Michele Conia, Bürgermeister von Cinquefrondi, vor einer Zeile von Häusern, die um einen Euro einen Käufer suchen.

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Ein Haus in Gangi, das um einen Euro zum Verkauf steht.

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Die Kleinstadt Gangi in Sizilien: Hier haben bereits 120 Käufer aus der ganzen Welt ein Haus um einen Euro erworben.

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Blick auf die Dächer von Gangi – im Hintergrund die Hügellandschaft der Madonie in Sizilien.

Bürgermeister Michele Conia führt durch die engen Gässchen des historischen Zentrums zur Kirche der Heiligsten Maria von Carmine mit ihren zwei Glockentürmen. Vom barocken Gotteshaus aus gelangt man nach wenigen Metern zur Scalinata dei diritti, der "Treppe der Rechte", die zu einem idyllisch anmutenden Orangenhain hinunterführt. An der Westseite dieser grünen Oase der Ruhe befindet sich eine Zeile von leerstehenden, zum Teil bereits etwas zerfallenen Altstadthäusern, beleuchtet vom warmen Licht der Abendsonne: Sie stehen zum Verkauf, für einen symbolischen Euro.

"Das Projekt der Ein-Euro-Häuser ist ein Teil unseres Programms 'rinascita' (Wiedergeburt, Anm.), mit dem ich vor fünf Jahren mit meiner Bürgerbewegung die Wahlen gewonnen habe", sagt der heute 44-jährige Jurist Conia. Die Häuser, die nun um einen Euro verkauft werden, stünden zum Teil seit Jahrzehnten leer. Die einstigen Besitzer seien ausgewandert, und ihre Erben hätten weder eine Verwendung für sie, noch verfügten sie über die finanziellen Mittel, sie wieder herzurichten und bewohnbar zu machen.

"Sie bezahlen bloß noch die Liegenschaftssteuern und andere Kosten – auch für die Eigentümer ist unsere Initiative deshalb von Vorteil, selbst wenn sie ihre Häuser nun sozusagen verschenken", betont Bürgermeister Conia. Das Problem der Emigration betrifft unzählige ländliche Gemeinden in Italien – besonders ausgeprägt ist die Abwanderung im armen Mezzogiorno, dem Süden des Landes. Die Jugendarbeitslosigkeit in Kalabrien beträgt bis zu 50 Prozent – "vor allem die gut ausgebildeten Jungen versuchen ihr Glück deshalb in Norditalien oder im Ausland", sagt Conia.

Bevölkerungsschwund in Cinquefrondi

Cinquefrondi, das heute noch 6.400 Einwohner zählt, hat in den letzten Jahrzehnten ein Fünftel seiner Bevölkerung verloren. "Unser Ort war vernachlässigt und leerte sich immer mehr", sagt Conia. Es handle sich nicht zuletzt auch um ein psychologisches Problem: "Man hat sich an die Resignation gewöhnt: 'Hier kann man ja ohnehin nichts machen' – das hörte man immer wieder." Auch Michele Conia selbst hatte seine Heimatstadt vorübergehend verlassen und lebte einige Jahre in Deutschland.

Cinquefrondi hat außerdem – wie ganz Kalabrien – noch ein anderes Problem: die 'Ndrangheta. Der Ort liegt am Fuß des Aspromonte-Gebirges in der Ebene von Gioia Tauro, einer schönen, fruchtbaren Ebene mit großen Zitrusplantagen und Olivenhainen – doch die "Piana" gilt als besonders durchdrungen von den Clans der kalabresischen Mafia. "Bevor wir mit unserem Programm 'rinascita' gewählt wurden, hat man von Cinquefrondi nur im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität geredet, Schlagzeilen gab es ausschließlich bei Razzien und Verhaftungen", betont Conia.

Modellgemeinde

Das ist heute anders: Das ehemalige Mafia-Nest gilt landesweit als Modellgemeinde – als Stadt, die bewiesen hat, dass man sich gegen den Einfluss und die Einschüchterungen der Clans zur Wehr setzen kann. Die Wiedergeburt von Cinquefrondi bestand zunächst aus unzähligen Verschönerungen der Altstadt: Viele Brunnen, die zum Teil noch aus der Antike stammten und nicht mehr in Betrieb waren, hat Conia sorgfältig restaurieren lassen, verwahrloste Parks wurden wieder zugänglich gemacht. Die Gemeinde hat mehrere Spielplätze eingerichtet, die alten Straßen wurden vom Asphalt befreit und mit den alten Kopfsteinen gepflastert.

In diesen Tagen wird die Hauptstraße, der Corso Garibaldi, saniert. Die Idee hinter den Aufwertungen: "Wenn man einen Park, einen Platz oder eine Straße sich selbst überlässt, dann wird dieser Raum von der 'Ndrangheta okkupiert – die Mafia nutzt ihn für Drogengeschäfte oder andere kriminelle Aktivitäten. Wenn man diese Orte aber wieder der Gemeinschaft zugänglich macht, dann nimmt man der Mafia diesen Raum", betont der Bürgermeister. Um die Dorfgemeinschaft zu stärken, haben Conia und seine meist jungen Mitstreiter auch das kulturelle Geschehen wiederbelebt: "Wir haben eine Serie von Veranstaltungen eingeführt, mit Musik, Kino und Theater." Das alte Gemeindehaus wird derzeit zu einem Kulturzentrum und Museum umgestaltet.

Wer ein Ladengeschäft im Ortskern eröffnet, muss zwei Jahre lang keine Steuern zahlen und erhält von der Gemeinde außerdem ein symbolisches Startkapital von 1.000 Euro. "Wir haben dafür gesorgt, dass man sich hier wieder zu Hause fühlen kann und nicht mehr wegziehen will. Alles, was wir tun – auch die Aktion mit den Ein-Euro-Häusern –, dient dem gleichen Ziel: Wir wollen die Hoffnung wecken, dass die Stadt nicht schicksalhaft dem Aussterben geweiht ist."

Zahlreiche Anfragen

Auch das Projekt der Ein-Euro-Häuser dürfte zu einem Erfolg werden, zumal Cinquefrondi ideal gelegen ist: Das Tyrrhenische und das Ionische Meer sind nur zwanzig Autominuten entfernt. Der Nationalpark Aspromonte, in dem Cinquefrondi liegt, ist ein Natur- und Wanderparadies. Seit dem Ende des Lockdowns wird die Gemeindeverwaltung von Anfragen wegen der Ein-Euro-Häuser förmlich überschwemmt. Innerhalb von wenigen Wochen habe die Gemeinde 17.000 Mails von Interessenten aus aller Welt erhalten, "ein Inferno", lacht Conia. Und über 500 Bewerber hätten bereits das formelle Antragsformular eingereicht – bei derzeit nur elf verfügbaren Häusern.

Nun ist Conia fieberhaft auf der Suche nach weiteren Mitbürgern, die bereit wären, ungenutzte und renovierungsbedürftige Häuser für einen Euro zu verkaufen. "Wir wollen ja die Interessenten nicht enttäuschen – aber mit einer solchen Flut von Anfragen haben wir nicht gerechnet." Wer in Cinquefrondi ein Haus um einen Euro kaufen will, muss nur eine Bedingung erfüllen: Er muss sich verpflichten, das Haus innerhalb von drei Jahren zu renovieren. Daneben gibt es für den Käufer keine Auflagen, insbesondere besteht keine Pflicht, seinen Wohnsitz nach Cinquefrondi zu verlegen.

Sabotageakte der Mafia

Der Kaufhandel als solcher erfolgt unter Privaten, zwischen dem Besitzer des Hauses und dem Käufer. Die Gemeinde trete nur als Vermittlerin auf und helfe den Parteien bei der Abwicklung der bürokratischen Abläufe, erklärt Conia. Der Käufer müsse lediglich eine Versicherung abschließen für den Fall, dass er das Haus dann doch nicht renovieren sollte: Mit der Versicherungssumme würden die Gemeinde und der Hausverkäufer für die Umtriebe entschädigt. Nach erfolgter Renovierung erstattet die Gemeinde dem Käufer die bezahlten Prämien zurück.

Und die 'Ndrangheta? "Die hat sich zu Beginn natürlich gegen unsere Offensive gewehrt: Ich bekam mehrere Morddrohungen, es gab Sabotageakte gegen die Wasserversorgung der Gemeinde", sagt Conia. Ganz vorbei sei das noch nicht, aber die Situation habe sich inzwischen "stark gebessert". Der Jurist Conia ist frühzeitig zum Gegenangriff übergegangen: Die Gemeinde tritt in jedem Gerichtsprozess gegen lokale Mafiosi als Zivilklägerin auf. Dasselbe tut sie auch in Fällen von Gewalt gegen Frauen.

Den Kampf für Legalität und Bürgerrechte symbolisiert die Scalinata dei diritti, die hinter der Kirche zu den Ein-Euro-Häusern führt: eine zuvor nicht mehr passierbare Treppe, die unter Conia saniert und in den Farben des Regenbogens angemalt wurde. "Es entsteht gerade wieder ein Gemeinschaftsgefühl, ein Gefühl von Widerstand gegen die Resignation", betont Conia. In Cinquefrondi sind es nun die Clans, die allmählich resignieren – während unter den Bewohnern die Hoffnung zurückgekehrt ist. (Dominik Straub aus Cinquefrondi, 3.8.2020)