Die Verkaufszahlen von Rädern vervielfachen sich, ein Gutteil der neuen Drahtesel sind E-Bikes.

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Wien – Wer sich im Frühjahr auf ein neues, auf seine persönlichen Maße zugeschnittenes Rad schwingen will, sollte es im Sommer bestellen. Die Radlager im Handel waren noch nie so leer wie jetzt, Hersteller kommen in Europa mit dem Produzieren nicht nach.

Gut 260.000 Räder hat KTM heuer verkauft, 80 Prozent davon in Österreich und Deutschland. Für das laufende Geschäftsjahr stehen 250.000 weitere in den Auftragsbüchern.

"Wir haben in den ersten Wochen nach dem Shutdown mehr E-Bikes verkauft als im gesamten Vorjahr", sagt Stefan Limbrunner. Der Chef der größten österreichischen Fahrradschmiede beschäftigt in Mattighofen um 15 Prozent mehr Mitarbeiter als vor der Krise. Statt 800 montieren diese 1.000 Räder am Tag, bald sollen es 1.200 sein.

Fünf Mal mehr Räder für China

Die Pandemie ließ Geschäfte mit Drahteseln geradezu explodieren. In Europa haben sich die Verkaufszahlen im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt bis verdreifacht, meldete der Einzelhandelsriese Decathlon. China spricht von einer Verfünffachung. Hersteller gerieten angesichts komplexer Lieferketten ins Schwitzen, wird doch gut die Hälfte der Einzelteile aus Asien importiert. Nicht wenige strichen kurzerhand den Sommerurlaub ihrer Mitarbeiter.

KTM beschäftigt 600 Mitarbeiter im Fahrradbau, 400 davon in der Fertigung. Drei Wochen währte die Kurzarbeit im Rahmen des behördlichen Lockdowns. Dann rückte der Betrieb mit Fieberpistolen, Desinfektionsmittel und Betriebsärzten an. Arbeitsplätze wurden neu organisiert und Masken zur Pflicht. Die Produktion fuhr rasant hoch.

Virenfreies Strampeln

"Wer hätte vor sechs Monaten gedacht, dass die Leute nicht mehr Bus und U-Bahn fahren wollen?", sinniert Limbrunner. Das Rad erlebte schon vor Corona eine Renaissance. Denn die Österreicher halten Outdoorsport hoch. Elektroautos erleichtern ihr Gewissen, lösen aber nicht das Problem der Verkehrsstaus und der knappen Parkplätze. Die Krise hat den Zweiradboom noch einmal beschleunigt, erlaubt er doch virenfreies und der Gesundheit zuträgliches Strampeln.

Marcus Ihlenfeld zweifelt nicht daran, dass der Trend nachhaltig ist. "Wer auf öffentliche Verkehrsmittel verzichtet, merkt vielleicht, dass das nicht wehtut." Ihlenfeld entwickelte gemeinsam mit Christian Bezdeka vor sieben Jahren in einer Garage die Marke Woom. Mittlerweile beschäftigen die beiden in Klosterneuburg 100 Mitarbeiter. 142.000 Kinderräder gingen 2019 von hier aus in alle Welt. Es gibt kaum einen Park in Wien, auf dem der Nachwuchs nicht damit seine halsbrecherischen Runden dreht. Ihlenfeld spricht von einem jährlichen Wachstum des Familienunternehmens von mehr als 50 Prozent.

Neues Werk in Europa

Im Herbst baut Woom die Kapazitäten aus und lässt außer in Kambodscha auch in Rumänien produzieren. Er könne nicht für alle Fabriken in Kambodscha sprechen, sagt Ihlenfeld mit Blick auf umstrittene Arbeitsbedingungen in Fernost. "Wir waren in unserem Werk in den vergangenen dreieinhalb Jahren jedoch 60-mal vor Ort. Wir wissen, wie es dort läuft. Und wir werden Projekte vorantreiben, die den Menschen in Kambodscha helfen." Qualitätsprobleme könne sich Woom nicht leisten, auch das Werk in Rumänien sei hochprofessionell. Entwickelt und geforscht wird in Österreich.

Drei Monaten warten Eltern derzeit auf ein Kinderrad der jungen Marke. Das Griss um die Bikes sorgt dafür, dass gebrauchte Modelle auf Plattformen wie Willhaben mitunter teurer sind als neue, da rascher verfügbar. Er sei mit dieser Entwicklung nicht glücklich, sagt Ihlenfeld. Seit Corona sei die Nachfrage aber so stark, dass Woom mit zügigeren Lieferungen nicht nachkomme.

Konservativ geplant

"Wir haben stets sehr konservativ geplant, wir konnten es uns nicht leisten, zu viele Räder auf Lager zu haben." Auch seien diese mit 300 bis 400 Euro nicht gerade ein Schnäppchen. Der hohe Wiederverkaufswert sei sicher ein Kaufargument.

Gewinne erzielt Woom seit 2017. "Wer glaubt, er ist in diesem Geschäft nach zwei Jahren profitabel, der sitzt auf dem falschen Dampfer", meint Ihlenfeld. Vorsichtig ist er, wenn es darum geht, seinen Betrieb einen Gewinner der Krise zu nennen. Woom wechselte aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit Corona in Asien früher als andere ins Homeoffice. Ein Großteil der Mitarbeiter sind Frauen in Teilzeit, die in Zeiten von Corona einer starken Doppelbelastung ausgesetzt waren. "Sie alle leisten derzeit Enormes." (Verena Kainrath, 1.8.2020)