Der Teilabzug soll nach den Worten von US-Verteidigungsminister Mark Esper "so schnell wie möglich" umgesetzt werden.


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Der amerikanische Truppenabzug aus Deutschland fällt noch größer aus, als es das Weiße Haus zunächst avisiert hatte. Nach einer Blaupause, die Verteidigungsminister Mark Esper am Mittwoch präsentierte, soll die Zahl der in der Bundesrepublik stationierten Soldaten von derzeit etwa 36.000 auf 24.000 sinken. "Am stärksten wird voraussichtlich die Region Stuttgart betroffen sein", fasste es Esper vor der Presse im Pentagon zusammen. In manchen Details werde es wohl noch Änderungen geben, nachdem man sich mit dem amerikanischen Parlament beraten und mit den europäischen Verbündeten über das Konzept geredet habe.

Rund 6.400 der 11.900 Uniformierten, die Deutschland verlassen sollen, werden der Skizze zufolge in ihre Heimat zurückkehren. Knapp 5.600 werden in andere Nato-Mitgliedsstaaten verlegt, nach Belgien, Italien und, entsprechende Vereinbarungen vorausgesetzt, auch nach Polen. Das europäische Hauptquartier der US-Streitkräfte ziehe von Stuttgart ins belgische Mons um, teilte Tod Wolters mit, der Kommandeur des amerikanischen Kontingents in Europa.

In Mons hat bereits Shape (Supreme Headquarters Allied Powers Europe) seinen Sitz, das militärische Hauptquartier der Nato, Auch das Kommando für die US-Spezialkräfte in Europa soll statt in der baden-württembergischen Landeshauptstadt künftig dort angesiedelt sein. Innerhalb von Wochen könnte die Neustrukturierung beginnen, umreißt Esper einen Zeitplan.

Fraglicher Termin

Er weiß allerdings, dass es nur eine Grobskizze ist, versehen mit etlichen Fragezeichen, die er im Augenblick vorstellen kann. Ob der Abzug tatsächlich noch vor dem Präsidentschaftsvotum am 3. November beginnt, scheint fraglich. Ob Trump, der ihn unbedingt durchsetzen will, wiedergewählt wird, steht in den Sternen. Im Kongress regt sich Widerstand, nicht nur in den Reihen der Opposition, auch bei Republikanern, die Amerikas Militärpräsenz in Deutschland für das Rückgrat einer Strategie halten, die russisches Expansionsstreben abschrecken soll.

Esper geht auf die Bedenken konservativer Parteifreunde ein, indem er fünf Prinzipien nennt, nach denen man sich gerichtet habe. An erster Stelle: "eine erweiterte Abschreckung Russlands". Es folgen: Die Nato stärken, die Verbündeten beruhigen, die strategische Flexibilität der USA verbessern, sich um die eigenen Soldaten und deren Familien kümmern. Die Vereinigten Staaten, argumentiert Esper, hätten ihre Truppenpräsenz auf dem Kontinent schon mehrfach einem veränderten Umfeld angepasst, etwa nach dem Ende des Kalten Krieges, als osteuropäische Länder dem Bündnis beitraten. Jetzt verschiebe sich der Fokus erneut nach Osten, in Richtung Schwarzmeerregion, nach Polen, eventuell auch ins Baltikum.

Kritische Nachfragen

Es ist ein Prinzipienkatalog, der kaum einen der Reporter interessiert, die an diesem Tag vor dunklen Vorhängen im Pressesaal des Pentagon sitzen. Vor allem amerikanische Journalisten haken kritisch nach, sie wollen wissen, ob ihnen der Minister nicht nur mit Floskeln komme, während der wahre Grund ein ganz anderer sei. Ob die Weichenstellung nicht allein auf Trumps Groll gegen Deutschland zurückgehe, fragt Tom Bowman, bei NPR, einem aus öffentlichen Mitteln finanzierten Radiosender, zuständig für das Verteidigungsressort. Ob es bei alledem gar nicht um Strategie gehe, sondern nur darum, es Deutschland zu zeigen.

Deutschland sei im Zahlungsverzug, meldete sich der US-Präsident jedenfalls unmittelbar nach Espers Auftritt zu Wort. "Sie haben ihre Beiträge nicht gezahlt, sie haben ihre Nato-Beiträge nicht gezahlt." Die USA seien jahrelang ausgenutzt worden, beim Handel, beim Militär, in jeder Beziehung. "Und nun bin ich hier und bringe das in Ordnung." Deutschland schulde der Nato viele Milliarden Dollar, wiederholte Trump und stellte die rhetorische Frage, warum man dann all seine Truppen in dem Land lassen solle. Deutschland sage, ein Abzug sei schlecht für seine Wirtschaft. "Nun, für unsere Wirtschaft ist es gut."

Auch auf Twitter äußerte sich US-Präsident Trump zum Truppenabzug. Er kritisiert, dass Deutschland "Billionen an Dollar" an Russland für die Energieversorgung zahle.

Trump wirft der Regierung in Berlin ein ums andere Mal vor, sich in der Nato wie ein Trittbrettfahrer zu benehmen, statt wie zugesagt bis 2024 mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungszwecke auszugeben. Erst im Juni, auf einer Kundgebung in Tulsa, hatte er seinen Anhängern ausgemalt, wie kompromisslos er mit Angela Merkel über das Thema rede. Da sprach er von der Kanzlerin, die das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels frühestens 2030 für realistisch halte. Worauf er, Donald Trump, Tacheles geredet habe. "Ich sagte, nein, Angela! Angela, ich muss doch sehr bitten! Sag nicht so was, Angela!" Die Bundesrepublik, behauptete er in Tulsa, schulde den USA viele Milliarden Dollar, nachdem sie ein Vierteljahrhundert am Verteidigungsetat gespart habe.

Der Zwei-Prozent-Club

Vor diesem Hintergrund gerät Esper ins Schwimmen, als er Widersprüche erklären soll. "Ihr Boss sagt, Deutschland schuldet Geld. Über Strategie sagt er nichts", merkt Bowman an. Bereits vor Monaten, versucht sich der Pentagonchef aus der Affäre zu ziehen, habe man angefangen, die Aufteilung der eigenen Streitkräfte in Europa zu überprüfen. "Was der Präsident getan hat, ist dies: Er hat den Prozess beschleunigt." Dann verweist Esper auf das, was er den Zwei-Prozent-Club nennt. Einige einstmals säumige Partner kämen ihren Verpflichtungen inzwischen nach, betont er, dies sei auch dem Drängen Trumps zu verdanken. "Deutschland ist das wohlhabendste Land in Europa", setzt er zur Gardinenpredigt an. "Deutschland kann und muss mehr für seine Verteidigung zahlen. Es sollte ganz bestimmt das Zwei-Prozent-Niveau erreichen, und ich würde behaupten, es sollte noch darüber hinausgehen."

Es folgt ein Versprecher, den der Minister offenbar nicht bemerkt, den er jedenfalls nicht auf Anhieb korrigiert. Er habe das, so Esper, immer wieder angemahnt, sowohl öffentlich als auch in vertraulichen Gesprächen mit Amtskollegen. Es sei wichtig, Lasten zu teilen, damit wir – und nun der Fauxpas – "Russland abschrecken und Frieden in Europa verhindern können". (Frank Herrmann aus Washington, 29.7.2020)