9.000 Komparsen proben den ganzen Sommer über die Abläufe am neuen Berliner Flughafen BER.

Foto: AFP/Tobias Schwarz

Dabei werden knapp 8.000 Gepäckstücke geschleppt, 450 Mitarbeiter sind an jedem Tag im Einsatz.

Foto: AFP/Tobias Schwarz

Die Koffer sind allerdings immer noch die gleichen. Schon vor Jahren hat der Flughafen 7.900 alte Gepäckstücke gekauft und mit Inhalt gefüllt.

Foto: AFP/Tobias Schwarz

Einchecken, Sicherheitskontrolle passieren, flanieren, Gate suchen: Alle Abläufen sollen lebensnah geprobt werden.

Foto: AFP/Tobias Schwarz

Das Airport-Management sagt: Wir freuen uns über jeden Fehler.

Foto: AFP/Tobias Schwarz

Manche haben in ihren Gepäckstücken gefährliche Gegenstände – ohne es zu wissen.

Foto: AFP/Tobias Schwarz

Dafür, dass Detlef Schlick, wie er erzählt, ein paar echte Grafen in seiner Ahnentafel vorweisen kann, ist sein Gepäck ganz schön schäbig. Rot-weiß-blau kariert – eigentlich ist es gar kein Koffer, sondern ein besserer Plastiksack, den der Berliner Pensionist aus einem großen Haufen von Taschen, Rucksäcken und Koffern auswählt.

"Du liebe Güte, ist der schwer", sagt er, stellt das wenig ansehnliche Stück gleich wieder auf den Boden und fragt: "Haben die da Wackersteine reingetan?"

Das muss gleich mal überprüft werden, also auf mit dem Reißverschluss. Zum Vorschein kommen verwaschene Jeans und ein brauner Pullover. Mehr möchte Schlick eigentlich gar nicht sehen. Denn die Kleidung sieht nicht nur alt aus, sondern riecht auch so. Schlick will das Zeug so bald wie möglich loswerden.

Trockentraining auf dem Boden

Doch rasch geht's nicht. Der Mann ist einer von 400 Komparsen, die an diesem Tag in den Berliner Flughafen BER gekommen sind, um das zu tun, was man an einem Airport gemeinhin macht: einchecken, Sicherheitskontrolle passieren, flanieren, Gate suchen.

Danach allerdings fahren alle wieder heim. Das Sahnehäubchen des Flughafenbesuchs, der Abflug also, fehlt. Die Statisten sind nur gekommen, um zu proben, damit am 31. Oktober, wenn der Airport tatsächlich eröffnet wird, alles klappt.

20.000 Freiwillige hatte der Flughafen für die 47 Probebetriebstage zunächst gesucht. Dann kam Corona, und das Trockentraining musste kleiner dimensioniert werden. Nun üben 9.000 Personen den ganzen Sommer über, an jedem Tag sind 450 Mitarbeiter dabei. Sie lotsen die Fast-Passagiere zum Check-in, checken sie ein, führen die Sicherheitskontrolle durch, erledigen also ihren Job.

Neun Jahre Verspätung

"Wir müssen aus einem fertigen Gebäude einen funktionierenden Flughafen machen", beschreibt Airport-Chef Engelbert Lütke Daldrup die Herausforderung. Er ist der vierte Chef seit Baubeginn 2006, und es sieht alles danach aus, dass er auch jener sein wird, der den "Fluchhafen" tatsächlich – mit neun Jahren Verspätung – zur Eröffnung bringt. Seit April liegen alle Genehmigungen vor, derzeit wird bereits die Eröffnungsfeier am 31. Oktober geplant.

"Man merkt schon, dass sich hier was getan hat", sagt Proband Schlick. Er war im Jahr 2012 schon einmal hier bei einem Probetraining. "Damals funktionierte das Gepäckband nicht, die Lichter fielen auch mehrmals aus, überall hingen Kabel heraus", erinnert er sich. Auch die Probemode hat sich gewandelt. Beim ersten Mal mussten die Komparsen Schutzhelme tragen. Heute haben alle Masken um.

Neongrüne Westen

Die Koffer sind allerdings immer noch die gleichen. Schon vor Jahren hat der Flughafen 7.900 alte Gepäckstücke gekauft und mit Inhalt gefüllt. Sie werden anno 2020 einfach wiederverwendet.

"Ich fliege nach Düsseldorf", sagt Schlick und reiht sich geduldig in die Menge ein, die in der Ankunftshalle wartet. Diese sieht aus wie eine Kiste voller Granny-Smith-Äpfel. Alle Statisten haben neongrüne Westen an.

Ein Gong ertönt, und die grüne Masse schiebt sich über die Rolltreppen in den ersten Stock herauf. Bald bildet sich eine Traube vor der zentralen Informationstafel. Hälse recken sich, suchende Blicke – man kennt diese Szene von anderen Flughäfen.

Deutlich größer als Tegel

Schlick gefällt der Flughafen grundsätzlich gut: "Alles ist sehr modern, hell und luftig hier. Das ist kein Vergleich zu Tegel." Der alte Berliner Flughafen platzt seit Jahren aus allen Nähten, längst ist er viel zu klein geworden.

"Dafür ist er kuschelig, und die Wege sind nicht weit", meint Schlick. Hier, am BER, findet er die Wege sehr weit. Für ältere Leute könne das "zum Problem werden".

Noch etwas missfällt ihm. "Die Tafel ist so klein, überhaupt gibt es zu wenig Wegweiser", meint er. Und spricht damit ein Problem an, das sich als die zentrale Schwierigkeit herauskristallisiert hat. "In der Tat, wir müssen die Beschilderung ergänzen", räumt Lütke Daldrup ein. Hier gebe es viele Beschwerden.

Enorme Einbrüche

Auch bei der Aufgabe von Sperrgepäck habe es ein paar Mal gehakt. Die Abstände bei den Schlangen vor den Schaltern müssten in Corona-Zeiten auch noch besser eingehalten werden, da fehlen noch Bodenmarkierungen.

Die Pandemie hat auch den Berliner Flughäfen enorme Einbrüche beschert. Normalerweise werden an den alten Flughäfen Tegel und Schönefeld im Sommer täglich bis zu 120.000 Passagiere abgefertigt. Im März und April waren es gelegentlich nur 1.000 pro Tag. Jetzt zieht der Flugverkehr wieder an, bis zur Eröffnung erwartet man rund 30.000 Gäste täglich.

Alle Witze sind erzählt

"Es ist gut, dass der Flughafen jetzt endlich eröffnet wird", sagt Sebastian Budischin, "mittlerweile haben wir ja auch alle Witze über die Verzögerungen gehört." Der 36-Jährige, der Start-ups berät, war ebenfalls im Jahr 2012 schon mal zum Probetraining da. "Ich interessiere mich sehr für Luftfahrt", sagt er.

Privat und beruflich fliegt er viel, da würde ihm wohl nicht passieren, was ihm die Regie an diesem Probetag vorgibt. Einige Passagiere sollen nämlich nicht nur normal einchecken und zum (nicht vorhandenen) Flieger gehen, sondern bekommen Extraansagen. "Ich fliege nach Grenoble, verliere aber meine Bordkarte", sagt Budischin nach einem Blick auf seine Handlungsanweisungen.

Wie im richtigen Leben

Derlei Verluste sind nicht die einzigen Hindernisse, die eingebaut wurden. Manche haben in ihren Gepäckstücken gefährliche Gegenstände – ohne es zu wissen. Eine junge Frau irrt mit Skiern durch die große Halle, andere sollen sich vor ihrem Abflug die Mehrwertsteuer für ihre Einkäufe erstatten lassen.

Bei jenen, die sich für den Flug nach Düsseldorf anstellen, drängt sich ein Möchtegern-Passagier vor, was allerdings für Heiterkeit sorgt. "Das ist wie im richtigen Leben hier", sagt eine junge Frau.

Weil so mancher auf die Idee kommen könnte, die nicht ganz bierernste Situation auszunutzen, ist auf dem Merkblatt für Komparsen vermerkt: "Bitte unterlassen Sie das Spielen von eigenen ausgedachten Ereignissen." Und dass die Teilnehmer im Falle eines realen Notfalls das Stichwort "Tatsache" verwenden sollen.

Freude über Fehler

Weder Budischin noch Schlick müssen davon Gebrauch machen. Beide finden ihr Gate mühelos, Budischin bekommt anstandslos eine neue Bordkarte ausgestellt.

Auch Budischin gefällt der Flughafen gut, er hat aber ebenfalls ein Problem mit den Dimensionen – nur andersrum: "Ich bin viel in Asien unterwegs. Im Vergleich zu den Flughäfen dort ist der BER eher klein." Da könnte es – etwa zwischen Check-in und Sicherheitsschleuse – durchaus zu Staus kommen.

Wenn bei den Proben etwas schiefläuft, dann sind die Organisatoren übrigens sehr zufrieden. "Wir freuen uns über jeden Fehler", sagt Flughafenchef Lütke Daldrup. Denn nur so könnten die Abläufe bis zur Eröffnung in drei Monaten stetig besser werden. Er ist überzeugt: "Natürlich wird auch am 31. Oktober nicht alles fehlerlos ablaufen. Aber eines ist sicher: An dem Tag eröffnen wir." (Birgit Baumann aus Berlin, 1.8.2020)