Die Tage, sagte P., würden schon wieder kürzer. Nicht sehr, aber eben doch. Das sei zwar im Hochsommer noch nicht wirklich wichtig, aber ein bisserl aufpassen müsse ich schon. Sonst sei der Sommer vorbei – und "die Geschichte" heuer nicht geschrieben. Welche Geschichte?, fragte ich. "Na, die von den nackten Männern", meinte P. – und zeigte auf die Dreiergruppe, die uns gerade entgegenkam: drei junge Männer. Laufend auf der Hauptallee. Shirtlos-verschwitzt: Es war der Tag, an dem es in der Wiener Innenstadt 37 Grad hatte.

Foto: thomas rottenberg

Ich verstand. Ah, die Geschichte. Klar doch, sagte ich, irgendwann heuer kommt die schon. Muss sie kommen. Erstens, weil das Thema alle Jahre wieder aufpoppt. Und zweitens, weil es jedes Jahr aufs Neue lustig ist zu beobachten, wie heftig, ausführlich und – sagen wir mal höflich – "nuanciert" Menschen über ein Thema diskutieren können, bei dem es entweder ein persönliches Ja oder Nein und nix dazwischen gibt – und das in Wirklichkeit wurscht ist: die Frage, ob Männer oben ohne laufen dürfen nämlich.

Nur: So wurscht ist das allem Anschein nach nicht. Sagen zumindest die Klick- und Postingzahlen: Mit bis zu 650 (veröffentlichten, da kommt ja viel mehr …) Kommentaren zählen die Semi-Nackedeigeschichten zum mit Abstand Meistgelesenen und Meistdiskutierten hier.

(Im Bild: Altkanzler Wolfgang Schüssel im Jahr 2014 auf der Marswiese)

Foto: thomas rottenberg

Verstehen, sind P. und ich uns einig, muss man das nicht. Aber hin und wieder ein bisserl Clickbaiting tut ja auch niemandem weh. Oder? Und wenn es heiß ist, ist es eben heiß: Sowohl P. als auch ich waren oben ohne unterwegs – obwohl wir beide doch deutlich älter waren und sind als die drei top-durchtrainierten jungen Männer, die uns da gerade entgegen ekommen waren: Dass wir nicht mehr 25 sind, sieht man nicht nur unseren Gesichtern an. Und unlängst (ich war mit Shirt unterwegs) fragte ein Laufkumpel, wie viel "Corona-Speck" es denn bei mir sei, bei ihm … und so weiter. Das war gar nicht böse gemeint, wurde durch die wettkampflose Zeit aber eben noch verstärkt: Was unsere Körper mit 30 in der Sekunde verbrannt hatten, wird nun eben als Reserve angelegt. Ist so.

Aber: Darf man diese Plauze dann öffentlich zeigen?

Foto: thomas rottenberg

Was mich an dieser Kiste jedes Mal am meisten fasziniert, ist die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen sich hier das Recht auf ein auch für andere gültiges Urteil anmaßen – und das auch laut sagen. Solange es um Männer geht. Aber wehe dem, der es wagt, auch nur anzudeuten, dass Frauen über – nein, ich sage jetzt kein Alter – vielleicht doch nicht mehr nabelfrei … oder mit Hotpants … oder Minirock … oder … und dann auch noch mit dieser Figur. Oder diesem Bindegewebe … Sie verstehen?

"Body"- und "Fatshaming" oder "Ageism" (was für Vokabeln!) sind gegenderte Vergehen. Muss man nicht verstehen. Kann man – als Mann – auch nicht offen diskutieren: Irgendwo erwischt man immer eine semantische Falltüre, ein verbales Stolperseil – und ab dann geht es nicht mehr um Content, sondern Wortklauberei.

Egal. Ich renne, wenn mir danach ist, trotz allem – Alter und Corona-Speck zum Trotz (und wissend, dass es nicht nur Lockdown-Pfunde sind) – weiter ohne Shirt. Meine "goldene Regel" dazu lautet: Dort, wo Frauen im Sport-BH laufen oder trainieren, im nichtverbauten Gebiet und im Wald oder am Wasser ist es okay. In der Stadt aber: no way. Egal wie dampfig es ist. Egal wie verschwitzt ich daherkomme: Das Shirt bleibt an.

Foto: thomas rottenberg

Wobei das mit dem Schweiß durchaus ein spannendes Thema ist. Schließlich sollen Funktionsfasern ja – auch – dafür sorgen, dass Feuchtigkeit rascher vom Körper wegtransportiert wird. Man also auch besser gekühlt wird, als wenn man schweißwaschelnass unterwegs ist und nur der Fahrt-, also Laufwind trocknet.

Das stimmt natürlich. Bis zu einem gewissen Punkt. Und gerade in den letzten paar Monaten habe ich wieder einmal gelernt, dass Leiberl eben nicht einfach Leiberl ist – und da rede ich nicht von den Baumwolltrikots aus der Zeit der Wahlscheibentelefonie, sondern High-End-Zeugs, das in den letzten Monaten bei mir aufgeschlagen ist.

Foto: thomas rottenberg

Da wäre zum Beispiel das Marathon-Shirt der unaussprechlichen Marke UYN. UYN steht für "Unleash Your Nature", was ganz eindeutig auf den italienischen Ursprung des Labels verweist, ist seit etwa einem Jahr am Funktionswäschemarkt aktiv – und trotzdem schon ein erfahrener Player.

Wieso? Weil dahinter die Italo-Strickerei Trerè Innovation aus Asola steckt – und die zeichnete fast 20 Jahre für die Textiltechnik von X-Bionic verantwortlich. Seit 2019 gibt es nun die Eigenmarke – und auch wenn die Teile aussehen (und sich beim ersten Anziehen auch so anfühlen), als wären sie vor allem als ultrabequeme Base-Layer (Neusprech für Unterleiberln und Hosen) konzipiert, funktioniert das enge Zeug dann tatsächlich auch beim Laufen im Sommer.

Foto: thomas rottenberg

Schuld daran ist just die enge Machart der Shirts: Um die zu tragen, braucht man entweder den dazupassenden Körper oder viel Selbstbewusstsein (das ist also so wie beim Oben-ohne-Rennen) – und auch wenn der Körper beim ersten Anziehen sagt "Ich werde ersticken", ist dem dann nicht so: Der Tragekomfort ist ein Hammer – vor allem für Menschen (ich gehöre zum Glück nicht dazu), bei denen Shirts bei längerem Laufen Brustwarzen oder Achseln wundscheuern: "No Friction" ist da tatsächlich nicht bloß Marketing-Blabla.

Und auch das mit dem Nichtüberhitzen funktioniert: Unterschiedliche Webarten und ein extrem schnelltrocknendes Spezialgarn ("Natex", stinkt kaum) sorgen dafür. Restlos überzeugt hat mich das zur Verfügung gestellte Set der "Marathon"-Kollektion aber doch nicht: Auf längeren Läufen fehlt mir im Sommer dann doch die Luftigkeit – und eine Laufhose, die keine einzige Tasche hat, ist – egal wie bequem – einfach eine Fehlkonstruktion.

(Im Bild trage ich deshalb meine seit Jahren ungeschlagene Universalwaffe, die "Saroja"-Trail-Short von Skinfit.)

Foto: thomas rottenberg

Ebenso voll auf die "Weniger Schweiß"- und "Null Reibung"-Karte setzt das dänische Label Fe 226 mit seiner TEM-Laufschiene. TEM steht für "The Ekstra Mile" – und das K in "Ekstra" ist volle Absicht. Schließlich will man sich als "anders" positionieren.

Ich gebe zu: Das funktioniert – und das nicht nur bei mir. Zum einen, weil Fe 226 (steht übrigens für das chemische Element Eisen und seinen Platz im Periodensystem) eine ziemlich geniale Kommunikations- und Marketinglinie fährt. Die Kleinheit das Labels (noch) wird dazu genutzt, dass auch bei gekauften Artikeln händisch von den drei Gründern unterzeichnete Grußkarten beiliegen. Die Gründer kommen aus dem Triathlon-Bereich – und die Koketterie mit Querverweisen ("Be Iron", das Label-Motto, bezieht sich nicht auf die Freude am Hemdenbügeln) ist so was wie ein roter Faden im Markenbild. Aber ich schweife ab.

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Zurück zur Laufkollektion, zu den Leiberln: So wie auch bei UYN setzt man da auf superweiche, nichtreibende Stoffe, die Schweiß noch rascher abtransportieren als "herkömmliche" Funktionsstoffe, kaum bis gar nicht stinken (auch wenn man sie nach einmaligem Einschwitzen einfach nur kurz ohne Waschmittel durchspült) – und auch noch besser sitzen. Ob das wirklich an den vier Stoffbahnen liegt, aus denen die Shirts gemacht werden, kann ich nicht beurteilen – Fakt ist aber, dass man beim auf der Homepage empfohlenen "Passform-Test" (im Grunde: Shirt anziehen und herumschlenkern und das mit 0815-Ware vergleichen) Unterschiede, auf die man vorher hingewiesen wird, tatsächlich merkt. Ja, natürlich ist das suggestiv. Aber wieder gilt: Bei mir ist das eher wurscht — bei Menschen mit scheuerempfindlichen Körperstellen aber echt ein Thema. Das schrieb mir dann auch einer, der mich nach meinem ersten Social-Media-Foto mit TEM-Shirt fragte, was ich da anhätte.

Foto: screenshot

Drauf Angesprochenwerden (im Bild: die Triathletin Tanja Stroschneider) gehört bei Fe 226 (noch) dazu: Die Marke ist in unseren Breiten sogar unter Triathleten noch recht unbekannt – aber "Be Iron" triggert gut: Ich habe von den Dänen auch – gekaufte – Socken. Auf denen steht hinten der Bügeleisenspruch. Wenn ich für jedes Mal "Wo kriegt man das?" zehn Cent bekäme, hätte ich dafür schon die halbe Fe-Kollektion kaufen können.

So sind es – neben den zur Verfügung gestellten Laufsachen – "nur" der erste Tri-Aero-Anzug und ein Aero-Shirt. Angeblich – jedenfalls behauptet das das "Rennrad-Magazin" nach einem Windkanaltest – bringt der (sauteure) Anzug (und demnach auch das Aero-Top) mehr als manche (noch teureren) Aero-Laufräder. Ob das stimmt? Keine Ahnung. In meiner Leistungsklasse ist es auch vollkommen egal, ob ich 100 Kilometer am Rad zwei Minuten rascher zurücklege. Aber wenn man mir so was sagt, fühle ich mich gleich aero- und aquadynamischer – obwohl ein Tri-Strampel-Anzug jedes Corona-Röllchen noch schonungsloser zeigt als die ohnehin schon "brutalen" regulären Rad-Wursthäute.

Foto: thomas rottenberg

Aber alles richtig machen auch die Dänen nicht: Ihre Laufhosen etwa sind zwar cool – kommen aber beim Tragekomfort dennoch an meine Lieblingshosen nicht heran. Ganz unverständlich ist mir aber die Fe-226-Kappen-Philosophie: "Headroom" ist der wichtigste, weil meistgesehene Branding-Bereich. Das lässt kein Label aus.

Doch die als "Laufkappen" beworbenen Sonnen- und Schweißfänger der Dänen sind zwar im Alltag hübsch, im Training aber schlicht nicht konkurrenzfähig: Sie sind aus einem schweren, steifen Stoff, der sich fast wie Jeansstoff anfühlt. Wieso ein sonst perfekt alle Marketing- und Kommunikationsfäden ziehendes Label gerade in diesem eigentlich dankbaren und einfach zu bespielenden Bereich einen Anfängerfehler macht?

Foto: thomas rottenberg

High-Performance-Laufleiberln gibt es aber auch aus Österreich. Dafür, wie klein das Land ist, sogar eine ganze Menge. Skinfit – den größten und den Klassiker unter den Kleinen und Mittelgroßen – muss man hier nicht eigens erwähnen. Löffler und Jol sind da auch wichtig. Und Cocoon: Das kleine Label aus Wildon bei Graz feiert heuer seinen 15. Geburtstag. Denn Fokus und Image sind (historisch bedingt) ebenfalls im Triathlon daheim – auch wenn man sich längst in Richtung "nur" laufen, Rad fahren, schwimmen, Skitouren gehen oder langlaufen weiterentwickelt hat.

Und kleine, feine (schon aus Kontingentgrößengründen nicht aus Fernost kommende) Kollektionen im Sortiment hat.

(Über die Phantom-Athletics-Trainingsmaske erzähle ich ein anderes Mal.)

Foto: thomas rottenberg

Zum Geburtstag ließen mich die Cocoons (der Wiener Laden ist in Spuckweite meiner Wohnung und hat eine super eingestellte Kaffeemaschine) ein Sommerlauf-Set und ein Rad-Aeroshirt probieren.

Passt beides perfekt – und "performt" auch super: Die Lauflinie ist angenehm leicht und luftig (die Hose kommt "meiner" Skinfit sogar beinahe nahe), das Radshirt fühlt sich "schnell" an, trocknet rasch und hat Taschen, in die enorm viel reinpasst – ohne dass ich Angst habe, alles auszustreuen, sobald ich am Lenker auf die Aufleger gehe.

Foto: thomas rottenberg

Das Cocoon-Image ist aber nach wie vor Triathlon: Wer Cocoon trägt, wird von Menschen, die Marken "lesen" können oder lesen zu können glauben, gern mal unterwegs angesprochen und gefragt, wie viele und welche Hardcore-Multisport-Events man schon in den Beinen oder am Plan habe – und zwar sogar dann, wenn man als absolute(r) Lauf-Einsteigerin oder -Einsteiger das erste Mal seit Jahren die Hauptallee entlangläuft.

Foto: thomas rottenberg

Das – also die Außenwahrnehmung – ist in Wirklichkeit zwar wurscht, aber eben auch lustig. Und für das Ego sind anerkennende oder bewundernde Blicke oder Zurufe ja nie schlecht.

Ob man sich deswegen aber das Leiberl bei 37 Grad im Prater nicht doch irgendwann auszieht, muss jeder selbst entscheiden. (Thomas Rottenberg, 5.8.2020)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Etwa zwei Drittel der erwähnten Produkte wurden von den Herstellern zur Verfügung gestellt.

Foto: thomas rottenberg