Katharina Grosses monumentaler Berg im Hamburger Bahnhof in Berlin.
Foto: Jens Ziehe / Photographie

Katharina Grosse malt nicht, sondern sie flutet die Dinge mit Farbe. Im Berliner Museum Hamburger Bahnhof verlieren sich die eigenen Füße in den knallbunten Farbstrudeln, die die Künstlerin dort hinterlassen hat. Im hinteren Teil der historischen Halle türmt sich ein schroffer meterhoher Felsbrocken in den Stahldeckenhimmel. Blutrot. Zitronengelb. Eisblau. Froschgrün.

Wer mag, darf den spitzen Berg sogar begehen, doch aktuell versucht das niemand. Vielleicht ist das so, weil er an Caspar David Friedrichs Eismeer erinnert. Und wer möchte schon den Inbegriff eines romantischen Bildes mit Füßen treten? Andererseits wirkt er auch wie ein zerklüftetes Farbmonster.

Die deutsche Malerin, 1961 in Freiburg geboren, liebt das Spiel mit Assoziationen. Die Skulptur besteht aus einer Art Styropor, den sie mithilfe eines 3D-Druckverfahrens auf Größe skaliert, gefräst und mit einem heißen Draht nachbearbeitet hat. Wie viele andere Ausstellungen auch, musste die Präsentation wegen Corona verschoben werden, mittlerweile ist sie eröffnet.

Von innen nach außen

Grosses monumentales Farbtableau It Wasn’t Us macht vor dem Museumsgebäude nicht halt. Sie wandert mit ihrer wilden Farbpalette vom Innen- in den Außenraum. Am Hinterausgang der Halle schlängeln sich die dynamischen Farblinien hinaus, bedecken die Wege hinter dem Gebäude und greifen auf die Fassade der angeschlossenen Rieckhallen über.

Wer der Künstlerin einmal bei der Arbeit zugesehen hat, weiß, dass sie nicht zimperlich ist.
Foto: Robert Schittko / Art Beats

Mit dieser Intervention aus der Spritzpistole bekennt sie Farbe und verweist auf ein heikles Kapitel der Berliner Kulturpolitik: Die Rieckhallen werden demnächst vom Eigentümer, der Immobilienfirma CA Immo, abgerissen, das Grundstück soll gewinnbringend bebaut werden. Berlin und der Bund haben verpasst, sich die Räumlichkeiten frühzeitig zu sichern. Die Hallen waren nur gemietet, das wurde publik, als klar war, dass Friedrich Christian Flick seine Collection nächstes Jahr aus Berlin abzieht.

Ironischer Nachruf

2004 ließ der Sammler und Mäzen die maroden Lagerhallen – dort wurden seine Werke gezeigt – auf eigene Kosten für einige Millionen sanieren. Damit gehen dem Hamburger Bahnhof wichtige Werke zeitgenössischer Kunst verloren, und das international angesehene Museum für Gegenwartskunst hat das Nachsehen.

Die Künstlerin über das Making-of von "It Wasn’t Us".
Freunde der Nationalgalerie

Den Titel It Wasn’t Us könnte man also durchaus als ironischen Nachruf des scheidenden Museumsdirektors Udo Kittelmann lesen. Für Grosse selbst schließt sich mit dem Gesamtkunstwerk im Hamburger Bahnhof ein Kreis: Vor genau 20 Jahren war sie dort für den Preis der Nationalgalerie nominiert – die Auszeichnung bekam damals ein Künstler. Heute gehört sie zu den bedeutendsten Malerinnen der Gegenwart.

Mit Farbe überziehen

Es gibt eigentlich nichts, was Grosse nicht schon mit Farbe überzogen hat. Sie sprüht über alles hinweg, wegen dieses anarchischen Zugriffs kursiert in der Szene der Name "Katharina die Große". Selbst ein Sofa und ein Schränkchen in ihrem Atelier sind in Farbe getaucht, für eine Fashion-Show hat sie schon einmal Shorts und Hemden koloriert. Grenzen denkt sie nicht: Auf Leinwand hat sie angefangen, diese wurde immer breiter, höher, größer, später verlor sie den "Rahmen", und die Farbe verlängerte sich in den Raum, die Architektur und die Landschaft hinein.

Raus damit: Grosses monumentales Farbtableau macht vor dem Museumsgebäude nicht halt. Sie wandert mit ihrer wilden Farbpalette vom Innen- in den Außenraum.
Foto: Jens Ziehe / Photographie

Dazu zählt die unterirdische U-Bahn-Station der Stadtbahn Köln, 2015 nahm sie mit der Spritzpistole das vom Hurrikan Sandy zerstörte Militärgebäude am New Yorker Rockaway Beach in Beschlag. Auf Teilen einer prominenten Bahnstrecke in Philadelphia bezog sie ganze Grünflächen sowie marode Lagerhallen neben den Gleisen mit ein. Vom Fenster des fahrenden Zuges aus entwickelte sich so etwas wie ein Echtzeit-Landschaftsbild samt fluoreszierendem Gebüsch.

Erweiterte Malerei

Das Ende der Leinwand war der Anfang einer erweiterten Malerei, die immer wieder die Bedingungen des Mediums auslotet. Das Schöne: Bei Grosse ist Malerei immer wieder erfahrbar und voller Energie. Und doch gibt es Kritiker, die ihr reine visuelle Überwältigungstaktik vorwerfen. Diese aber haben wohl übersehen, dass ihre Monumentalwerke stets eine Referenz zum sie umgebenden Ort herstellen – wie eben in Berlin zu den im Fokus stehenden Rieckhallen.

Wer der Künstlerin einmal bei der Arbeit zugesehen hat, weiß, dass sie nicht zimperlich ist. Mit ihrem Overall und der Schutzbrille hält sie ihre mächtige Spritzpistole schon einmal im Anschlag wie eine Kalaschnikow. Schließlich geht es hier nicht um Zentimeter, die bewältigt werden wollen, sondern um ganze Farbuniversen. Ihr expressiver Gestus erinnert an das Action-Painting Jackson Pollocks. Das sei "wirklich lustvoll", hat sie einmal in einem Interview erzählt. Und ja, aggressiv etwas rauslassen, das könne sie.

Am Ende der Schau wird Katharina Grosse die Farbe im Hamburger Bahnhof überall auslöschen – dann ist ihre "Leinwand" wieder weiß. (Gabriela Walde, 5.8.2020)