Miso ist das cremige Äquivalent zu Soja- und Fischsauce, ein universaler Köstlichmacher1. Kulturen, die es benutzen – vor allem die Japaner –, kennen fast unendlich viele Variationen: Es ist weniger eine Zutat als ein ganzes Genre, ähnlich wie Wein, Bier oder Brot. Allen gemeinsam ist ihr Talent, alles, womit sie in Berührung kommen, viel besser schmecken zu lassen.

Wie wird Miso hergestellt?

Um Miso herzustellen, wird meist gedämpftes Getreide oder Hülsenfrüchte – etwa Sojabohnen, Gerste, oder Reis – mit dem Schimmelpilz Aspergillus oryzae geimpft, demselben Pilz, der auch für die Produktion von Sojasauce oder Sake verwendet wird. Wenn er wächst, bildet er Enzyme, die Stärke und Proteine in den Hülsenfrüchten in köstliche Bestandteile zerlegen. (Der Prozess ist dem des Sojasauce-Machens sehr ähnlich, bloß dass die Ausgangsmaterialien vielseitiger sind und weniger Wasser zugesetzt wird.)

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Die geschimmelte Masse wird gesalzen, mit mehr gedämpftem Getreide/Hülsenfrüchten gemischt und reifen gelassen – mindestens ein paar Monate, mitunter mehrere Jahre. Traditionell passiert das in großen Holzbottichen und unter Deckeln, die mit großen Steinen beschwert werden.

Während der Reifezeit besiedeln auch Milchsäurebakterien das Miso und tragen weiter zum komplexen Geschmack bei. In traditionellen Verfahren wird frisch angesetztes Miso gern mit dem Rest eines vorherigen Misos gemischt, um sie mit guten Bakterien und Schimmelkulturen aufzupeppen, ganz so, wie man einen frischen Sauerteig mit den Resten eines alten anreichert.

Was für Arten von Miso gibt es?

Manche Misos sind so salzig, dass ein ganz klein wenig in einer Suppe als Würze reicht, andere so süß, dass sie wunderbar für Desserts verwendet werden können. Sie können eine cremige Konsistenz wie weiche Butter haben oder fest und bröckelig sein wie kalte Erdnussbutter mit Stücken drin.

Grob gilt: Helle Misos sind meist eher jung, mild und süßlich, dunkle Misos gereift, kräftig und salzig (wie bei Sojasauce laufen während der Reifung Maillard-Reaktionen ab, die es dünkler machen). Misos aus Reis sind meist die hellsten, Gerstenmisos liegen im Mittelfeld, Sojamisos sind die dunkelsten.

Foto: Tobias Müller

In Japan sind vor allem Misos aus Getreide und Hülsenfrüchten besonders populär (Reis, Gerste, Sojabohnen sind die wichtigsten). Weil Aspergillus oryzae aber auf fast allem wächst, was genug Protein enthält, gibt es mittlerweile eine unendliche Vielzahl an Misos. Im Westen, der dank fehlender Tradition etwas freier in seinem Miso-Zugang ist, vergären experimentierfreudige Köche oder Misomacher derzeit so ziemlich alles zu Miso, von Mohn (Lukas Nagl) über altes Brot (Markus Shimizu) bis zu Eicheln (Felix Schneider).

Wen das alles näher interessiert: Hier gibt's eine schöne Übersicht.

Spezieller Beifall für Doubanjiang

Miso ist nur das berühmteste Mitglied einer sehr großen vergorenen Würzpasten-Familie, aber ein Cousin, das Doubanjiang, verdient meiner Meinung nach etwas gesonderte Aufmerksamkeit. Doubanjiang ist eine chinesische Würzpaste, die aus Saubohnen und Chili hergestellt wird und vor allem in der Provinz Sichuan beliebt ist. Sie wird vergoren und darf in großen Krügen mehrere Jahre reifen (hier findet sich eine schöne Geschichte dazu). Sie ist eine Art Miso auf Speed und bei uns vor allem vom Mapo Tofu bekannt, dessen wichtigster Geschmacksgeber sie ist. Doubanjiang ist aber generell großartig, wenn Sie Gemüse oder Eintöpfen ordentlich Feuer machen wollen: Einfach etwas Ingwer, Knoblauch, Frühlingszwiebeln und Doubanjiang in Öl (oder Schmalz) in einer Pfanne kurz anbraten, Gemüse zugeben, braten, weich garen, mit etwas Sojasauce oder Shaoxing-Wein ablöschen, fertig ist die Sichuan-Beilage.

Kann Miso schlecht werden?

Kaum, und je dünkler, desto haltbarer ist es meist. Es ist oft sehr salzig und stets bereits von zahlreichen Mikroorganismen verdaut, sodass sich andere, die es verderben lassen würden, eher schwer tun, es zu besiedeln. Wie immer gilt aber: Besser wird es auch nicht. Einmal geöffnet, ist es im Kühlschrank besser aufgehoben und wird idealerweise innerhalb eines halben Jahres verbraucht.

Welches Genie ist als Erster auf die Idee gekommen, Miso zu machen?

Das kommt ein bisschen darauf an, was man unter Miso versteht. Wenn man es grob als "vergorene Würzpaste aus Getreide oder Hülsenfrüchten" definiert, dann haben die Chinesen es wohl als Erste hergestellt: Sie vergären seit über 2.000 Jahren Sojabohnen und Salz (mit der Zeit entwickelte sich daraus Sojasauce).

Im strengeren Sinn, so wie wir uns das heute vorstellen, ist Miso eher eine japanische Entwicklung. Das Wort taucht dort für die japanische Version vergorener Würzpasten im 7. Jahrhundert erstmals auf (Mi bedeutet Geschmack). In den folgenden 1.300 Jahren wurde die Technik immer weiter verfeinert. Heute bieten spezialisierte Geschäfte in Tokio dutzende verschiedene Misos an.

Worauf muss ich beim Kochen mit Miso achten?

Wenn Sie das Miso nicht schmecken, sondern nur als Geschmacksboost verwenden wollen, verwenden Sie es vorsichtig, sagen wir, ein guter Teelöffel für ein Gericht für zwei. Wenn Sie den Misogeschmack hervorheben wollen, langen Sie ruhig kräftiger zu (und bedenken Sie, wie salzig es ist).

Welches Miso Sie verwenden, hängt davon ab, was Sie kochen und was Ihnen schmeckt. Grob gilt: Dunkle Misos sind gut in eher kleineren Dosen als Würze für kräftige Gerichte. Helle Misos können in größeren Mengen verwendet werden, weil sie weniger salzig (und meist billiger) sind. Sie schmecken milder und sind also auch für delikatere Speisen geeignet.

Je nach Miso kann es sinnvoll sein, Miso vor seinem Einsatz mit etwas Wasser und/oder Mirin glattzurühren, manche lösen sich nämlich nicht so gut auf, und niemand will Miso-Brocken im Eintopf finden.

Welches Miso soll ich kaufen?

Für den Alltags-Koch-Einsatz ist die Supermarkt- beziehungsweise Asiashop-Ware völlig in Ordnung. Lesen Sie wie immer die Zutatenliste und achten Sie darauf, dass Ihr Miso möglichst keine (oder nur ganz wenige) Zusätze enthält.

Ich finde es gut, stets zwei Misos zu Hause zu haben, ein helles, süßliches, und ein dunkles, würziges. Kaufen Sie sie zunächst in kleinen Mengen und kosten sich durch, was Ihnen am meisten zusagt.

Hier eine kleine Auswahl für Connaisseure und spezielle Anlässe:

  • Luvi Ferment (und der Lukas Nagl) stellt allerlei köstliche Misos in Oberösterreich her.
  • Markus Shimizu macht mit seinem Mimi Ferments außergewöhnliche Misos in Berlin.
  • Schwarzwaldmiso ist ein sehr motivierter deutscher Miso-Produzent.
  • Auf dieser super Website gibt es ein superes Doubanjiang, das günstig ist und keinerlei Konservierungsstoffe enthält.
  • Im Wiener Asialaden kaufe ich meist Juan Cheng Hong You Douban hu, das in kleinen durchsichtigen Plastiktöpfen mit rotem Deckel gehandelt wird.

Was kann ich mit Miso machen?

Miso-Ramen.
Foto: Tobias Müller

Am besten verwenden Sie Miso genauso wie Sojasauce, Fischsauce oder Parmesan: Es ist schlicht ein weiteres, höchst potentes Mittel, um Ihrem Essen mehr Geschmack zu geben.

Hier eine wie immer unvollständige Liste:

  • Als Würze in Eintöpfen oder im Risotto: Der Kollege Corti rührt Miso gern ins Paprikahendl, ich mische es oft unters Risotto, und auch in der Pastasauce macht es sich hervorragend, genau so, wie Sie Parmesan oder Blauschimmel unterrühren würden.
  • Als Marinade für Fisch: Sie haben ein Fischfilet im Eis liegen, das weg muss, aber keine Zeit oder Lust zu kochen? Miso-Marinade ist ihre Lösung. Es macht ihn deutlich länger haltbar, gibt ihm eine festere Konsistenz und einen feinen kräftigen Geschmack, außerdem sorgt es dafür, dass er beim Braten besonders schön bräunt. Besonders gut geht das mit größeren Filets. In Japan liegt Fisch bereits fertig mit Miso mariniert im Supermarkt, aber selber machen ist keine Kunst: Einfach Miso mit etwas Wasser oder Mirin mischen, Fisch damit einreiben, ein, zwei Nächte im Kühlschrank ziehen lassen, genießen, fertig. Hier gibt's ein noch etwas aufwendigeres Rezept.
  • Als Marinade für Fleisch: Ist zwar in Japan weniger üblich, geht aber genauso gut wie mit Fisch.
  • Als Marinade für Gemüse: Die Miso-marinierte, gegrillte Melanzani ist eines der berühmtesten japanischen Gerichte außerhalb Japans, aber es gibt überhaupt keinen Grund, bei der Eierfrucht haltzumachen.
  • Zum Einlegen von Gemüse: In Japan als Misozuke bekannt und geliebt. Miso mit etwas Mirin und eventuell anderen Würzmitteln mischen, Gemüse darin vergraben, je nach Lust und Laune ein paar Stunden oder Tage liegen lassen, ausgraben genießen. Meist werden eher dunkle Misos verwendet. Hier gibt's mehr dazu.
Foto: Tobias Müller
  • Als Teil eines Salatdressings: Etwas Miso mit Zitronensaft, Olivenöl, bissl Sesampaste und eventuell etwas Chili mischen, und fertig ist ein wunderbares Dressing für Krautsalat. Geht natürlich auch für vieles andere.
  • Als Extrakick in Süßspeisen

Ach ja, und in die Suppe geben können Sie's natürlich auch. Am besten in jene für Miso-Ramen.

Dicke Suppe mit Miso.
Foto: Tobias Müller

Gruß-aus-der-Küche-Rezepte mit Miso (oder solche, wo etwas Miso vielleicht nicht dabei steht, aber gute Figur machen würde)

Foto: Tobias Müller
  • ... und vieles, vieles mehr

Fußnote: Miso beziehungsweise vergorene Würzpasten und Saucen scheinen mir einer der wesentlichen Unterschiede zwischen westlicher und östlicher Kochtradition.

Jede sesshafte, traditionelle Esskultur steht vor dem gleichen Problem: in großen Mengen vorhandene, billige, aber fade Zutaten schmackhaft zu bekommen. Die Antwort darauf ist oft die Vergärung. Europa vergärt meist kurz, dann aber gleich das ganze Essen: Weizen oder Roggen werden selten frisch gegessen, sondern in Hefe- beziehungsweise Sauerteigbrot und Bier verwandelt und als Grundnahrungsmittel gegessen. (Die wichtigste Ausnahme, die mir einfällt, ist Hartkäse, aber der war als Fettkäse lang ein seltenes Luxusprodukt für die Reichen.)

(Ost-)Asien macht es anders. Dort wird traditionell länger und viel mehr Verschiedenes vergoren, das Ergebnis aber nicht als Grundnahrungsmittel, sondern als Würze genutzt. Miso und Sojasauce sind die besten Beispiele. Die wichtigsten Kalorienlieferanten (Reis und früher Gerste) wurden und werden hingegen fast immer frisch gegessen. (Die offensichtlichste Ausnahme ist Reiswein, aber der hat in China, soweit ich weiß, nie eine Rolle als Grundnahrungsmittel gespielt.)

Das erzeugt stärkere, komplexere, vielfältigere Geschmäcker, und es erlaubt, diese Geschmäcker auch an andere Lebensmittel weiterzugeben. Mit Sojasauce und Miso können nicht nur Reis und Gerste gewürzt werden, sondern auch jegliche Art von Gemüse, oder, für die Glücklicheren, ein wenig Fleisch und Fisch.

Warum Europa nie auf die Idee gekommen ist, aus Getreide Würze zu machen, weiß ich nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass das bis heute mit einer der Gründe ist für die Gewürzarmut und Fadesse traditioneller europäischer Küche im Vergleich zu asiatischen, chinesisch geprägten Esskulturen. (Tobias Müller, 2.8.2020)