Der Karlsplatz ist ein Ort der Freiheit, ein Ort, an dem man sich trifft. Und das ist gut so.

Foto: Christian Fischer

Fliegende Bierverkäufer sind in Wien ein Indikator dafür, wie hip ein Ort ist. Erstens freut's die Leut', wenn günstiges Bier stets verfügbar ist, zweitens kommen umgekehrt die Händler dorthin, wo das Geschäft wartet. Und auf dem Karlsplatz drehen sie momentan besonders gerne ihre Runden.

Da gibt es etwa den Mann mit den langen Haaren. Er läutet mit der Fahrradklingel, wenn er an einer Menschengruppe vorbeigeht, und holt dann die Dosen aus der schwarzen Tasche an seinem Gepäckträger. "Wir sind arme Leute", sagt er, zehn Euro mache er in einer Stunde, wenn's hochkommt. Und das, obwohl es bummvoll ist rund um den Teich am Karlsplatz, wieder einmal.

Nach Berichten über Corona-Partys am Donaukanal und entsprechenden Konsequenzen – die Polizei verstärkte ihre Kontrollen, eine Debatte über Müll, Klos und Verantwortungslosigkeit entbrannte – werden viele junge Leute auf einem Haufen von der Öffentlichkeit eher kritisch beäugt. Was ist da los rund um den Karlsplatz?, kann man sich zu Recht fragen. Und: Wird es etwa wieder ungut auf diesem Stück Wien im vierten Bezirk, das schon so viel mitgemacht hat?

Junge Leute machen sich auf dem Karlsplatz breit.
Foto: Christian Fischer

Polizei hat kein Problem damit

So ganz stimmt das mit den zehn Euro vielleicht nicht, aber das ist wohl eine alte Bierverkäufer-Masche. Tatsächlich verkaufen sich die kühlen Dosen gut, in nur fünf Minuten wechseln vier Stück zu je 2,50 Euro den Besitzer. Aus jeder Ecke kommt Musik, aus der Bar neben dem Teich wird Voodoo Jürgens live übertragen, der nur wenige Meter entfernt in der Karlskirche spielt. Den Applaus hört man raus, die Musik nicht.

Drei Polizisten drehen in regelmäßigen Abständen und über Stunden hinweg ihre Runden um den Teich. Von der Pressestelle der Landespolizei Wien heißt es, verstärkte Kontrollen auf dem Karlsplatz gebe es nicht, sie seien auch nicht geplant. Die Letztentscheidung sei aber bei den zuständigen Inspektionen. Immerhin liege es in der Natur der Sache, dass "da, wo sich verstärkt Menschenansammlungen aufhalten, auch häufiger etwas passiert", so der Sprecher. Dass einzelne Delikte auf dem Karlsplatz besonders häufig vorkommen würden, habe man aber nicht beobachtet.

Das Sodom und Gomorra Wiens

Auch an diesem Abend sprechen die Exekutivbeamten zwar hin und wieder jemanden an, zu gröberen Auseinandersetzungen kommt es aber nicht. Nur einen jungen Mann, der zuvor auf einer Bank saß, nehmen sie mit. Früher war das anders am Karlsplatz. Noch heute müssen sich wohl so manche Wahlwiener daheim anhören, dass sie dieses Sodom und Gomorra meiden sollten, immerhin ist es weit über die Grenzen Wiens hinaus als Drogenumschlagplatz verschrien.

Am Karlsplatz, so heißt es, konnte man früher, in den 80ern, alles kaufen: Rohypnol, Kokain, Heroin, dazu gab es Platzerl für Kiffer und einen Markt für Schlafmohn. Später kamen noch die Tabletten dazu. 2010 aber wurde die Karlsplatzpassage renoviert, im selben Jahr trat eine Novelle des Wiener Landessicherheitsgesetzes in Kraft. Und die Maßnahmen wirkten. Spritzen sind hier nicht mehr zu sehen, im schlimmsten Fall der ein oder andere Joint.

Und Kameras. Die Silhouetten der Leute, die am Wasserrand sitzen, spiegeln sich gestochen scharf in der Oberfläche des Teichs. Fotos für Instagram werden hier draußen wohl mindestens so viele gemacht wie drinnen beim Voodoo, da wird das Spritzerglas gezielt positioniert, mit dem entlarvenden Doppelkinnblick der Bildschirm anvisiert und abgedrückt.

Bierverkäufer sind hier ebenso zugegen wie Livemusik an allen Ecken.
Foto: Christian Fischer

Der Karlsplatz löst den Donaukanal ab

Wasser zieht die Leute eben an – das war immer so, das wird immer so sein. Nicht umsonst ist der Donaukanal seit dem Lockdown Treffpunkt Nummer eins, um zu feiern. Eigentlich, so sagt ein Mann Ende zwanzig, der gemeinsam mit einem Kollegen in einer anschaulichen Sammlung leerer Flaschen und Dosen am Rand des Teiches am Karlsplatz sitzt, sei er auch sonst am Donaukanal, "aber da bekommst du keinen Platz mehr". Der Bierverkäufer kommt vorbei. "Brauchen wir eh schon wieder eins, oder?", fragt der Kollege und nimmt vier Stück.

Auf der anderen Seite des Teiches, vor der Karlskirche, da sind die Rollerblader. Sie springen, fahren rückwärts, drehen sich im Kreis und tragen Glitzer. Sie sind jener Teil der 80er, der irgendwie wieder hergefunden hat auf den Karlsplatz. Neben ihnen sitzen vier Leute auf der Treppe, auch sie sind hier, weil ihnen der Donakaunal keinen Spaß mehr macht. "Das liegt wohl am Lockdown", sagt ein junger Mann mit Lockenkopf und Trainingsjacke. Nur die Sache mit den Klos wäre auch hier ein Thema, davon gebe es zu wenig. Substituiert wird das durch den sogenannten Pipi-Berg – links der Karlskirche, da gehen Frauen rauf – und die Pipi-Schlucht gleich daneben, die wird von den Männern aufgesucht.

Klos wurden aufgestockt

Doch die Stadt arbeitet dagegen. 24 Stunden am Tag sind die drei Ö-Klos nahe dem Spielplatz geöffnet, am 24. Juli wurde zusätzlich ein Container aufgestellt, rechts von der Kirche, vis-à-vis der TU. Dort muss man zwar zahlen, dafür wird das Klo betreut, heißt es von den Wiener Stadtgärten, die dafür zuständig sind. Und auch den Müll habe man im Griff: 31 Abfallbehälter gebe es im Resselpark, zweimal am Tag wird gereinigt, dreimal die Woche kommt die Kehrmaschine.

"Dafür, dass hier so viele Leute chillen", sagt der junge Mann in der Trainingsjacke, "läuft es echt gut." Währenddessen drehen die Bierverkäufer weiter ihre Runden. Im Laufe des Abends werden sie immer mehr, alle sind sie da: Da ist der junge Mann mit dem blauen Rad, er tanzt am Ufer entlang und bietet seine Ware feil. Ein anderer, der subtiler agiert, murmelt nur "kühles Bier", wenn er sich durch die Gruppen schleicht. Und auch der ältere Herr mit dem Rollwagerl ist da, wieder einmal. Jedes Mal sagt er, er habe nur noch wenige Stück, die bekomme er bestimmt nicht mehr los, jedes Mal ist es eine Lüge.

Aus der Liveübertragung an der Bar hört man, wie Voodoo Jürgens sein Publikum verabschiedet. "Danke schön, des woas für heute", sagt er. Die Tür der Karlskirche geht auf und spuckt noch 200 Leute mehr auf diesen Fleck, der in Wahrheit schlicht genauso genutzt wird, wie er genutzt werden sollte. (Gabriele Scherndl, 1.8.2020)