Wer ist Markus Braun? Wie tickt jener Manager, der Wirecard groß gemacht hat? Wie verhält sich jener Mann, der ob seines Erfolgs gern gesehener Gast war auf Podien, in Thinktanks, der die Deutsche Bank in Digitalisierungsfragen beraten hat und den Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Mitte Juli noch als "einen der erfolgreichsten Manager im Digitalbereich" genannt hat? Schwer zu sagen.

"Habe ihn nie kennengelernt" oder "Hatte nie Kontakt zu ihm" sind Antworten, die man bekommt, wenn man sich heute in Finanz- und Wirtschaftskreisen umhört. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass jetzt, wo der einstige Engel vom Himmel gefallen ist, ihn niemand kennen möchte.

Auf Podien redete Markus Braun gerne über seine Visionen. Nun muss er viele offene Fragen beantworten.
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Als reflektierten, nachdenklichen Mensch beschreiben ihn andere, die zwar mit ihm Kontakt hatten, jetzt aber lieber nicht genannt werden wollen. Viele Ideen habe Braun stets gehabt. Diese habe er mit Intellekt vorgebracht, immer kontrolliert sei er bei Treffen gewesen, habe sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Der gebürtige Österreicher sei keiner gewesen, der sich in die erste Reihe gedrängt hätte. Ein selbstbewusstes Auftreten wird dem 51-Jährigen zugeschrieben, dominant sei er nicht gewesen.

Still, belesen, musikalisch

Ein stiller Nerd, heißt es, sei er. Stets mit Anzug und Hemd oder Rollkragenpulli ist er aufgetreten. Die Brille – randlos. Als Macher beschreiben ihn andere. Als einen, der wie besessen arbeitet. 16-Stunden-Tage seien für ihn normal gewesen. Das habe er auch von seinen Mitarbeitern verlangt. Er lese viel – von Technik-Texten (vor allem künstliche Intelligenz interessiere ihn) bis hin zu den großen Philosophen. Musik habe seinen Weg begleitet. Braun soll einst Geige gelernt haben und ein großer Freund der Oper sein.

Als nicht greifbar beschreiben ihn andere. Als einen, der Distanz schafft. Bei Wirecard sei er nicht aufgefallen, habe an Meetings immer wieder mal nicht teilgenommen. Einzelne Mitarbeiter soll er gar gemieden haben. Enge Kontakte im Unternehmen: Fehlanzeige. Sein Privatleben – ein Geheimnis. Bekannt ist nur, dass Braun verheiratet und Vater einer Tochter ist – seine Familie ist in Wien domiziliert.

Braun behält die Contenance. 2002 zog er in den Vorstand von Wirecard ein. Er verteidigte jeden Angriff auf "sein" Unternehmen – bis zum 24. Juni 2020 gehörten ihm mehr als acht Prozent, er war damit größter Einzelaktionär. Seit 2015 hatte die "Financial Times" von Ungereimtheiten berichtet. Braun hat sie alle zurückgewiesen und Investoren vom Wachstum des Unternehmens überzeugt.

Prüfer selbst beauftragt

Er selbst hat jenen KPMG-Bericht in Auftrag gegeben, der zeigen sollte, dass alle Vorwürfe gegen Wirecard haltlos seien, und blieb hoffnungsvoll, als die Spatzen bereits von den Domdächern pfiffen, dass etwas faul ist im Hause Wirecard. Die Prüfer förderten dann just jene Ungereimtheiten zutage, an denen Wirecard umfiel wie ein Dominostein, der andere Töchter – etwa die Niederlassung in Österreich – mit in die Insolvenz riss.

Doch Braun hatte ein Talent: Seine Ideen und Visionen von einer bargeldlosen Welt konnte er Investoren glaubhaft machen. Er konnte die Börsianer stehts beruhigen, wenn gegen die Aktie spekuliert wurde oder wieder einmal Vorwürfe in den Raum gestellt wurden. Dass er diese Rolle so gut beherrschte, ist erstaunlich, da ihm Weggefährten auch autistische Züge zuschreiben.

Jähes Karriereende

Nun steht der Wirtschaftsinformatiker, promovierte Sozialwissenschafter und Ex-KPMG-Berater vor den Trümmern seiner Karriere. Es sind viele Frage offen: Kann es sein, dass Braun wirklich nichts von den mutmaßlich gefälschten Saldomitteilungen und den frisierten Bilanzen mitbekommen hat? Von einer Abteilung, die nur dafür da gewesen sein soll, um Scheingeschäfte zu erfinden? Ehemalige Mitarbeiter und ein Ex-Vorstand haben zu Protokoll gegeben, dass die Betrügereien bei Wirecard vor 15 Jahren begonnen haben sollen. Und keiner wollte es sehen oder hören?

Einst pries Braun die Macht des Fortschritts, sprach auf Podien ohne Manuskript: "Ich bewege mich lieber frei", sagte er. Damit ist jetzt erst einmal Schluss: Am 22. Juli wurde Braun festgenommen. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung. (Bettina Pfluger, 31.7.2020)