Die Fortpflanzungsstrategie mancher Tiefsee-Anglerfische hat fast schon bizarre Züge. Sie verschmelzen miteinander, und zwar wortwörtlich. Treffen geschlechtsreife Partner in den dunklen Tiefen der Weltmeere aufeinander, was nicht allzu oft passiert, beißen sich die viel kleineren Männchen an den Weibchen fest, und die beiden Tiere verwachsen dann so miteinander, dass ihre Gewebe verschmelzen und sogar ein gemeinsamer Blutkreislauf entsteht. Das Männchen wird zu einem samenspendenden Parasiten und ist fortan vollständig vom Weibchen abhängig.

Dieser weibliche Tiefsee-Anglerfisch der Art Melanocetus ist mit einem kleinen Männchen am Bauch verschmolzen.
Foto: EDITH A. WIDDER

So weit, so ungewöhnlich. Wie die Tiere diese dauerhafte anatomische Verbindung überhaupt überleben können, beschäftigt Wissenschafter schon lange – die Fische schaffen es offensichtlich, die gegenseitigen Abstoßungsprozesse bei der Gewebefusion, wie sie etwa aus der Organtransplantation bekannt sind, zu umgehen. Ein internationales Forscherteam hat sich mit dieser erstaunlichen Fähigkeit näher beschäftigt und herausgefunden: Die Tiefsee-Anglerfische verfügen über ein einzigartiges Immunsystem, das für die medizinische Forschung von großem Interesse sein könnte.

Immunologische Waffen deaktiviert

Die Wissenschafter vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und der University of Washington in Seattle untersuchten das Erbgut mehrerer Arten dieser Tiefseefische. Dabei stellte sich heraus, dass genetische Veränderungen bei den Tieren wichtige Funktionen ihrer Immunabwehr ausgeschaltet haben: So fehlen den Fischen gleich mehrere Gene, die für die Aktivierung des Immunsystems bei Infektionen bedeutend sind.

Bei diesem Exemplar der Spezies Photocorynus spiniceps ist das winzige Männchen am Rücken des Weibchens angewachsen.
Foto: Theodore W. Pietsch

Wie die Forscher im Fachblatt "Science" berichten, ist außerdem eine entscheidende immunologische Waffe bei den Tiefsee-Anglern eingeschränkt oder vielleicht sogar völlig außer Kraft gesetzt: die sogenannten Killer-T-Zellen. "Normalerweise eliminieren Killer-T-Zellen infizierte Zellen oder greifen fremdes Gewebe während der Abstoßungsreaktion an", sagt Jeremy Swann, Erstautor der Studie. Auch Antikörper scheinen einigen Arten zu fehlen, die ebenso zum Arsenal der erworbenen Immunantwort zählen. Das Immunsystem der Tiefsee-Anglerfische sei unter den Zehntausenden von Wirbeltierarten "extrem ungewöhnlich", so Swann.

Medizinisches Potenzial

Das dürfte also erklären, wie die Fischpaare ihre "Fusion" überstehen können. Wie aber schützen sie sich vor pathogenen Bedrohungen? "Für den Menschen würde der kombinierte Verlust solch wichtiger Funktionen der erworbenen Immunantwort zu einer tödlichen Immunschwäche führen", sagt Thomas Boehm, Leiter der Studie. Nach Ansicht der Forscher kann nur eine ungewöhnlich effektive angeborene Immunität dahinterstecken – und diese könnte das Potenzial für neue Behandlungen von Immunerkrankungen beim Menschen aufweisen. Die genaue Funktion ist freilich noch nicht geklärt, die ungewöhnlichen Tiefsee-Angler dürften Forscher also noch länger beschäftigen. (red, 4.8.2020)