Die Erderwärmung drückt die Tropopause, die Grenzschicht über der Troposphäre, in der sich das Wetter abspielt, nach oben. Dadurch werden Unwetter häufiger.

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Wenn hochenergetische Partikel von der Sonne auf die Erde treffen, interagieren sie mit den Sauerstoff- und Stickstoffatomen der Atmosphäre. Deren Atomkerne werden von ihnen geradezu "zerschossen". Bei dieser sogenannten Spallation entsteht unter anderem ein schwach radioaktives Isotop mit einer Halbwertszeit von gut 53 Tagen: Beryllium-7.

Die kurze Halbwertszeit des Isotops sorgt dafür, dass sich das Element in der Atmosphäre – wo es auch keine andere Quelle für das Isotop gibt – nicht anreichern kann. Die Teilchen folgen großen Luftbewegungen, was sie zu guten Studienobjekten zur Atmosphärenforschung abseits der klassischen Meteorologie macht.

Die belgisch-italienische Geophysikerin Lucrezia Terzi beschäftigt sich eingehend mit der Frage, welche Erkenntnisse sich aus den Beryllium-7-Daten ableiten lassen, die das globale Messnetzwerk der CTBTO (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization) aufzeichnet.

Die Wissenschafterin, die am belgischen Studienzentrum für Kernenergie (SCKCEN) in Mol arbeitet und gerade erst ihr Doktorat in Reaktorphysik am Atominstitut der TU Wien abgeschlossen hat, konnte mit Kollegen in einer Studie bereits zeigen, wie sich anhand von Beryllium-7 der Monsun in Indien genauer als bisher vorhersagen lässt.

Massive Veränderungen

In einer neuen Studie, die wie die erste im Fachblatt "Scientific Reports" erschien, untersucht sie gemeinsam mit Gerhard Wotawa von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) – einer Forschungsstelle des Wissenschaftsministeriums – und weiteren Kollegen, welche Aussagen sich auf Basis der Beryllium-7-Daten über die Erderwärmung machen lassen.

Auch wenn die vorhandenen Daten-Zeitreihen von 15 Jahren zu kurz sind, um langfristige klimatologische Aussagen treffen zu können, konnten die Forscher dennoch "massive atmosphärische Veränderungen" im vergangenen Jahrzehnt belegen.

Gleichzeitig bringen sie einschlägigen Verschwörungstheoretikern den definitiven Beweis, dass Phänomene wie Solarzyklen oder das Erdmagnetfeld keinen Einfluss auf die aktuelle Erderwärmung haben.

Das Dach der Troposphäre

Eine der wichtigsten Erkenntnisse betrifft die Tropopause, also die Grenzschicht zwischen der Troposphäre, in der sich das Wetter abspielt, und der darüber liegenden Stratosphäre. Abhängig vom Breitengrad liegt dieses "Dach" der Troposphäre in einer Höhe zwischen sieben und 17 Kilometern. Über Mitteleuropa liegt sie etwa in acht Kilometer Höhe, was mit einem vergleichsweise milden Wetter einhergeht.

Je stärker sich eine Region im Zuge des Klimawandels erwärmt, desto weiter wird die Tropopause nach oben gedrückt. "Die zur Verfügung stehende Energie zwischen Boden und ‚Dach‘ erhöht sich mit der höheren Tropopause. Deshalb treten Unwetter öfter auf und werden intensiver – manche erreichen auch in Europa eine Höhe von 16 Kilometern", erklärt Terzi.

Lagedaten der Tropopause kommen üblicherweise von punktuellen Messungen mit Ballonen. Doch auch von Beryllium-7-Daten kann auf eine Erhöhung der Tropopause zurückgeschlossen werden, hat Terzi gezeigt. In höheren Lagen entstehen größere Mengen des Isotops, sein Vorkommen in der Troposphäre steigt also mit ihrer Ausdehnung.

Research Square

"Die Beryllium-7-Daten zeigen das ‚big picture‘", erklärt die Geophysikerin. "Sie lassen großräumige, globale Aussagen über die Höhe der Grenzschicht zu." Ein Vergleich der durchschnittlichen Beryllium-7-Konzentrationen zwischen 2009 und 2019 in ihrem Paper zeigt eine starke globale Zunahme – allein aufgrund der Erhöhung der Tropopause. Die Entwicklung, die Terzi ihren Daten entnimmt, sieht damit düsterer aus als die Prognosen des Weltklimarats IPCC.

Langsamere Zirkulation

Zudem können aus den Daten der einzelnen Messstationen lokale Trends abgeleitet werden – etwa zu Beginn und Dauer von Dürrephasen. Die erhöhten Messwerte, beispielsweise in Stockholm, passen laut Terzi gut zu der Zahl an Hitzetagen in den vergangenen Jahren.

Die oftmals lange verharrenden Wetterlagen haben mit einer Verlangsamung und Polwärtsverlagerung der großen atmosphärischen Zirkulationsströme, insbesondere der tropischen Hadley-Zellen, zu tun.

Der Mechanismus dahinter: Je mehr sich die gemäßigten Breiten aufheizen, desto geringer wird die Temperaturdifferenz zu den tropischen Regionen, sodass die Zirkulation langsamer wird, erklärt Terzi.

Die Beryllium-7-Daten, mit denen sich die Bewegung der Zellen als Sinus-ähnliches, kontinuierliches Auf und Ab darstellen lässt, zeigen das Bremsen der Zirkulation als Plateaubildung – mit dieser Verlangsamung wird aus ein paar Sonnentagen eine längerfristige Dürreperiode. Die tropische Zone dehnt sich zudem immer weiter Richtung Norden aus.

Mittlere Breiten entscheidend

Dieser Zusammenhang weist den gemäßigten Breiten im globalen Klimawandel besondere Bedeutung zu. Gerade hier – in der Nordhemisphäre, also vor allem in Europa, den USA und China – sollte die Erwärmung eingebremst werden, um die Temperaturdifferenz zu den Tropen und damit die atmosphärische Luftzirkulation aufrechtzuerhalten.

"Modellrechnungen haben ergeben, dass sich Veränderungen in den mittleren Breiten – gute wie schlechte – viermal so stark auf das globale Klima auswirken wie anderswo", sagt Terzi.

CO2-Emissionen wirken sich also hier stärker aus, genauso wie kühlende Maßnahmen. Die Geophysikerin hebt den Erhalt der Wälder in den gemäßigten Zonen als besonders wichtig hervor – nicht so sehr, weil sie CO2 speichern, sondern weil sie lokal für kühlere Temperaturen sorgen – mit den gezeigten globalen Auswirkungen.

Beweis gegen Verschwörungstheorien

Nebenher bestätigten die Radionukliddaten einen Umstand, der in der Klimaforschung zwar seit langem klar ist, aber noch nicht zu jedem Verschwörungstheoretiker durchgedrungen ist: "Wenn es ein Partikel gibt, das klar beweisen kann, dass unser Klimawandel nichts mit Erdmagnetfeld oder Sonnenzyklen zu tun hat, dann ist das Beryllium-7", sagt Terzi.

Gerade diese beiden Faktoren haben Einfluss auf die Beryllium-7-Aufkommen in der Atmosphäre. "Bis vor einigen Jahren korrelierte die Sonnenaktivität mit den Beryllium-7-Werten, ihr Einfluss war lange Zeit dominant", schildert die Geophysikerin. "Nun sind aber die Erderwärmung und die Erhöhung der Tropopause der bestimmende Einflussgeber geworden." (Alois Pumhösel, 31.7.2020)