André Kaczmarczyk (dahinter Hanns Zischler) im Schnee und mit Mauerschauer-Funktion.

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Hilft eine Indianerfeder gegen die Schrecklichkeiten der Welt? Natürlich nicht oder, sagen wir, eventuell eine Zeitlang. Zdeněk Adamec, der Peter Handkes neuem Stück den Titel gebende Teenager aus der tschechischen Kleinstadt Humpolec, hat sich eine Feder ins Haar gesteckt und ging mit ihr durch die Straßen. Im Handke-Universum ist das ein Indiz für ferne Träume, für Sehnsucht nach dem anderen, ein Aufruf zu mehr Feinfühligkeit, aber auch ein Wahrzeichen für Stolz und Mut. Die Feder gehört zum poetologischen Wunderkasten des Autors wie ein Korb Äpfel, ein alter Schlitten oder Schneeflocken.

Zdeněk Adamec hat es also versucht. Er hielt die Feder hoch. Geholfen hat es nichts. Im März 2003 hat sich Zdeněk, 18 Jahre alt, am Wenzelsplatz in Prag aus Protest gegen den Zustand der Welt, gegen das scheinbar "demokratische System", wie er in seinem Abschiedsbrief schreibt, mit Benzin übergossen und angezündet. Handke ruft nun in die Geschichte zurück. Eine Gruppe von wild zusammengewürfelten Menschen kommt wie aus dem Nichts heraus über diesen Märtyrertod ins Sprechen.

Ins Reden kommen

Darum geht es: gemeinsam ins Reden kommen. So wie Handke in "Immer noch Sturm" ein gemeinschaftliches Reden über die eigene Familiengeschichte in Gang setzte oder wie er bereits 1989 im "Spiel vom Fragen" eine Pilgergruppe, sich miteinander austauschend, in die Welt entsandte, so nimmt nun das schlicht als "Eine Szene" kategorisierte jüngste Drama diesen Rede-Faden weiter auf. Natürlich ist "Zdeněk Adamec" auch eine Form von Requiem auf einen jungen Mann. Doch noch viel mehr geht es hier um den Zustand der Welt, die Zdeněk verlassen hat, und darum, inwiefern "wir" (also die uns auf der Bühne repräsentierende Gruppe der Spieler) überhaupt fähig sind, sie zu lesen und sie im Widerstreit mit den anderen zu bewerten.

Zusammenkunft im Heartbreak-Café: Nahuel Pérez Biscayart, André Kaczmarczyk und Luisa-Céline Gaffron (v. li.).
Foto: APA/Barbara Gindl

Es sind solcherart die schwierigsten Texte, mit denen sich das Theater konfrontieren kann, weil sie alles offen lassen und zugleich zahlreiche Anknüpfungspunkte geben und obendrein mit einer Fragilität daherkommen, die nicht das geringste Plumpe oder Abgewetzte erlaubt. Regisseurin Friederike Heller, die mit Handkes Sprechstücken seit "Untertagblues" 2004 am Akademietheater vertraut ist (und für diese Inszenierung zur Nachwuchsregisseurin des Jahres gewählt wurde), hat diesmal allzu viel Scheu.

Schweigen und schwelgen

Auf der Drehbühne im Landestheater arrangiert sie lediglich das, was der Text begrifflich vorgibt: Menschen, die einander an einem indefiniten Ort – wie man später erfährt, sei es ein Heartbreak-Café – zuhören und ihre wie auch immer zustande gekommenen Versionen von Zdeněks Geschichte samt dazugehörigen Welterklärungen unterbreiten. Und das bedeutet bei Handke: sich ins Wort fallen, verbessern, ausholen, zu lange Sätze verwenden, zu viele Details einbauen, sich gegenseitig infrage stellen, einander etwas vorgaukeln, ein wenig singen, ins Tanzen verfallen, schweigen, auch schwelgen, das Ich einbringen und sich millimeterhaft weiterentwickeln: Sie verändern ihre Kleidung, ziehen den Mantel aus oder wechseln von grünen Cowboystiefeln in Badeschlapfen. Und dabei immer friedlich bleiben. Das ist schon schön, aber für zwei Stunden allzu gleichförmig, auch kraftlos.

Nobelpreisträger Peter Handke in Salzburg vor der Premiere von "Elektra".
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Immerhin gibt es eine Combo (Komposition: Peter Thiessen von der Hamburger Band Kante), die das Herumstehen, -gehen und -sitzen der Spielerinnen und Spieler immer wieder aufmischt, so wie in einem Lokal eine Jukebox (ein Handke-Klassiker) Bewegung in die Gäste bringt. Es sind sieben Schauspieler, die an diesem mit hoch aufragenden Scheinwerfergerüsten verstellten Platz zusammenkommen. Er gleicht eher einer leeren Kathedrale denn einem abgerockten Café (Bühne: Sabine Kohlstedt, Licht: Olaf Freese). Es sind Menschen, die es namentlich nicht gibt, sie existieren nur durch die stets in Anführungsstriche gestellten Reden, durch ihr abwechselndes Zu-Wort-Kommen.

Ohne Zuschreibungen

Ein Strom abwechselnder Reden ohne Zuschreibungen. Jeder und jede kann alles sagen. Das ist auch ein politisches Statement. Niemand hier wird auf eine Repräsentationsschiene geschoben, nicht mustergültig verfolgt von seinem Alter, seinem Geschlecht, seiner Herkunft. Handke setzt Vielfältigkeit voraus (es könnte allerdings noch vielfältiger gehen), die sich an nichts als den Namen der Darsteller festmachen lässt: Hanns Zischler, Sophie Semin, Christian Friedel, Luisa-Céline Gaffron, André Kaczmarczyk, Eva Löbau, Nahuel Pérez Biscayart.

Und darin liegt der Wert des Stücks: Es sucht – wie schon viele Handke-Dramen zuvor – nach einer neuen, glaubwürdigen Dialogform, die dem Theater schon seit geraumer Zeit weggerutscht ist. Und: Es tastet nicht zuletzt die Dialogfähigkeit ab in einer von Polarisierung und Populismus zurechtgestutzten Zeit. (Margarete Affenzeller, 3.8.2020)