Die Ausnahmesituation einer Pandemie bringt vieles an den Tag, was man sich so vorher eher nicht gedacht hätte – sei es in den Höhen unserer Funktionseliten, sei es bei der Nachbarin an der Supermarktkassa.

Ein wichtiges vorläufiges Aha-Erlebnis besteht darin, dass es Politiker gibt, die sich für einen Fehler entschuldigen – und solche, die das nicht um die Burg tun.

Die erste Variante war jetzt zu erleben, als sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober für die schleißige juristische Arbeit in seinem Ressort beim Formulieren der Corona-Beschränkungsverordnungen entschuldigte und interne Reformen unter Einbeziehung von Kritikern ankündigte. Das hat man beim türkisen Teil der Regierung bisher noch nicht erlebt. Da sind immer die anderen schuld.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Am Abend vorher konnte man wieder einmal einen lokalen/regionalen Krisenfunktionär dabei zusehen und zuhören, wie er eine gerade überirdische Seelenruhe angesichts der jüngsten, bedenklichen Corona-Entwicklung spazieren führte.

Die Art, wie der Mediziner und Krisenstäbler Tilman Königswieser da in der "ZiB 2" sprach, gemahnte an den legendären Tiroler Gesundheitslandesrat Bernhard "Wir haben nichts falsch gemacht" Tilg anlässlich von Ischgl. St. Wolfgang sei nicht Ischgl, betonte der Oberösterreicher Königswieser sofort und zeigte sich überzeugt, dass man keine Betriebe schließen müsse: "Mit den Maßnahmen – Händewaschen, Maske, Abstandhalten – ist eine Verbreitung nicht möglich." Nachsatz: "Wenn man sich an die Vorschriften hält."

Kritische Masse

Da ist nur ein ganz kleines Problem. Immer gibt es eine Gruppe, die sich nicht an die Vorschriften hält. Manchmal wird eine kritische Masse daraus. Dass es in St. Wolfgang vier Dutzend Infizierte gibt, dürfte damit zusammenhängen, dass sich ein Haufen junger Leute eben nicht an die Vorschriften gehalten und in Nachtlokalen dicht gedrängt hat. Und der Dr. Königswieser bedankte sich bei den Nachtlokalen, dass sie dann freiwillig zugesperrt haben.

Man hat es ohnehin irgendwie gewusst, aber Corona bringt es jetzt täglich ins Bewusstsein, wie breit die Palette der menschlichen Reaktionen auf an sich vernünftige Verhaltensmaßregeln sein kann.

Schon gesehen im Alltag: der "Maskenrebell", der sich weigert, eine aufzusetzen, weil er einfach dagegen ist. Immer. Gegen alles. Aus Prinzip; oder die "In Gottes Namen, tragen wir halt eine Maske"-Bürger(innen), die aber mit einer verschwitzten, zusammengewuzelten Pro-forma-Maske auskommen, die vorzugsweise unter dem Kinn getragen wird – Unterabteilung: "Wieso muss ich die Nase auch bedecken?"; oder die Verschwörungstheoretiker, denen man am Nebentisch (auch am virtuellen im Internet) zuhören kann, dass Bill Gates oder George Soros "dahinterstecken". Oder die Zeitungen, in denen wider alle Evidenz steht, dass Masken eh nichts helfen.

Irrtum, Fehleinschätzungen, Notwendigkeit des Lernens aus Erfahrung – das gehört bei Ausnahmesituationen wie Corona dazu. Ein halbes Jahr nach dem Beginn der Krise aber sieht man allmählich, wer uns noch immer einen Schmäh erzählen will und schlicht nichts begreift. (Hans Rauscher, 28.7.2020)