Europa erlebt die seltsamste Urlaubssaison seit Jahrzehnten. An Orten, über die auch hier noch zu Jahresbeginn meist im Kontext von Overtourism berichtet wurde, herrscht momentan gähnende Leere. Nehmen wir das Beispiel Italien: Die italienische Tourismusvereinigung Assoturismo rechnet trotz einer möglichen Aufholjagd bei den Nächtigungen bis Ende 2020 mit einem Rückgang von 60 Prozent bei den Nächtigungen im Vergleich zum Vorjahr. Anders formuliert heißt das: Im besten Fall wird Italien heuer so wenige Touristen sehen wie etwa Mitte der 1960er-Jahre.

Was im Tourismus Beschäftigte allerorten zur Verzweiflung bringt, freut mitunter einen großen Teil der Einheimischen und die Reisenden. Vor allem in bislang hoffnungslos überlaufenen Metropolen bleiben ausländische Touristen momentan aus – die Bewohner erleben ihre Städte beschaulich wie schon lange nicht mehr. Für Reisende, die manche Ziele in den vergangenen Jahren nur wegen der Touristenmassen gemieden haben, ergibt sich heuer vermutlich eine einmalige Chance – zumindest, wenn ihnen keine Reisewarnung einen Strich durch die Rechnung macht –, Orte wie diese einmal in Ruhe kennenzulernen:

Frankreichs Hauptstadt Paris geht es ganz ähnlich wie Wien. Die Fremdenverkehrsverbände rechnen mit massiv weniger Gästen aus dem Ausland – gut 70 Prozent sind es voraussichtlich in Paris. Gerade bei den touristischen Hotspots wie Montmartre, dem Eiffelturm oder dem Louvre macht sich das bemerkbar. Ähnlich wie Wien versucht Paris nun, ihre Bewohner für ihre Stadt zu begeistern. So werden derzeit Gratisführungen durch Paris angeboten (auch für ausländische Besucher), und der Stadtstrand an der Seine wurde vergrößert. Viele Einheimische nehmen die Stimmung in der Stadt als außergewöhnlich positiv wahr.

Es sind mehr Fahrräder und Fußgänger unterwegs, in den Cafés und Bars drängt man nicht wie sonst darauf, dass man seinen Tisch möglichst schnell wieder abgibt. Dank einer Sonderbestimmung dürfen Gastronomen bis Ende September ihre Terrassen erweitern. Oft nehmen diese den Raum ein, wo normalerweise Autos parken.

Corona-Bestimmungen: at.france.fr/de/nuetzliche-tipps/ info-coronavirus-die-situation-in-frankreich

Foto: Getty Images/iStockphoto

Die Bewohner von Amsterdam haben eine Stadt mit weniger Touristen (minus 70 Prozent) schätzen gelernt. Nun gibt es eine Petition, die die maximalen Nächtigungszahlen von zuletzt 18 Millionen auf zwölf Millionen senken soll. Teilweise wurde zudem die Vermietung von Ferienwohnungen für Juli untersagt. Noch "darf" man eine ruhige niederländische Hauptstadt erleben.

Corona-Bestimmungen: www.iamsterdam.com /en/plan-your-trip/practical-info/corona-virus

Foto: Getty Images/iStockphoto

Wer einen perfekten Ort zum Abstandhalten sucht, ist in Island gut aufgehoben – aber auch erst seit Corona. Das Land hatte zuletzt mit einer veritablen Overtourism-Krise zu kämpfen. Rund 2,5 Millionen Touristen pro Jahr waren für das kleine Land schwer zu bewältigen, auch bei den Unterkünften. Nun lassen sich die Besucherzahlen mit jenen aus den 1960ern vergleichen. Das mag damit zusammenhängen, dass bei der Einreise ein kostenpflichtiger Covid-19-Test am Flughafen Keflavík verlangt wird. Dieser kostet umgerechnet rund 70 Euro pro Person. Nach der Einreise sind die Corona-Regeln aber relativ locker: Es gilt fast überall nur ein Gebot des Abstandshaltens, das in vielen Situationen leicht einzuhalten ist.

Corona-Bestimmungen: visiticeland.com/article/ iceland-and-covid19-coronavirus

Foto: Getty Images/iStockphoto

Egal, ob man nach Venedig, Rom oder Florenz schaut: Noch hat man die großen Sehenswürdigkeiten fast für sich allein. Das Fremdenverkehrsamt rechnet zwar damit, dass die Italiener im August auch einmal in relativer Ruhe ihre Städte besuchen wollen, doch der große Ansturm erscheint unwahrscheinlich. Vieles wird situativ gelöst – etwa in Venedig mit einer Maskenpflicht im Freien. Und am Trevi-Brunnen galt schon vor Corona: Wenn zu viele Menschen zusammenkommen, wird der Platz gesperrt.

Auch in den Museen von Rom steigt man sich derzeit nicht auf die Füße, die Chance ist groß, dass man die ausgestellten Kunstwerke ausnahmsweise einmal in Ruhe bewundern kann. Das hat freilich einen Grund: Im Kolosseum, in der Galleria Borghese und in allen Museen der Gemeinde Rom herrscht Reservierungspflicht – und strenge Beschränkungen der Besucherzahlen auf oft zehn Prozent der Normalkapazität. Hinein darf man nur mit Maske und nach einem Fiebercheck.

Auch in Geschäften, Restaurants und Cafés gilt die Maskenpflicht, sie darf nur zum Essen abgenommen werden. Viele Gastronomen stellen deshalb noch mehr Tische als sonst nach draußen.

Corona-Bestimmungen: www.salute.gov.it

Foto: Getty Images/iStockphoto

Von der Karlsbrücke in Prag gehen gerade widersprüchliche Bilder um die Welt: An den meisten Tagen flanieren dort nur ein paar Dutzend Passanten, Anfang Juli sorgte dagegen eine "Covid-Abschiedsparty" für Aufregung. Lokale Gastronomen organisierten auf der Brücke ein gemeinsames Essen an einer langen Tafel, an der das Abstandhalten wohl nicht höchste Priorität genoss. Abseits legal geöffneter Clubs und illegaler Partys bewegt man sich aber in einer Stadt, die (vor allem wegen des Ausbleibens der Amerikaner) schon lange nicht mehr so idyllisch war. Die meisten Einrichtungen des öffentlichen Lebens sind in Betrieb.

Corona-Bestimmungen: www.czechtourism.com/de/covid-19-update1

Foto: Getty Images/iStockphoto

Registrierungspflicht und Covid-Tests nach dem Zufallsprinzip bei der Einreise hielten heuer etliche Reisende vom geplanten Griechenland-Urlaub ab. Wer sich mit solchen Maßnahmen anfreunden kann, findet vor allem auf den sonst hoffnungslos überlaufenen Kykladeninseln eine neue Beschaulichkeit vor. Auch auf Santorin sind fehlende Kreuzfahrtschiffe dafür verantwortlich, dass anstelle der drei Millionen Touristen jährlich heuer vermutlich nur 500.000 kommen werden.

Corona-Bestimmungen: www.visitgreece.gr/en/home/about_covid_19

Foto: Getty Images/iStockphoto

Während der Norden Kroatiens auch in diesem Jahr gut gebucht ist, bleiben im Süden die Besucher aus. Vor allem in Dubrovnik ist das Fehlen großer Kreuzfahrtschiffe im Stadtbild sichtbar, die Gässchen wirken ohne die Tagesausflügler von den Schiffen seltsam verwaist. Aktuell ist das Besucheraufkommen hier um fast 85 Prozent niedriger als im Vorjahr.

Allerdings hat gut die Hälfte der Hotels gar nicht erst aufgemacht, auch bei den Cafés und Restaurants ist das Angebot geringer. Die Preise sind zudem nicht merklich gesunken, weshalb auch Einheimische die Stadt meiden. Wen das nicht stört, der bekommt ein Dubrovnik zu sehen wie vor 30 Jahren. (saum, RONDO, 30.7.2020)

Corona-Bestimmungen: https://croatia.hr/de-DE/coronavirus-2019-ncov-fragen-und-antworten

Bevor man einen Europa-Trip in Erwägung zieht, sollte man die aktuellen Hinweise des Außenministeriums beachten: www.bmeia.gv.at

Foto: Getty Images/iStockphoto