Abstandhalten ist auf Sardiniens Stränden heuer nicht schwer. Auf der Insel weilen nur wenige Urlauber.

Foto: Getty Images/iStockphoto/Travel Wild

Vom Capo d'Orso schweift der Blick von gigantischen Granitfelsen hin über zum La-Maddalena-Archipel über ein Meer aus Azur und Tiefblau. Normalerweise drängen sich an dem berühmten Aussichtspunkt zu Füßen eines steinernen Riesenbären im Hochsommer die Touristen. Dann stehen sich deutsche, englische und italienische Selfie-Jäger wechselseitig auf den Füßen – nicht in diesem Jahr.

Seit Jahrzehnten war es im Sommer hier oben wohl nicht mehr so still wie in den vergangenen Wochen. Zwar hat Italien bereits am 3. Juni wieder seine Grenzen für Touristen aus der EU geöffnet, auf Sardinien landeten allerdings erst drei Wochen später die ersten Ferienflieger aus dem Ausland. Der von den einen erhoffte, von den anderen gefürchtete Ansturm blieb auf der Insel bisher aus.

Sonderweg

Ist Sardinien ein sicherer Zufluchtsort für Italiensehnsüchtige? Die Insel wurde von der Pandemie bisher weit weniger hart getroffen als das Festland. Aktuell wurden weniger als 1.400 Covid-19-Fälle auf Sardinien bestätigt. Zum Vergleich: In der Region Ligurien, das fast gleich viele Einwohner wie Sardinien hat, wurden mehr als 10.000 Fälle verzeichnet. In den letzten Wochen wurden auf Sar dinien nur noch vereinzelte Neuinfektionen registriert.

Die Insel schlug für die anstehende Hauptsaison lange einen Sonderweg ein und wollte als einzige Region Italiens einen Gesundheitspass von Urlaubern verlangen. Ein negativer Corona-Test als Voraussetzung für eine Einreise wurde aber erst kurz vor der Grenzöffnung wieder verworfen. Die Verzögerungen konkreter Informationen sorgten bei den vom Fremdenverkehr abhängigen Sarden und zehntausenden Urlaubern für Unmut. Viele Touristen stornierten noch im Mai und Juni ihre Buchungen für den Sommer.

Alles anders

In der Straße von Bonifacio zwischen Sardinien und Korsika sind auch heute noch weniger Schiffe unterwegs als sonst. Wie der knöcherne Panzer eines gigantischen Urkrokodils, das zwischen den Nationen dümpelt, ragen die Granithügel des korsischen Lavezzi-Archipels aus der Meeresstraße in der Ferne auf. Sie sind Teil eines länderübergreifenden Schutzgebiets. Der sardische Teil, der La Maddalena-Nationalpark, ist im Sommer sonst immer die Badewanne Sardiniens. Auf den Stränden liegen die Touristen dann Handtuch an Handtuch, und vor den felsengerahmten Buchten der Inselchen ankert Boot an Boot. Voraussichtlich wird in diesem Jahr selbst im August alles anders sein.

Die Insel hat auf dem Strand klare Abstandsregeln verhängt. Zwischen Strandliegen, Sitzen und Sonnenbänken müssen 1,5 Meter garantiert sein, am und im Wasser soll mindestens ein Meter Platz zwischen Fremden bleiben. Die Flugangst vieler Touristen in Corona-Zeiten und striktere Kontrollen als in anderen Urlaubsregionen Italiens mögen das Risiko einer zweiten Corona-Welle auf der Insel zumindest vorerst gering halten.

Weniger Hektik

Die Natur wird eine Pause vom sommerlichen Massentourismus gewiss dankbar annehmen. Auf der Isola Budelli hatte der Ansturm der Touristen dem berühmten Sandstrand Spiaggia Rosa gar seinen einzigartigen pinkfarbenen Schimmer geraubt. Ein Einzeller verhalf dem Strand einst zu seiner besonderen Farbgebung und seinem Ruhm. Zu viele Touristen hatten Sand mitgenommen und beim Auswerfen ihrer Anker die Mikroorganismen zerstört.

Auf Budelli lebt Mauro Morandi, Italiens wohl bekanntester Eremit. Seit mehr als 30 Jahren ist der heute 81-Jährige allein auf dem Eiland und überwacht, dass die Touristen dem fragilen Ökosystem nicht zu sehr zusetzen. "Ich glaube nicht, dass die Menschen die heilende Kraft besitzen, sich zu ändern", sagte er dem Fernsehsender CNN auf dem Höhepunkt der Pandemie in Italien Ende März. Er glaube zwar, dass die Krise eine Chance berge, das Leben zu überdenken – "aber die Mehrheit der Menschen ist zu sehr an Komfort und einen hektischen Lebensstil gewohnt".

Endlich Stille

Wanderer werden in diesem Sommer auf den Pfaden ins Inselinnere von Budelli, Santa Maria und Caprera sicher nur wenigen Menschen begegnen. Der Duft der Wildkräuter – Lorbeer, Myrte, Schopflavendel und Thymian – gehört ihnen dann ganz allein. Hier leben auch seltene Tiere wie die Breitrandschildkröte und die Tyrrhenische Kieleidechse. Sturmtaucher, Krähenscharben und Korallenmöwen haben es sonst in der Hochsaison schwer, den zahllosen Bootsausflüglern aus dem Weg zu flattern. Delfine und Wale meiden die Gegend, wenn die Touristen mit ihren Heerscharen an Yachten und Motorbooten einfallen. Sie alle dürften sich in diesem Sommer besonders über die ungewohnte Stille im Nationalpark freuen. (Win Schuhmacher, RONDO, 31.7.2020)