Am Samstag waren erneut mehrere tausend Menschen in mehreren Regionen des Landes gegen Netanjahu auf die Straße gegangen.

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Tel Aviv – Tausende Israelis haben am Samstag erneut an mehreren Orten des Landes gegen Korruption und das Krisenmanagement von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Corona-Pandemie protestiert. Nach Angaben eines Sprechers der Polizei vom Samstagabend nahmen an einer Demonstration nahe der offiziellen Residenz des 70-Jährigen in Jerusalem mehr als 10.000 Menschen teil. Sie forderten den Rücktritt des Regierungschefs.

Gegen 2.00 Uhr am Sonntagmorgen löste die Polizei die stundenlange Kundgebung gewaltsam auf und nahm zwölf Demonstranten fest. Dabei hätten die Sicherheitskräfte "angemessene Gewalt" eingesetzt, erklärte ein Polizeisprecher. Dagegen sagt eine Demonstrantin, die Polizei sei "übermäßig aggressiv" vorgegangen.

Netajahu spricht von "Coronavirus-Brutkästen"

Seit Wochen kommen jeden Samstag mehr Gegner Netanjahus nahe der offiziellen Residenz des Regierungschefs zu Demonstrationen zusammen. Der Ministerpräsident verurteilte am Sonntag die "linken" Demonstrationen gegen seine Politik als "Coronavirus-Brutkästen". Er sehe einen Versuch, die Demokratie im Namen der Demokratie zu zertrampeln. Die Demonstranten würden weder Masken tragen noch den Sicherheitsabstand einhalten. Die meisten Medien seien einseitig. "Sie berichten nicht über die Proteste; sie nehmen an ihnen teil" und machten sogar für sie Werbung, sagte Netanjahu. Dagegen würden die Medien tägliche Morddrohungen gegen ihn und seine Familie verschweigen.

Netanjahu erklärte, er habe nicht zu den Demonstrationen Stellung nehmen wollen. Er tue dies nur, weil sein Verteidigungsminister Benny Gantz vom Koalitionspartner Blau-Weiß im Kabinett das Demonstrationsrecht als "Lebensblut der Demokratie" bezeichnet habe. Netanjahus rechter Likud hatte im Mai mit dem Mitte-Bündnis Blau-Weiß eine Regierung der nationalen Einheit gebildet, um der Pandemie Herr zu werden und erneute Neuwahlen zu vermeiden.

Demos gegen Netanjahu

Zu einer Kundgebung an der Privatresidenz Netanjahus in der Küstenstadt Caesarea waren am Samstag nach Angaben der Polizei weitere 1.000 Menschen gekommen. Demonstriert wurde auch in Tel Aviv und anderswo. Die Polizei war mit Hunderten Beamten im Einsatz, nachdem am Dienstag bei einem Anti-Netanyahu-Protest in Tel Aviv Demonstranten von mutmaßlichen Rechten angegriffen worden waren.

In der Corona-Krise werden Netanjahu unter anderem vorschnelle Lockerungen und eine mangelnde Vorbereitung auf eine zweite Welle vorgehalten. Die Arbeitslosigkeit in dem Land liegt wegen der Folgen der Pandemie bei mehr als 20 Prozent. Gegen Netanjahu läuft zudem ein Gerichtsverfahren wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit. Viele Israelis wollen nicht akzeptieren, dass Netanjahu trotz des Prozesses weiter im Amt ist. Der Ministerpräsident streitet alle Vorwürfe ab.

Netanjahus Sohn vor Gericht

Wegen umstrittener Twitter-Botschaften im Zusammenhang mit den Anti-Regierungs-Protesten musste sich indes Netanjahus vor Gericht verantworten: Yair Netanjahu hatte am Donnerstag die Privatadressen von einigen Organisatoren der Proteste bei Twitter veröffentlicht.

Ein Gericht in Jerusalem wies den 29-Jährigen am Sonntag an, den Tweet zu löschen und die Betroffenen sechs Monate lang nicht mehr zu "belästigen". Yair Netanjahu erklärte im Anschluss, das Gericht habe von seiner Verteidigung vorgelegte Beweise "völlig ignoriert". Der 29-Jährige gab an, er sei von den Protest-Anführern bedroht worden.

Yair Netanjahu gilt als vehementer Verteidiger seines Vater und sorgte bereits in der Vergangenheit mit umstrittenen Äußerungen in Onlinediensten für Kontroversen. Unter anderem beklagte er auf Facebook eine angebliche Verschwörung gegen seine Familie. (red, APA, 1.8.2020)