Manchmal brachte er nur kurz ein paar Erdbeeren vorbei.

Foto: Petra Eder

Letzte Woche Besuch bei Tante Margarete. Die Gute feierte ihren 80. Geburtstag. Sie spielt immer noch Golf, schupft ihren Haushalt allein. Das Gedächtnis lässt ein bisschen nach, aber die mit Haarspray fixierten Locken sitzen. Herausforderungen wie Staub saugen oder dem Bus nachlaufen sind natürlich schon sehr beschwerlich.

Um so überraschender daher der Anruf, den Tante Margarete am Nachmittag entgegennahm: Zuerst ein neutrales "Hallo?", dann senkte sich ihre Stimme. Zielstrebig marschierte sie hinaus auf den Balkon. Vom Sofa aus konnte ich beobachten, wie sich ihr schmaler kleiner Körper übers Geländer lehnte, das Handy fest am Ohr. Ab und zu hörte ich sie lachen.

Liebe ohne Ablaufdatum

Irgendwann kam sie zurück ins Wohnzimmer, die Wangen leicht gerötet, und schenkte routiniert nach. Wir waren gerade bei Kaffee und Kuchen. Während sie mit Tassen und Tellern hantierte, hauchte sie: "Ach, der Helmut." – Helmut? Wer sollte das sein? Es gab keinen Helmut in unserer Familie. Tante Margaretes verstorbener Ehemann hieß Anton. – Ich sah sie fragend an.

Die Stunde war günstig, wir waren allein. Und so erzählte mir Tante Margarete, was sie in all der Zeit für sich behalten hatte: die Geschichte ihrer aufregendsten und romantischsten Liebe. Helmut (in besonders festen Händen, weil Familienbetrieb) war jahrelang ihre heimliche Affäre gewesen. Manchmal sahen sie sich ein paar Monate nicht. Manchmal blieb er bloß kurz stehen und brachte ihr frische Erdbeeren vom Markt vorbei. In einem denkwürdigen Herbst sind sie zusammen in die Toskana verreist.

"Das alles ist längst vorbei", lächelte Tante Margarete. "Trotzdem ruft er bis heute an jedem Geburtstag und an allen Feiertagen an." – Manchmal schicke er auch einfach nur eine SMS: Ich denke an dich.

Goodbye, Johnny

Natürlich, es ist leicht, eine Romanze in guter Erinnerung zu behalten, mit der man sich nie um schmutzige Socken, nasse Handtücher und verlorene Hausschlüssel streiten musste. Eine Meisterleistung dagegen, das Leben mit einem Partner geteilt zu haben, durch dick und dünn.

Interessant ist nur, was im Herbst des Lebens besonders gut bei Herzstolpern und Rheuma hilft: Das ist nicht immer der offizielle Teil der eigenen Geschichte. Oft sind es die unerfüllten oder nur angedachten Träume von gestern.

Jeder Traum hat seine Zeit. Wer klug ist, zieht rechtzeitig die Reißleine – und ehrt die Erinnerung. So verband etwa Marlene Dietrich eine leidenschaftliche Liebe mit dem französischen Schauspieler Jean Gabin. Als dieser sie nach zwanzig Jahren, inzwischen verwitwet, anrief und vorschlug: "Wir sollten uns endlich wiedersehen", antwortete die große Dietrich trocken: "It’s too late Johnny, it’s too late." (Ela Angerer, RONDO, 13.8.2020)