Vor kurzem brachte der Wiener Sozialforscher Günther Ogris im Standard seine Kritik an einer Forschungsarbeit seines Fachkollegen Rudolf Bretschneider für den Österreichischen Integrationsfonds an. Bei beiden handelt es sich um mehr als honorige und renommierte Vertreter ihrer Zunft und so könnte man fast von einem “Beef“ unter Sozialforschern sprechen. Doch lassen wir einmal den Disput unter den Meinungsforschern um fachlich richtig oder falsch gestellte Fragen und der damit assoziierten Methodik bei sozialwissenschaftlichen Untersuchungen außen vor, denn das Symptom ist bekanntlich nicht die Krankheit. Viel spannender ist der Themenkomplex, um den sich die Diskussion dreht. Ohne jeglichen Anspruch auf “absolute“ Wissenschaftlichkeit geht es anscheinend um die politisch höchst relevante Fragestellung ob Wien nun ein Hotspot für soziale Brennpunkte, um beim Denglisch-Bingo zu bleiben, ist oder es sich bei Wien um eine der lebenswertesten Städte weltweit handelt. Das ist in Bezug auf die kommende Wien-Wahl die viel spannendere Frage, unabhängig von so manchen methodischen Spiegelfechten.

Clusterfuck oder Safe Space

In der vulgären Umgangssprache wird unter einem “Clusterfuck“ eine chaotische Situation, wo alles schief zu gehen scheint, verstanden. Nicht zu verwechseln mit “Clusteranalysen“ bei denen es sich um multivariate statistische Analyseverfahren zur Entdeckung von Ähnlichkeitsstrukturen in Daten handelt. Aber Spaß beiseite, es geht um eine differenzierte Annäherung an die Realität und nicht um absolute Wahrheiten, die in der Wissenschaft wie im realen Leben eher selten existieren. Der eingangs beschriebene Methodendiskurs kaschiert möglicherweise die einfache dichotome Polarität für den langsam anlaufenden Wahlkampf in der Bundeshauptstadt. Diese lautet “1 = Wien ist die beste Stadt der Welt“ versus “0 = Wien ist ein Cluster von sozialen Brennpunkten“ als dazugehörige SPSS (Statistical Package for the Social Sciences)-Codierung um in der statistischen Welt der Datenanalysten zu bleiben. Also Wien als “Clusterfuck“ bei dem es drunter und drüber geht versus Wien als absoluten “Safe Space“ für alles und jeden.

Wenn zwei sich streiten freut sich das dritte Lager

Der 11. Oktober dürfte zum Realitätstest der wahren Wahrnehmung der Bürger werden. Das parteipolitische Match dahinter lautet: die Titelverteidigerin SPÖ mit der Stadt, in der alles klappt gegen die ÖVP mit der Strategie, dass das rote Wien die Manifestation der Versäumnisse rund um das Thema Integration ist. Der für beide Kontrahenten gefährliche Faktor ist die Tatsache, dass wenn zwei sich streiten sich am Ende das dritte Lager freut. So oder so wird die Wahl in Wien im Oktober zum empirisch evidenten Indikator dafür, welche Wahrnehmung in der Bevölkerung wirklich vorherrscht. (Daniel Witzeling, 28.7.2020)

Weitere Beiträge im Blog