Der Bundeskanzler in spe hatte dick aufgetragen: Von "unfassbarem" Missbrauch der E-Card hatte Sebastian Kurz laut Zitierung der Austria Presse Agentur 2017 gesprochen und sich von einer Bekämpfung desselben 200 Millionen Euro an Einsparungen erhofft. Das passte perfekt in den damaligen ÖVP-Wahlkampf, der auf Stimmungsmache gegen Ausländer setzte, die angeblich das Sozialsystem ausnutzten.

Muster-E-Card mit Foto.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Die Rechnung, die sein Mitstreiter Karl Nehammer nun präsentierte, fiel weniger üppig aus. Der Innenminister wies 11,5 Millionen Euro aus, die seine im Vorjahr eingerichtete Taskforce Sozialbetrug bisher eingetrieben habe. Wie viel davon auf E-Card-Missbrauch entfällt, gab Nehammer nicht an. Da er aber von 50 verschiedenen "Modi Operandi" sprach, ist der Anteil des einst von Kurz genannten Tatbestands daran offenbar nur klein.

Es sei unfair, Nehammer als Kronzeugen gegen Kurz’ Behauptung aufzubieten, heißt es aus dem Büro des Innenministers. Schließlich lasse sich aus dem Volumen der aufgedeckten Missbrauchsfälle nicht schließen, wie viel Betrug noch im Geheimen stattfinde: Zu sehen sei nur die Spitze des Eisbergs.

Ausgeschlossen ist das nicht. Aber seriöse Politiker sollten sich belegter Probleme annehmen statt vage Vermutungen aufzublasen, die in dem Fall auch die Sozialversicherungen nie nachvollziehen konnten. Die Indizien sprechen dafür, dass der Eisberg eher ein Bröckerl ist – als Koloss existiert er nur an den Stammtischen, an denen Kurz’ G’schichtl weiterlebt. (Gerald John, 28.7.2020)