Im Gastkommentar wirft Markus Senn einen Blick zurück auf einen Urlaub in Oberösterreichs Corona-Cluster. Er fordert klare Ansagen statt PR-Sprech.

Eine zweiminütige Sprachnachricht in der gemeinsamen Whatsapp-Urlaubsgruppe am Abend nach dem Corona-Test in St. Wolfgang – das mulmige Bauchgefühl bestätigt sich nach wenigen Sekunden: In unserer Urlaubsgruppe von elf Personen gibt es einen positiven Corona-Fall. Ab sofort sind wir mehrere Kategorie-I- und einige Kategorie-II-Kontakte. Also alles unter Kontrolle, könnte man meinen. Doch dass dieser Corona-Fall überhaupt aufgedeckt wurde, war absoluter Zufall und eben nicht das Ergebnis eines professionellen Krisenmanagements, wie uns die Verantwortlichen glaubhaft machen wollen. Warum? Unsere Reisegruppe war schon eine Autostunde von St. Wolfgang entfernt, als wir uns entschlossen umzudrehen, um den freiwilligen Test zu machen.

Was ohne freiwillige Testung in unserer Gruppe passiert wäre? Wir hätten einen unentdeckten positiven Fall in Wien, sechs direkte Kontakte und vier kürzere Kontakte verteilt auf Wien und Niederösterreich, die ohne Information über ihre (mögliche) Erkrankung herumlaufen würden. Alle im besten Superspreader-Alter.

Ein Drive-in-Test im Corona-Hotspot St. Wolfgang. Am Montagabend zählte man im Tourismusort mehr als 60 Infizierte.
FOTOKERSCHI.AT / KERSCHBAUMMAYR

Der Beginn eines Clusters

Die ersten Informationen über die Corona-Fälle im Ort wurden in der immer gleichen PR-Leier von unterschiedlichen tourismusaffinen Persönlichkeiten heruntergebetet. In Zeitungen war zu lesen: "Kein neuer Cluster", "keine oder nur geringe Gefahr für Touristen", "keine Notwendigkeit für behördliche Sperren" oder "das Contact-Tracing und die Isolierung funktionieren". Der Gipfel dabei war Elisabeth Köstinger mit der Aussage: "Es gibt keinen infizierten Touristen." Das war zu dem Zeitpunkt schon falsch. In Graz gab es bereits einen Fall mit St.-Wolfgang-Konnex, und überhaupt waren zum Zeitpunkt dieser Aussage der Tourismusministerin ja auch keine Touristen getestet!

Der Pressesprecher des oberösterreichischen Landeshauptmanns kündigte am Samstag an, dass eine unkontrollierte Ausreise am Sonntag nicht möglich sein werde. Auch das war falsch. Bei unserer Abreise Sonntagmittag wurde nichts kontrolliert: keine Aufforderung zur Datenweitergabe, keine Aufforderung, Kontakte vor Ort zu dokumentieren, nichts! Mir ist klar, dass jede Reise zurzeit ein Gesundheitsrisiko darstellt. Jede Handlung, ob Straßenbahnfahren oder Urlaub, könnte in Zeiten einer Pandemie Konsequenzen haben. Umso schwerer wiegen dann Worte wie: "Touristen sind sicher." Sie begünstigen ein gewisses (sorgloses) Verhalten. Und als mündiger Bürger würde ich gerne für mich selbst einschätzen können, was ich tun muss, um mich und mein Umfeld bestmöglich zu schützen. Dazu brauche ich vor allem drei Dinge: Transparenz, Information und Unterstützung vonseiten der Verantwortlichen. Genau das hat in St. Wolfgang gefehlt!

Für mich als Gast gab es keine klare Information und keine Transparenz. Es gab in den vier von meiner Gruppe besuchten Unterkünften keine Information über die aktuelle Situation: kein Aushang, kein Gesprächsangebot der Unterkunftgeber, keine Listen, wo man Risikolokale aufgelistet sah. Keine Information, ob das Personal der eigenen Unterkunft schon durchgetestet wurde, und bei Nachfrage, ob das passieren wird, ein Abwiegeln nach dem Motto: "Das könnte ja das Ende meiner Tourismussaison bedeuten." Beim Vorbeigehen an einem freiwillig geschlossenen Lokal konnte man als uninformierte Person nicht erkennen, warum es nicht geöffnet hatte. Kein Aufruf, Kontakte zu melden, nichts!

Klare Ansagen

Auch an neuralgischen Punkten, zum Beispiel an der Schafbergbahn, der Wolfgangsee-Schifffahrt, den Eingängen zur Fußgängerzone oder in bekannten Touristenlokalen, gab es keine Informationen, keine Anschläge, keine Aufsteller. Es war bis zum Samstag kein Verschärfen irgendwelcher Maßnahmen erkennbar. Wenn man nicht sehr viel Zeit in die Onlinerecherche zu Corona vor Ort gesteckt hätte, hätte man auch keine Information bekommen. Man denke hier an sorglose, ältere oder ausländische Gäste.

Anstelle der PR-Sprech wäre es für Gäste gut, doch einfach die Wahrheit zu hören. Das könnte zum Beispiel so klingen: "Es gibt ein Risiko vor Ort, Sie können dieses Risiko minimieren. Dazu brauchen wir die Mithilfe von Ihnen allen vor Ort. Halten Sie die Abstandsregelungen genau ein. Weisen Sie Personen oder Betriebe, die dies nicht tun, darauf hin und bestehen Sie auf die Einhaltung. Das ist Ihr gutes Recht, die Polizei wird vor Ort verstärkt kontrollieren und strafen! Weisen Sie Personen, die den Mund-Nasen-Schutz nicht richtig verwenden, darauf hin, dass dies zu tun ist. Das wird in der Gastro ab heute rigoros kontrolliert und gestraft. Meiden Sie geschlossene Räume. Frühstücksbuffets in den Hotels sind ab sofort verboten." Genau so eine klare Sprache würde in jedem Cluster helfen.

Trügerische Sicherheit

Klar ist für Touristen: Das Virus kann überall sein. In jedem Land, an jedem Ort.Die Sicherheit für Touristen in Österreich stand im Zentrum einer PR-Kampagne der Bundesregierung. Die Sicherheit für Touristen stand in St. Wolfgang im Zentrum der beginnenden Krisen-Kommunikation rund um den neuen Corona-Cluster vor Ort. Daher macht der Umgang der Verantwortlichen im "sicheren" Land Österreich mit dieser Situation sprachlos. Wer weiß, was passiert wäre, wenn auf der Heimfahrt nicht der Entschluss zur freiwilligen Testung gefallen wäre? Wo wäre dann der nächste Cluster? (Markus Senn, 28.7.2020)