Jährlich geben mehr als drei Prozent der Milchbauern in Österreich auf. Die Corona-Krise bringt die Rohstoffpreise einmal mehr unter Druck.

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Wien – Ewald Grünzweil und Ernst Halbmayr protestierten vor Supermärkten gegen Schleuderpreise. Sie demonstrierten mit ihren Traktoren vor Molkereien und karrten Kühe vors Parlament. Ihre Mitstreiter köpfelten publikumswirksam in Milchtümpel, luden Heuballen in der Bundeshauptstadt ab und hinterließen den Wienern Rinder zum Selbermelken.

Fast zwei Jahrzehnte lang kämpften die beiden Landwirte für höhere Bauerneinkommen und verstrickten sich dabei in Machtkämpfe mit Genossenschaften. Diese sind nun vorbei. "Wir sehen für faire Milch keine Zukunft mehr", sagt Halbmayr.

Zehn Cent mehr für Bauern

14 Jahre ist es her, dass die einstigen Rebellen den Lebensmittelhandel dafür gewinnen konnten, rot-weiß-rote Milchpackerln in seine Regale zu stellen. Wer einen Liter der Marke A faire Milch kaufte, fettete den Erzeugerpreis um zehn Cent auf.

Die Bauern sicherten dafür zu, ihre Kühe gentechnikfrei zu füttern, keine Lieferquoten zu sprengen und die Marke unter die Leute zu bringen. Die rote Kunststoff-Kuh Faironika wurde zum Symbol der neuen Freiheit. Bio war aufgrund der hohen Mehrkosten in der Produktion irrelevant. Was zählte, war allein der Wert der fairen Löhne. Projektpartner konnten mit jährlich 200 bis 800 Euro an höheren Einnahmen rechnen.

Kräftemessen

Ein Fünftel aller Bauern wollte der Verein IG Milch bündeln und aus der Abhängigkeit der großen Verarbeiter führen. Doch diese sahen einen Keil durch die Branche getrieben und ließen ihre Muskeln spielen. 2017 ging der Molkerei Alpenmilch, die die Rohmilch der Bauern einsammelte, die Kraft aus. 160 Bauern mussten als Bittsteller zu ihren ehemaligen Abnehmern zurück, die sie wenig überraschend nicht mit offenen Armen empfingen. Einige Betriebe zittern bis heute von Jahr zu Jahr der Verlängerung ihrer Verträge entgegen, für Biomilch erhalten sie keine Zuschläge.

A faire Milch wurde in Lizenz weiter abgefüllt. 30.000 Liter waren es zuletzt monatlich, die Spar, Nah & Frisch, die Großhändler Kastner und Pfeiffer feilboten. Wobei ins Packerl nicht per se die Milch jener Landwirte floss, die dafür höher abgegolten wurden. Denn wie bei Ökostrom veränderten Kunden durch ihren Konsum den Preismix in Summe. Künftig ist die Milch mit Fairness-Logo in Österreich Geschichte. Bauern üben sich mit ihr zwar mittlerweile in sechs anderen Ländern. Hierzulande wurde ihr Absatz jedoch dünner und dünner.

Viel riskiert

"Jeder, der sich dafür engagiert, läuft Gefahr, Probleme zu bekommen", sagt Halbmayr. "Es gibt auf dem Milchmarkt keine fairen Verhältnisse." Man dürfe Konsumenten nicht länger über diese Realität hinwegtäuschen.

Der Oberösterreicher erzählt von Strafgebühren der Molkereien für ehemals Abtrünnige, die nach Hofübergaben die nächste Generation erbe. Und von Drohungen, Betriebe, die sich für faire Belange einsetzten, mit Milchwagen nicht mehr anzufahren. Verarbeiter hätten Absprachen getroffen, keine wechselwilligen Höfe aufzunehmen, was deren Existenz zerstöre. Schütt- und Strafgebühren seien eingeführt worden, um Direktvermarktung systematisch zu verhindern.

Wer das System kritisiere, riskiere den Ausschluss aus der Genossenschaft. Über Vertragsbedingungen öffentlich zu reden sei verboten. "Sie können sich nicht vorstellen, was wir in den vergangenen 15 Jahren alles erlebt haben", sagt Halbmayr. "Macht- und Abhängigkeitssysteme kamen zum Vorschein, die keiner für möglich gehalten hat."

Vergeblicher Ruf nach Kartellwächtern

Die Bundeswettbewerbsbehörde signalisierte ihm mögliche Ermittlungsverfahren. Doch ein Versuch, die Kartellwächter auf den Plan zu rufen, verlief trotz "300 Seiten an belastenden Unterlagen" im Sand. Diese sahen keine Verfehlungen und von weiteren Schritten ab.

Johann Költringer, Geschäftsführer der Vereinigung österreichischer Milchverarbeiter, will dem gescheiterten Projekt "nicht nachtreten". Zu viele Bauern seien reingeritten worden und hätten dafür Lehrgeld bezahlt, meint er. "Letztlich waren die Initiatoren beratungsresistent. Sie haben ihre ganze Energie dazu verwendet, nicht mit der Branche, sondern gegen sie zu arbeiten. Und Schuld waren immer die anderen."

Dass in einer Genossenschaft nicht alle mit allem zufrieden sind, liegt für ihn auf der Hand. Diese sei jedenfalls für ihre Mitglieder da und nicht für jene, die sich aus eigenem Antrieb von ihr trennten.

Verzicht auf Bio

Für den Landwirtschaftsexperten Alois Burgstaller hätte das Projekt gelingen können. "Doch Genossenschaften verteidigten ihre Position mit aller Vehemenz." Die Initiatoren hätten harte Konflikte freilich geradezu gesucht, "sie standen sich selbst im Wege".

Verabsäumt wurde aus seiner Sicht, auf Bio zu vertrauen: Kunden, die bereit seien, mehr Geld für gerechte Löhne auszugeben, legten auf biologische Produktion Wert.

Kaum ein Rohstoff ist sensibler als Milch. Nur kurz haltbar, sind die Landwirte mit ihr auf wenige große Abnehmer angewiesen. Freien Wettbewerb spielt es anderswo. Jedes Jahr geben mehr als drei Prozent der Betriebe auf und steigen aus der Produktion aus.

Preise unter Druck

Doch hat nicht die Corona-Krise den Blick für regionale Wertschöpfung geschärft? Warum brachte der neu erwachte Konsumpatriotismus keinen Schwung in die "faire Milch"? Halbmayr winkt ab. Zu kurz sei die Aufmerksamkeit für Österreichs Bauern als Systemerhalter nach dem Lockdown und die damit verbundenen Ängste vor Lebensmittelengpässen gewesen. Profitiert hätten bisher nur ein paar Direktvermarkter. "Die Preise für Milch, Getreide und Fleisch liegen am Boden." (Verena Kainrath, 30.7.2020)