Demokraten in die Hände – und in der Pandemie noch mehr. Trump und Corona hat den Demokraten eine Jahrhundertchance eröffnet, die sie nutzen müssen – eine hohe Latte für Biden. (Eric Frey, 26.7.2020)