Eigentlich wollte die Regierung den Konsum ankurbeln. Die Corona-Pandemie kam dazwischen. Derzeit florieren vor allem große Infrastrukturprojekte.

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Wären da nicht jeweils drei Sitze mit einem Plastikband abgeklebt, könnte man meinen, alles sei wieder normal. Auch die Kinos in Schanghai und anderen großen Städten haben wieder geöffnet – nach fünf Monaten. Allerdings dürfen nur 30 Prozent der Sitze vergeben werden, und kein Film darf länger als zwei Stunden dauern. Auch Reisen innerhalb Chinas sind wieder möglich, allerdings braucht man dafür unbedingt einen grünen Gesundheitscode und eine entsprechende App, erzählt ein Geschäftsmann, der gerade von einer Urlaubsreise aus Chengdu zurückgekehrt ist.

Von Normalität aber ist Chinas Wirtschaft noch weit entfernt. Branchen, in denen physische Anwesenheit keine Rolle spielt, geht es zwar gut, darunter vor allem dem boomenden Tech-Sektor. Nach wie vor aber leiden Tourismus und Reisebranche.

3,2 Prozent wuchs die chinesische Wirtschaft im vergangenen Quartal. Das ist mehr als in jedem anderen Land, aber so wenig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Jörg Wuttke hält die Zahlen für realistisch. "Tatsächlich laufen die Fabriken wieder", sagt der Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking. "Allerdings: Die Produktion ist das eine, die Nachfrage eine andere Problematik. Noch immer halten viele Chinesen ihr Geld zurück."

Zweifel an Zahlen

Die offiziellen Arbeitslosenstatistik klingt mit 5,7 Prozent im Juni niedrig, aber wie bei vielen Zahlen aus China sind auch hier Zweifel angebracht. Es gibt Schätzungen, wonach rund 100 Millionen Menschen aufgrund der Pandemie ihre Arbeit verloren haben – meist in den unteren Einkommensschichten. Viele Wanderarbeiter tauchen in den Statistiken gar nicht auf. Die Einzelhandelsumsätze fielen im Juni im Vergleich zum Vorjahr auch um 1,8 Prozent, als einziger Indikator. Hauptpfeiler des Aufschwungs sind die Infrastruktur- und Immobilienbranche – zwei Sektoren, von denen das Land eigentlich ohnehin genug hat. Vor allem der Immobilienmarkt gilt besonders in südlichen Städten als überhitzt.

Vor der Corona-Pandemie war die Regierung in Peking darum bemüht, das Wachstum mehr in Richtung Konsum zu verlagern. Diese Entwicklung scheint nun erst einmal unterbrochen. Es droht ein Angebotsüberhang, der sich auch global auswirken könnte: "Finden die in China produzierten Güter keinen Absatz, rollt eine Exportlawine auf die Welt zu", sagt Wuttke. "Das wiederum dürfte in diesem Umfeld zu weiteren Handelsrestriktionen führen. Das ist besorgniserregend."

Handelskrieg

Der Handelskrieg zwischen den beiden größten Volkswirtschaften ist in vollem Gange. Die Corona-Pandemie hat den Konflikt nochmals beschleunigt. Allein Trump daran die Schuld zu geben, greift zu kurz. Auch wenn sich Demokraten und Republikaner über derzeit so gut wie alles streiten, was die China-Politik angeht, sind sie sich in einem einig: "Wir befinden uns erst am Anfang der Eskalationsspirale zwischen den USA und China. All das dürfte noch schlimmer werden, und es ist kein Ausstieg in Sicht", sagt Wuttke. "Es begann mit einem Handelskrieg, der sich zu einem Technologiekrieg ausgeweitet hat. Als Nächstes könnte ein Finanzkrieg drohen."

Für Empörung sorgte die Ankündigung Washingtons, das chinesische Konsulat in Houston zu schließen. Die Vertretung in der texanischen Metropole ist mittlerweile geräumt. Als Retourkutsche entzog China dem US-Konsulat in Cheng die Betriebserlaubnis. Präsident Xi Jinping traf sich unterdessen mit den Chefs sieben großer Unternehmen und forderte sie auf, "patriotischer zu handeln".

Doch auch die Frage, ob das Land die Corona-Pandemie überstanden hat, ist offen. Zwar wurde der Ausbruch im Juni in Peking relativ rasch unter Kontrolle gebracht – seit ein paar Tagen aber meldet Urumtschi, die Hauptstadt der westlichen Provinz Xinjiang, neue Fälle.

Vom internationalen Flugverkehr ist das Land noch weitgehend abgeschnitten. Auch die wiedereröffneten Kinos schließen unter Umständen schnell wieder. Hongkong kämpft gerade mit einer dritten Welle und hat die Sicherheitsstufe wieder erhöht.

Schneller aus der Krise

Der Hongkonger Edward Tse, glaubt trotzdem, dass China im Vergleich mit dem Rest der Welt gestärkt aus der Krise hervorgehen werde. "Die chinesische Wirtschaft wird sich schneller erholen. Aber natürlich wird es Zeit brauchen, um auf ein Vorkrisenniveau zurückzukehren", sagt der Chef der Beratungsfirma Gaofeng in Hongkong. "Bis das BIP wieder sechs Prozent wächst, wird Zeit vergehen." (Philipp Mattheis, 27.7.2020)