Hans Rauscher ordnet Donald Trump im “Einserkastl“ im STANDARD in ein psychiatrisches Klassifikationsschema ein. Ein durchaus kreativer mentaler Schachzug, um den Persönlichkeitstypus Trumps assoziativ einzuordnen. Allzu eindimensionales Klassifizieren oder Kategorisieren ist jedoch kein Diagnostizieren. Eine Differentialdiagnostik des US-Präsidenten aus der Ferne ist einerseits schwer bis gar nicht möglich und anderseits selbst mit dem real verfügbaren “Forschungsobjekt“ eine Königsdisziplin. Einen vorsichtigen Schluss kann man aus dem spannenden Beitrag des Kolumnisten allerdings über diesen selbst ziehen: Er würde wahrscheinlich eher nicht zur potenziellen Wählergruppe des republikanischen Spitzenkandidaten gehören.

Relativierung und Reaktanz

Die Relativierung und Pathologisierung des politischen Gegners macht die eigene Gesinnungsgemeinschaft nicht besser und unabhängig davon motiviert dieses Vorgehen mögliche Anhänger und Sympathisanten, im Sinne des psychologischen Phänomens der Reaktanz, erst recht für den Grenzgänger zu stimmen. Ja, Trump ist nicht unbedingt ein Sympathieträger und wahrscheinlich mit zahlreichen Defiziten behaftet. Eines muss man ihm aber lassen: Während viele ihre Selbstreflexion bis hin zur Neurose kultivieren, leidet "The Donald", aufgrund eines natürlich angeborenen Abwehrreflexes, nicht unter dem Phänomen des pathologischen Selbstzweifels. Ganz im Gegenteil, alles was er macht ist schlichtweg “great“. Mit dem Gefühl der Minderwertigkeit trifft Rauscher den Nagel diagnostisch jedoch auf den Kopf, denn jenes verbindet Trump im kollektiven Unbewussten mit seiner Wählerschaft.

The great Donald.
Foto: AP Photo/Patrick Semansky

Sein, Schein und Schwein

Doch wie konnte es soweit kommen? Diese Frage sollten sich die Demokraten in Amerika genauso wie die Sozialdemokraten in Europa stellen. Wie kann es denn sein, dass so viele dem "Bösen" hinterherlaufen? Wie sind diese mit den Menschen umgegangen und vor allem welches Gefühl haben sie ihnen vermittelt, dass der Egoman die neue Hoffnung ist? Wenn man seine Kinder schlecht behandelt, darf man sich nicht wundern, wenn diese ihre Zukunft in einer sogenannten “schlechten“ Gesellschaft suchen.

Der renommierte Soziologe und vagabundierende Kulturwissenschafter Roland Girtler erforschte gesellschaftliche Randgruppen von Ganoven über Freudenmädchen bis hin zu Obdachlosen. Eines zeichnet den Feldforscher besonders aus - Girtler geht mit einer positiven Grundhaltung und Respekt auf alle Menschen zu. Dies macht neben der akademischen gerade seine menschliche Exzellenz aus, um die es in allen Arbeitsfeldern wirklich geht. Er erklärt im ero-epischen Gespräch einen Zusammenhang, welcher ebenso für die politische Karriere Trumps von hoher Relevanz ist, nämlich dass man für Erfolg etwas Sein, ein bisschen Schein und noch mehr Schwein braucht.

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Let‘s make ourselves great again

Trotz aller Abwertungen, die Trump selbst für andere Menschen und Randgruppen parat hat, sollte man sich selbst nicht auf das gleiche Niveau begeben. Die Schwäche des einen ist nicht gleich die Stärke des anderen. Die Demokraten in Amerika, wie auch die Sozialdemokraten in Europa, wären gut beraten, anstatt mit dem Finger auf die Feindbildgewinner auf konservativer Seite zu zeigen, an ihrer eigenen Personalentwicklung zu arbeiten. In vielen von uns schlummert ein kleiner oder größerer Narzisst. Es darf einem nur nie die Fähigkeit zur Empathie in wesentlichen Momenten des Lebens abhandenkommen, denn ab diesem Punkt verliert man die existenziell wichtige Bodenhaftung. Es scheint so, als wäre der sonst so selbstsichere US-Präsident gerade in einer Phase des Selbstzweifels, um bei den Ferndiagnosen zu bleiben. Setzt er sein - laut Eigendiagnose - hohes kognitives Potenzial (“Weil ich kognitiv da bin“) ein, um die Wahl im Sinne der emotionalen Intelligenz zu seinen Gunsten zu entscheiden oder wird er zunehmend durch die Corona-bedingt angespannte Lage in den USA demoralisiert? Wir werden es höchstwahrscheinlich im November sehen. (Daniel Witzeling, 4.8.2020)

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