Screenshot: Carrion
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John Carpenters Film The Thing aus dem Jahr 1982, zu Deutsch: Das Ding aus einer anderen Welt, gilt Kennern als einer der besten Horrorschocker aller Zeiten. Im Splatterklassiker führen Antarktisforscher einen Kampf gegen ein außerirdisches Monster, das immer neue groteske Formen annehmen und sich auch als jedes andere Wesen tarnen kann. Wie in Alien (1978) und der Neuverfilmung des Klassikers Der Blob (1988) gilt der Kampf einem außerirdischen Grauen, dessen Erscheinung fast jenseits menschlicher Vorstellungskraft ist und in seiner Fremdheit und Grausamkeit die gewohnten Kategorien von Gut und Böse hinter sich lässt.

Das Indie-Spiel Carrion, entwickelt vom polnischen Phobia Game Studio und herausgegeben von den Indiespezialisten Devolver Games, schickt seine Spieler*innen in ebenso einen ungleichen Kampf – mit dem Clou, dass sich die Menschen auf der gegnerischen Seite befinden. Im "Reverse Horror Game" steuert man ein wahres Prachtexemplar bizarren Body-Horrors, einen wild wuchernden Koloss aus roten Tentakeln, Mäulern und Augen, der sich in grotesker Geschwindigkeit über Wände und Decken voranhantelt und sich alles einverleibt, was nicht schnell genug flüchtet.

DevolverDigital

Menschen und Masse

Je mehr Menschen der Tentakelterror frisst, desto mehr Biomasse steht für besonders wuchtige Angriffe und Fähigkeiten zur Verfügung. Aber Vorsicht: Schusswaffen und vor allem Feuer verkürzen das Leben der amorphen Horrorkreatur. Die Attacke aus dem Hinterhalt, etwa aus Luftschächten oder hinter verschlossenen Türen hervor, ist dem direkten Angriff auch dann vorzuziehen, wenn man sich schon zur metergroßen Tentakelwalze gefressen hat.

Carrion ist ein klassisches Metroidvania und bietet dementsprechend eine offene Umgebung, die sich durch den Erwerb neuer Fähigkeiten schrittweise öffnet. Die Menschen in dieser liebevoll im Pixelstil gezeigten Science-Fiction-Spielewelt sind nicht die einzigen Hindernisse auf dem Weg voran, denn etwa die Hälfte der Spielzeit ist man mit dem Lösen teils recht origineller Puzzles beschäftigt. Um Türen und andere Mechanismen zu aktivieren, ist immer wieder auch die Veränderung der eigenen Biomasse gefragt, um unterschiedliche Fähigkeiten einsetzen zu können.

Was ist gelungen?

Die Horrorkreatur, die man in Carrion steuert, ist faszinierend unmenschlich und in Gestaltung, aber auch Steuerung und Handling einzigartig und originell: Wie schnell sich dieses Wesen mittels unzähliger Tentakel durch die Umgebung katapultiert und auch durch kleinste Öffnungen quetscht, sorgt für ein ganz spezielles Spielgefühl. Die ruhigeren Momente, in denen diese fast explosiven Gewaltausbrüche geplant werden, sorgen ebenso für Abwechslung von diesem Adrenalinrausch wie die Rätsel.

Dass Carrion bei all dieser fast slapstickhaften Gewalt nicht allzu düster wirkt, ist seiner Grafik zu verdanken: Wer Pixelstil zu schätzen weiß, wird sich über eine liebevoll gestaltete, wenn auch etwas einförmige Spielwelt freuen, die vor allem durch die menschlichen NPCs und ihr jeweiliges grausiges Schicksal belebt wird. Ganz zentral ist und bleibt allerdings die gelungene Fremdartigkeit des Horror-Protagonisten. Ein solches Wesen gab's bislang kaum in Videospielen zu sehen – und zu spielen schon gar nicht.

Was ist weniger gelungen?

Mit etwa drei bis vier Spielstunden ist dieser Horrortrip nicht gerade sehr umfangreich geraten, und Grund, sich ein weiteres Mal in dieses Labyrinth zu stürzen, gibt es eigentlich nicht.

Dass Carrion auf Hilfestellungen wie eine Übersichtskarte verzichtet, ist angesichts dieser Kürze verständlich, wird aber manche Orientierungsgeforderte hin und wieder etwas ärgern. Abgesehen davon ist das Leben als Tentakelterror vor allem zu Beginn eher zu einfach geraten.

Fazit

Carrion ist ein in seinen guten Momenten atemberaubendes Erlebnis mit einer absolut originellen Hauptfigur, deren Fremdartigkeit sich nicht nur im Kampf gegen die menschlichen Widersacher, sondern auch im Rätseldesign niederschlägt.

Der größte Kritikpunkt ist zweifelsohne seine relative Kürze. Wer sich davon nicht abhalten lässt, freut sich über eines der originellsten Metroidvanias des Jahres, das dem bizarren Body-Horror seiner Hauptfigur jede Menge pixeligen Slapstick-Splatter gegenüberstellt. (Rainer Sigl, 9.8.2020)