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Warten, bis die alten Gewässer wieder befahrbar werden? Schlechte Idee.

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Das wollen jetzt alle: die richtigen Schlüsse aus der Corona-Zeit ziehen und sehen, wo die unternehmerische, aber auch die persönliche Reise hingehen muss. Dabei stößt man immer wieder auf dieselben Themen.

Adaptiv sein, menschlich bleiben, agil und robust werden, hybrid arbeiten und führen (teilweise remote, teilweise vor Ort arbeiten), weiter transformieren und sich auf die sogenannte "nächste Normalität" einschwingen: Mit diesen oder ähnlichen Worten stehen Geschäftsführer meist noch virtuell vor ihren Mitarbeitenden und geben den Kurs ins Ungewisse vor.

Und da kommen wir nun zum Punkt: Wir wissen nicht wirklich, wohin die unternehmerische und persönliche Reise hingeht. Wir suchen alle nach vielversprechenden, verheißungsvollen Koordinaten. Ziehen dabei vergangene Krisen zurate, lernen beim gegenseitigen Beobachten ("Wie machen das andere?"), befragen Vordenker und Nachdenker und graben in der Methoden-Schatzkiste vergangener Epochen.

Zukunft ist immer ein Prozess der Entscheidung, sagte der Zukunftsforscher Matthias Horx am Futureday 2020. Was wir tun können, ist ausprobieren. Was agile Praktiker bereits lange wissen, sollte zur ersten Wahl der Wege werden. Wann, wenn nicht jetzt ist das Fenster offen fürs Ausprobieren von neuen Formen des Zusammenarbeitens, der Markt-und Kundenbearbeitung und der Führung. Der Lockdown von drei Monaten hat uns allen gezeigt, wozu wir hinsichtlich plötzlicher Herausforderungen fähig sein können.

Neues denken

Was bleibt aber großflächig davon über? Diskussionen darüber, "wie viel Zeit wir im Homeoffice und wie viel Zeit wir vor Ort verbringen sollen". Auch das ist wichtig, natürlich, aber nicht nur. Ausprobieren, Experimentieren, Neues testen und in Umlauf zu bringen bedeutet vorrangig, aus traditionellem sequenziellem Denken rauszugehen. Dieses Unterfangen hört sich simpel an, ist jedoch auch in Führungsetagen nicht leicht durchzuhalten. Zu stark wirken die Unternehmenssicherer und pfeifen zur Rückkehr in alte Gewässer.

Um die Kultur des Ausprobierens oder Experimentierens im Unternehmen zu ermöglichen, brauchen wir ein offenes Denksystem und einen sicheren Rahmen. Ein Widerspruch? Nein, denn Kreativität und neue Perspektiven zu erkennen und zu erproben gelingt, wenn man dabei die Sicherheit der Führung hat, dass Schuld und Schamgefühle fehl am Platz sind.

Wir müssen also erkennen, dass Unsicherheit unser stetiger Begleiter wird und wir nur adaptiv vorgehen können. Entscheidungen, Ziele, Budgets und Gewissheiten werden ständig hinterfragt und neu justiert. Wir alle werden lernen müssen, mit dem Coronavirus und anderen Bedrohungen derartiger Natur zu leben. Uns daran gewöhnen müssen, rasch wieder den Kurs zu ändern und dennoch auf dem Pfad zu bleiben. Meist sind wir froh, wenn wir endlich ein Projekt, Budget oder eine Investition mit viel organisationaler Kraft durchdacht und verabschiedet haben. Und im nächsten Monat stellt sich dies als falsch heraus. Und es kann wieder von vorne beginnen.

Querdenker als Gewinn

Querdenkende Personen dürfen nicht als Plage, sondern müssen als Gewinn wahrgenommen und eingebunden werden, auch wenn sich Entscheidungen dadurch verzögern. Die jungen Generationen gehören genauso an die Entscheidungstische, wenn ein guter Weg in die Zukunft gedacht wird. Dies wird sicherlich im Diskurs und im Disput laufen.

Konflikte und Disharmonien wegzudrücken und zu vermeiden geht sich jetzt nicht mehr aus. Sie gehören zum Alltag, nicht nur in Führungsteams. Was wir lernen müssen: debattierfähiger zu werden und in den echten Austausch und ins Verstehen zu gehen. Denn Corona als Tiefenkrise hat eines bewirkt: Themen, die vorher bereits unrund liefen, kommen jetzt erbarmungslos an die Oberfläche und brüllen nach Lösungen.

Ausprobieren verlangt einen sicheren Rahmen, damit Misslingen kein Grund für Schuldzuweisung wird. Sonst kommen wir nicht weiter.

Beherzigt man die oben genannten Voraussetzungen fürs Ausprobieren, so bedeutet dies in vielen Organisationen Kultur- und Mindset-Veränderungen. Es beginnt in den Topführungsteams mit der Erkenntnis, wer den Weg mitgeht und wer weiterhin in alten Gewässern fischt. Anfangs sind nicht alle Führungskräfte in der Lage, viele Rollen, viele Perspektiven, innere Distanz und Ungewissheit zu ihren Verbündeten zu machen. Zu den großen Lerngebieten gehört: Wie vermittle ich Menschen psychologische Sicherheit, um etwas wagen zu können? Und wie lerne ich, neu zu denken und handeln? Das braucht manchmal Zeit, die wir uns auch nehmen müssen. Ausprobieren fällt im Team leichter, da die Verantwortung geteilt wird. Die Führungskräfte bilden den Rahmen und nehmen das Restrisiko. Nicht immer gehen sich große Schritte aus.

Keine Ausreden!

Die fehlenden Technologien sind jedenfalls keine Ausrede mehr. Wir alle haben einen Digitalisierungsschub hinter uns und arbeiteten von zu Hause zum Teil auf altem, überkommenem Gerät in neuen digitalen Formaten. Das bedeutet, dass wir die Hilfsmittel vielleicht noch nicht flächendeckend, aber in hinreichender Qualität in den Unternehmen nutzen können.

Auch hier war die Corona-Zeit eine große Lehrmeisterin. Rasch wurden neue Abläufe geschaffen oder adaptiert und digitalisiert. Andere Prozesse boten wiederum die notwendige Stabilität. Arbeit konnte mitunter auch entlang kurzer "Dienstwege" gehen.

Haltungen und Erwartungen unserer Kunden haben sich vielfach diametral geändert. Die Investitions- und Risikobereitschaft unterliegt völlig neuen Gesetzen. Kundenbeziehungen und Partnerschaften ordnen sich neu, und die Bedeutungen verstärken sich unter der Corona-Lupe. Gleichzeitig festigen sich Beziehungen und bieten neue Interaktionsmöglichkeit und Verbindlichkeit. Auch hier verschieben sich die Wertesysteme und das Mindset. Voraussetzung ist, dies zu erkennen und aktiv zu entwickeln.

Wir können aus den vergangenen und aus den kommenden Monaten viel lernen, wenn wir wollen. Wir können auch viel verändern, wenn wir müssen. (Susanna Wieseneder, Martin Prantl 11.8.2020)