Viele Politiker in Südafrika schimpfen, dass das Land mit der Annahme des Hilfspakets seine Souveränität aufgegeben hätte.

Foto: imago/imagebroker/puchinger

Auch an diesem Wintermorgen ging die Sonne wieder strahlend über Südafrika auf – und nichts verriet, dass das Land ein anderes geworden war. Zum ersten Mal in seiner Geschichte nahm der Staat am Kap der Guten Hoffnung Mitte dieser Woche ein finanzielles Hilfspaket des Weltwährungsfonds (IWF) entgegen: Ein historisches Datum, das viele Politiker des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) wie der Teufel das Weihwasser zu vermeiden gesucht hatten. Südafrika habe seine Souveränität preisgegeben, schimpften sie: Fortan werde über die Wirtschaftspolitik des Landes nicht mehr in der Hauptstadt Pretoria, sondern im IWF-Sitz in Washington entschieden. Wirtschaftsminister Tito Mboweni hatte das internationale Kreditinstitut um 4,3 Milliarden US-Dollar gebeten.

Der Aufschrei der regierungseigenen Kritiker ist allerdings nur teilweise berechtigt. Bei dem Kredit handelt es sich um keine der Finanzspritzen des Währungsfonds, die mit weitreichenden Auflagen wie wirtschaftlichen Strukturreformen verbunden sind, sondern um ein Notprogramm im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, an das wesentlich weniger Bedingungen geknüpft sind.

Trotzdem wird das Darlehen am Kap als Beginn einer neuen Ära betrachtet: Kaum einer geht davon aus, dass es bei der einmaligen Nothilfe bleiben wird. Südafrika sei in den Klub der Staaten abgerutscht, die ohne IWF-Unterstützung und -Kuratel nicht mehr lebensfähig sind, titelt die Presse: Das Land habe den Rubikon überschritten.

Probleme vor Corona

Tatsächlich wurde Südafrika nicht erst von dem unbeherrschbaren Coronavirus in seine prekäre Lage gebracht. Zwar zwang der umstrittene, vier Monate anhaltende Lockdown die Wirtschaft des Landes wie kaum irgendwo anders in die Knie: Drei Millionen Arbeitsplätze wurden vernichtet, ganze Wirtschaftszweige wie der Tourismus und die Produktion alkoholischer Getränke zumindest vorübergehend ausradiert.

Allerdings befand sich Südafrika schon zu Beginn der Pandemie in einer Rezession, die keineswegs von äußeren Schocks hervorgerufen wurde: Das Wachstum hatte sich in Schrumpfung verwandelt, die Arbeitslosigkeit war selbst nach beschönigender Berechnung auf über 30 Prozent geklettert. Das war der katastrophalen Politik des korrupten Präsidenten Jacob Zuma zuzurechnen, die Analysten zufolge einen direkten Schaden von umgerechnet mehr als zehn Milliarden Euro angerichtet hatte – vor allem bei den ausraubten Staatsbetrieben.

Indirekter Schaden noch größer

Der indirekte Schaden war noch wesentlich größer. Bei seiner Patronage-Politik hatte Zuma auf die Unterstützung des vor allem im öffentlichen Dienst beschäftigten schwarzen Mittelstands gesetzt: Ihm ließ seine Regierung eine kräftige Lohnerhöhung nach der anderen zukommen – bis schließlich 60 Prozent des Staatsbudgets für die Gehälter von 1,3 Millionen Beschäftigten (2,2 Prozent der Bevölkerung) aufgewendet werden mussten. Bei den Ratingagenturen leuchteten schon damals die Warnlichter auf: Zug um Zug werteten sie Südafrika ab, bis das Kap schließlich im Ramschstatus angelangt war.

Zumas Nachfolger Cyril Ramaphosa wusste um die Misere und versprach Abhilfe: Doch der joviale Verhandlungskünstler hat bislang nicht den Mut für entscheidende Eingriffe aufgebracht. Ein wesentlicher Grund dafür: Seine Partei, der ANC, ist tief gespalten, weshalb Ramaphosa nur mit hauchdünner Mehrheit an die Macht kam und seitdem auf die Unterstützung der Gewerkschaften angewiesen ist. Diese sind in erster Linie auf die Wahrung der Interessen der wenigen Südafrikaner mit festem Arbeitsplatz ausgerichtet: Sie treten gegen flexiblere und billigere Arbeitsplätze ein, von denen sich Unternehmen Fortschritte im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit versprechen. Unternehmerfreundliche "Marktliberale" und arbeitnehmerfreundliche "Sozialisten" sitzen sich in Ramaphosas Kabinett unversöhnlich gegenüber.

Sündenfall Finanzminister

Für Letztere ist Finanzminister Mbowenis Gang nach Washington ein Sündenfall mit unübersehbaren Konsequenzen. Sie befürchten, dass der IWF Südafrika zu einem Sparprogramm zwingt: Schon jetzt musste sich Mboweni verpflichten, "alle nötigen Maßnahmen" zu ergreifen, um die Schuldenlast des Landes zu begrenzen.

Im Corona-Jahr wird Südafrika Steuereinnahmen in Höhe von 15 Milliarden Euro verlieren, seine Wirtschaft wird um weitere sieben bis zehn Prozent schrumpfen, die Schuldenlast auf über 16 Prozent des Haushalts oder mehr als 80 Prozent des BIP in die Höhe schießen. Statt zu sparen, solle die Regierung mit staatlichen Investitionsprogrammen die Ökonomie ankurbeln, fordern die Gewerkschaften.

Schnelle Hilfe durch IWF

Das wurde mit dem IWF-Kredit zumindest vorübergehend verhindert: Experten fürchten nun allerdings, dass die dringend nötigen strukturellen Reformen wie die Reduzierung der Zahl der staatlichen Beschäftigten, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die Öffnung des Landes für hochqualifizierte Arbeitskräfte auch weiterhin nicht angegriffen werden. Die Finanzspritze werde die Regierung zur Nachlässigkeit verleiten, heißt es: Ganz abgesehen davon, dass sich einmal mehr die Räuber innerhalb der Regierungspartei über den Fleischtopf hermachen könnten.

Selbst in Zeiten der Corona feiert die Korruption am Kap nämlich fröhliche Urstände: Mancher "Comrade" scheut nicht einmal davor zurück, sich Mittel unter den Nagel zu reißen, die andere zum Überleben gebraucht hätten. Südafrika ist mit ein paar IWF-Milliarden noch lange nicht geholfen. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 1.8.2020)