Gabriele Heinisch-Hosek: "Wir müssen Frauen die Konsequenzen von Teilzeit klar machen."

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Das Frauenministerium lag zehn Jahre, von 2007 bis 2017, in der Hand der SPÖ. Gabriele Heinisch-Hosek war von 2008 mit einer kurzen Unterbrechung bis 2016 Frauenministerin. An der Politik der nunmehrigen Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) übt sie scharfe Kritik. Die Verantwortung dafür, dass die krisenbedingten Probleme von Frauen auch wegen frauenpolitischer Versäumnisse der letzten Jahre so groß sind, sieht sie ebenfalls vor allem beim ehemaligen Koalitionspartner.

STANDARD: Sie sagten kürzlich, die jetzige Krise zeige die frauenpolitischen Versäumnisse der Bundesregierung. Aber sie zeigt auch strukturelle Probleme, die wir aus Jahrzehnten mitnehmen, in denen auch die SPÖ in der Regierung war.

Heinisch-Hosek: Wir haben immer alles versucht, was möglich ist, das weise ich deutlich zurück – von dem sukzessiven Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen bis zur Lohntransparenz. Immerhin konnten wir beim Gender Pay Gap die Schere ab 2009 von rund 26 Prozent auf 19 Prozent verkleinern. Das mag jetzt nach nicht viel klingen, aber es waren viele kleine und stetige Fortschritte. Und vieles ging mit der ÖVP einfach nicht.

STANDARD: Bei den Einkommensberichten, die Sie als Frauenministerin einführten, fehlt jegliche Verpflichtung. Warum auch keine Sanktionen für Firmen, die keine Berichte vorlegen?

Heinisch-Hosek: Eine gesetzliche Verbesserung der Einkommensberichte haben wir etliche Male im Sozialausschuss eingebracht, sie wurde immer wieder abgelehnt. Auch von den jetzigen Regierungsparteien, auch von den Grünen. Wir kommen da keinen Millimeter weiter. Das Interesse, dass Frauen gleich bezahlt werden, dürfte sich nur in Sonntagsreden abspielen – besonders in denen der Frauenministerin.

STANDARD: Die Arbeitgebervertretung für den Handel sendet für die KV-Verhandlungen im Herbst keine guten Signale aus. Mit Beginn der Corona-Krise war davon die Rede, dass man nun sehe, wie wichtig diese Berufe seien. Kann es wirklich sein, dass davon nichts bleibt?

Heinisch-Hosek: Es wurden 50 Milliarden Euro an Hilfen veranschlagt, manches davon gelangte zur Auszahlung, manche haben noch immer kein Geld gesehen. Aber für die einzelne Frau hat nicht viel rausgeschaut. Die Menschen müssen von dem, was sie verdienen, leben können, sofern sie noch Arbeit haben. Wenn die Regierung großblumig sagt, wir müssen alles tun, dass die Menschen im Arbeitsprozess bleiben, dann muss auch eine generelle Arbeitszeitverkürzung Thema sein und dass man in die Kinderbetreuung ordentlich investiert, damit es für Frauen möglich ist, aus der Teilzeitsituation rauszukommen. Ein bisschen Teilzeitarbeit, ein bisschen Homeschooling, ein bisschen Pflege zu Hause – Frauen können sich in dieser Situation à la longue nicht wohlfühlen, weil sie davon einfach nicht leben können. Es gibt sehr viele Trennungen, wie sollen da Frauen mit oder ohne Kinder Miete bezahlen und durchs Leben kommen? Dazu höre gar nichts von der Frauenministerin und kaum was von der Arbeitsministerin.

STANDARD: Die SPÖ-Frauen haben ein Arbeitsmarktpaket für Frauen gefordert. Was genau soll da rein?

Heinisch-Hosek: Die Frauen- und die Arbeitsministerin müssten einen Krisengipfel mit NGOs und den AMS-Frauen machen, um zu schauen, wie die Lage ist. Dass 85 Prozent der Corona-Arbeitslosen Frauen sind, zeigt, dass schleunigst etwas passieren muss. Etwa eine Wiedereinführung der Zweckbindung von 50 Prozent der AMS-Mittel für Frauen, das von uns vorgeschlagene staatlich geförderte Vier-Tage-Modell mit 94,6 Prozent des Letztgehalts, aber nur 80 Prozent der bisherigen Arbeitszeit – das wären Möglichkeiten, jetzt erst mal über die Runden zu kommen. Die Sonderbetreuungszeit müsste auch verlängert werden, und es muss einen Rechtsanspruch dafür geben. Den brauchen wir so lange, wie wir diese Unsicherheit haben, ob eine Schule plötzlich geschlossen wird. Und natürlich braucht es auch einen Rechtsanspruch auf Gratiskindergarten, Krippen und Ganztagsschulen. Wenn nur Teile von alldem verwirklicht wären, wäre das für den Herbst eine Erleichterung für Frauen.

STANDARD: Die Vier-Tage-Woche soll auch die Familienarbeit besser verteilen? Die Zahlen zu den Väterkarenzen zeigen, dass sich Männer bisher nur schwer motivieren lassen.

Heinisch-Hosek: Unser Modell ist nichts anderes als eine neue Variante von Kurzarbeit. Unser Vorschlag würde auch in Betrieben angeboten werden, in denen vorwiegend Männer arbeiten. Sie würden nicht viel vom Gehalt verlieren, und Frauen könnten zum Beispiel von ihrer 15-Stunden-Teilzeit auf 30 Stunden aufstocken. Es ist ein Benefit für beide: Männer hätten weniger Stunden, aber fast das gleiche Gehalt, und Frauen könnten ihre Teilzeitarbeitsplätze aufwerten – das Gesamteinkommen könnte sich so sehen lassen.

STANDARD: Besonders schwer haben es derzeit Alleinerziehende, was müsste für sie getan werden?

Heinisch-Hosek: Das Allerwichtigste wäre erst einmal ein automatischer Unterhaltsvorschuss nach Trennung, wenn Männer nicht mehr zahlungswillig oder zahlungsfähig sind. Doch es zeigt sich, dass es in Österreich offenbar nicht möglich ist, sich gegen eine gewisse Männerlobby durchzusetzen, um den Kindern von getrennt lebenden Eltern automatisch einen Unterhaltsvorschuss zukommen zu lassen. Nur das kann ermöglichen, dass Kinder am Bildungsgeschehen und am realen Leben so gut wie möglich teilnehmen können. Ich zähle da auf die jetzige Justizministerin, aber ich höre nichts von der Frauenministerin, dass gesetzlich ein automatischer Unterhaltsvorschuss verankert werden soll.

STANDARD: Viele Frauen wollen ganz bewusst nur Teilzeit arbeiten oder ihre Kinder nicht mit zwölf Monaten in eine Krippe geben – trotz finanzieller Einbußen. Diese Entscheidungen kann man Eltern ja nicht absprechen, oder?

Heinisch-Hosek: Ich würde keiner Frau vorschreiben wollen, wie sie leben soll. Aber ich würde versuchen, die Konsequenzen aufzuzeigen: Wenn man zu lange in Teilzeit verharrt, dann kommt am Ende ihrer Berufszeit nicht viel Pension heraus. Dieses Immer-wieder-darauf-aufmerksam-Machen, das macht uns zwar nicht immer beliebt, aber wir müssen es tun. Das ist unsere frauenpolitische und unsere feministische Aufgabe. Was Frauen aber mit diesem Wissen machen, das ist allein ihre Entscheidung. Das Zuhausebleiben der Frauen wird aber auch romantisiert. Wenn man Kinder betreuen muss, zu pflegende Angehörige hat und den gesamten Haushalt schupfen muss, dann kann man oft auch nicht sehr viel Zeit mit seinen Kindern verbringen. Diese Idylle, in der man sich ganz dem Kind widmen kann, die existiert ja in den wenigsten Fällen und nur dort, wo man es sich leisten kann, dass ein Elternteil gar nicht arbeiten geht. (Beate Hausbichler, 28.8.2020)