Der Schriftsteller Gunther Neumann lebte viel im Ausland, sein Basislager war aber stets seine Wohnung in der Wiener Josefstadt. Nun lebt er hier mit seiner Familie und braucht den Blick in die Ferne.

"Ich wohne seit 22 Jahren in dieser Dachgeschoßwohnung, mittlerweile mit meiner Frau und unseren viereinhalbjährigen Zwillingen. Ursprünglich hatte diese Wohnung eine Ärztin für sich selbst ausgebaut, aber dann hat sie Drillinge bekommen, und ihre Lebensplanung hat sich ein wenig verändert. Sie wollte die Wohnung damals im Herbst verkaufen – allerdings zu einem für mich unleistbaren Preis. Erst als der Winter und dann der Frühling kam, wurden wir handelseins.

Gunther Neumann mit seiner Frau Nambou Mounikou dort, wo er im Sommer am liebsten ist.
Foto: Lisi Specht

Ich hatte mir zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich schon 150 Wohnungen angeschaut. Als ich hereinkam, konnte ich es mir sofort vorstellen. Auch wenn die Wohnung damals eine Baustelle war, die Kaminwände komplett beplankt waren und unser jetziger offener Wohnbereich aus drei einzelnen Zimmern bestand, mit lauter kleinen Türen. Das haben wir am Ende mithilfe von Freunden alles herausgerissen.

Ich habe lange nach einer Wohnung gesucht. Das Wichtigste war mir der Fernblick. Der freie Blick hinaus hat mich im Leben immer angezogen. Es ist mir egal, wie klein eine Wohnung ist. Sie muss nicht luxuriös sein. Aber eine Betonwand vis-à-vis wäre für mich zum Schreiben schwierig. Heute steht mein Computer im Wohnzimmer so, dass ich über die Dächer schauen kann.

Viele Gegenstände haben sich auf Auslandsaufenthalten angesammelt, mit der Geburt der Kinder hat sich das Wohnen aber noch einmal verändert.
Fotos: Lisi Specht

Unsere Einrichtung ist eine Mischung aus Dingen, die sich auf Auslandsaufenthalten in Asien, Afrika und Lateinamerika angesammelt haben. Sie ist ein Stückwerk, wir haben keinen einheitlichen Stil. Meine Frau ist eine Puristin, sie hätte am liebsten eine leere Wohnung und möglichst kein Graffel. Ich träume im Grunde auch davon, aber das Ergebnis schaut – wie Sie sehen – dann doch ein wenig anders aus.

Mit der Geburt unserer Kinder hat sich bei unserem Wohnen viel verändert. Früher hatten wir mehr Bilder an den Wänden. Und unsere japanischen Schiebewände wurden mittlerweile von unseren Kindern zerrissen. Demnächst wollen wir ihre Kinderzimmer in Angriff nehmen, da wird noch einmal viel in Bewegung kommen.

Auch unsere Terrasse, mein Lieblingsplatz im Sommer, hat sich mit den Kindern verändert. Ich habe damals viele Kakteen verschenkt. Das waren Riesenkakteen, da war es gar nicht so leicht, in der Stadt Abnehmer dafür zu finden. Aber mittlerweile ist viel wieder nachgewachsen. Ich habe schon seit meiner Studentenzeit Pflanzensamen von Reisen mitgenommen. Einige haben überlebt. Im Sommer brauche ich für das Gießen abends schon eine gute halbe Stunde. Früher war das nach einem langen Arbeitstag mehr Entspannung, heute fühlt es sich manchmal selbst nach Arbeit an.

Der Fernblick ist dem Schriftsteller ganz besonders wichtig, auch beim Arbeiten.
Fotos: Lisi Specht

Im Sommer wird es heiß in unserer Wohnung. Aber das wird ein bisschen gemildert, weil wir Beschattung durch Pflanzen haben, Außenjalousien und Dachluken und in der Nacht gut durchlüften können. Eine Klimaanlage ist für uns keine Option – nicht nur aus ökologischen Gründen. Ich habe jahrelang in den Tropen gelebt und mag die Hitze. Früher habe ich im Sommer oft auf der Terrasse geschlafen. Es ist ruhig hier, das hat sich in all den Jahren nicht geändert. Man hat auf der Terrasse das Gefühl, über der Stadt zu sein. Es ist fast so, als gäbe es die Stadt nicht mehr.

Für mich war diese Wohnung viele Jahre mein Basislager, in das ich gern zurückgekommen bin. Jetzt ist Wohnen ein Ort der Geborgenheit und des Aufwachsens unserer Kinder geworden. Es ist der Ort, wo ihnen Wurzeln und auch Flügel wachsen sollen, um hinaus in die Welt zu gehen.

Mein Wohntraum wäre ein offenes Holzhaus in südostasiatischem Stil. Mit klaren Formen und dennoch verbunden mit der Natur, mit freiem Blick. Vielleicht ein Haus in Borneo oder Bali. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dort zu schreiben.

Doch im Moment hat die Familie Vorrang." (PROTOKOLL: Franziska Zoidl, 10.8.2020)