Pflegerinnen, Supermarktkassierinnen, Erntehelferinnen, Busfahrerinnen: Sie alle wurden zu Beginn der Corona-Pandemie als "systemrelevante Heldinnen" jeden Tag um 18 Uhr mit Applaus gewürdigt. Die weibliche Form ist bewusst gewählt, denn die Mehrheit der rund eine Million systemkritisch Beschäftigten sind Frauen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung beziffert diesen Anteil sogar auf 75 Prozent.

Dennoch: Weder ihre Arbeitsbedingungen noch ihre Bezahlung und ihr Prestige entsprechen nur annähernd dem Wert, den ihre Arbeit für die Gesellschaft hat. Das hat sich trotz aller Versprechen zu Beginn der Krise nicht geändert. Zudem sind die Arbeitsbedingungen oft schlecht und belastend, die Arbeitenden weniger sozial abgesichert, machen Überstunden. Und gerade in jenen Jobs, wo viele Frauen arbeiten, sind sie unterdurchschnittlich bezahlt. So verdienen laut AK-Index am unteren Ende der Skala Reinigungskräfte rund 1.100 Euro netto im Monat, Supermarktangestellte circa 1.260 Euro; am oberen Ende Ärztinnen etwa 2.900 Euro.

Die Mehrheit der systemkritischen Beschäftigten sind Frauen. Der Wert ihrer Arbeit stimmt nicht mit ihrer gesellschaftlichen Wertschätzung überein.
Foto: Robert Newald

Nicht nur das: Eine Erhebung der Uni Wien zeigt, dass je niedriger Bildungsgrad und Einkommen, desto seltener die Beschäftigten im Homeoffice sind. Und desto höher ist die Infektionsgefahr, wie die Corona-Cluster in Hotels, Schlachthöfen, Verteilerzentren und Leiharbeiterunterkünften bestätigen.

"Die Krise zeigt, dass sich der Wert dieser Jobs nicht mit der gesellschaftlichen Relevanz deckt, sondern eher mit dem Anteil an Männern, Inländern und der Stärke der Interessenvertretung", sagt die Gewerkschafterin und Autorin Veronika Bohrn Mena. Für sie gab es bereits einen "geteilten Arbeitsmarkt mit ungleich verteilter Arbeit, Arbeitszeit und Einkommen. Durch Corona verschärft sich das Prekariat." Thomas Grandner leitet das Institut für Arbeitsmarkttheorie und -politik an der Wirtschaftsuni Wien. Corona habe das Verhältnis zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, die mehrheitlich von Frauen geleistet wird, verdeutlicht, sagt er.

Ausbeutung und Arbeitskampf

Grandner glaubt nicht, dass sich die Solidarität in Lohnerhöhungen niederschlagen werde: "Da müsste sich erst das Wirtschaften ändern, denn die Gewinne steigen, wenn die Löhne sinken." So entstehe auch ein ökonomischer Druck, auf ausländische Arbeitskräfte zurückzugreifen, wie etwa in der Landwirtschaft oder der 24-Stunden-Pflege, die während der Pandemie aus dem Ostbalkan eingeflogen wurden. "Das eigentliche Argument ist nicht, dass man keine Inländer findet, die den Job machen, sondern dass die Löhne niedrig bleiben müssen", sagt der Ökonom.

Ähnlich sieht das Bohrn Mena: "Das sind keine Einzelfälle, sondern ein System, das darauf ausgerichtet ist, mit einem Stundenlohn von vier bis fünf Euro das Lohnniveau zu unterbieten. Das kommt einer modernen Form der Sklaverei gleich." Auch ein Marchfelder Spargelbetrieb soll Lohndumping betrieben und seine Erntehelfer in Quartieren mit schlechten Hygienestandards untergebracht haben, DER STANDARD berichtete.

Je geringer das Prestige, desto häufiger arbeiten Beschäftigte in Firmen, die Gewinne über das Wohlergehen der Mitarbeiter stellen und das Arbeitsrecht nicht einhalten. "Es gibt zwar einen gesetzlichen Rahmen, der Ausbeutung verhindern sollte, aber in vielen Fällen sind das hohle Regelungen, wenn sie nicht durchgesetzt werden können", sagt Grandner, der in der Landwirtschaft oder im Tourismus, wo es keine starke Vertretung wie etwa in der Industrie gebe, eine gewerkschaftliche Organisation hilfreich fände. Deshalb gingen viele prekär Beschäftigte krank arbeiten, "aus Angst, ihren Job zu verlieren", erklärt Bohrn Mena. Das sei ein Nährboden für das Coronavirus. Die Mittel der Gewerkschaft seien hier auch begrenzt, denn die Angst vor Kündigung sei in Krisenzeiten oft größer als der Mut zum Arbeitskampf. Gerade Frauen hätten ob der Doppelbelastung im Haushalt schlicht keine Energie und Zeit zum Demonstrieren.

Arbeitszeitverkürzung

Ökonom Grandner glaubt nicht an spezifische Maßnahmen gegen die Diskriminierung bestimmter Berufe: "Man muss stärker versuchen, eine bessere Durchmischung der Berufsgruppen, Geschlechter und Schichten zu finden." Die Gewerkschafterin Bohrn Mena sieht die Politik in der Verantwortung, dafür zu sorgen, "dass sich der Arbeitsmarkt bald erholt und nicht weiter gespalten wird".

Wenn das nicht über den Hebel der Gehälter geht, dann "über die Beschäftigungsformen und Arbeitsbedingungen", plädiert die Gewerkschafterin. Für sie führten kürzere Arbeitszeiten, Weiterbildungsmöglichkeiten und begleitende Supervision für Care-Berufe ebenso zu einer Attraktivierung der systemrelevanten Jobs. Eine reine Verkürzung der Arbeitszeit ist für Grandner zu wenig. Zwar sei das eine indirekte Lohnerhöhung – die Arbeitszeit müsse aber flexibel gestaltet werden, um Familie und Beruf zu vereinen, gleichzeitig steige auch der Druck, in weniger Zeit mehr zu leisten. Bohrn Mena ist überzeugt, dass gerade Teilzeit arbeitende Frauen profitieren würden: finanziell, aber auch, weil Männer bei einer kürzeren Arbeitswoche mehr Zeit für unbezahlte Tätigkeiten hätten. (Selina Thaler, 1.8.2020)