Die Schuheinlage Helpsole soll mit Sensorik und Elektronik versehen werden, die bei Bedarf einen taktilen Reiz abgibt, um das Freezing zu überwinden.

Foto: Helpsole

Eines der rätselhaften Symptome bei einer Parkinson-Erkrankung ist das sogenannte Freezing. Patienten bleiben dabei mitten in einem Bewegungsablauf "stecken" und können sich für mehrere, manchmal dutzende Sekunden nicht mehr rühren. Die Muskeln gehorchen einfach nicht mehr.

Das Phänomen scheint an äußere Reize gebunden zu sein: Ein Patient kann beispielsweise beim Gehen durch ein Hindernis am Boden oder auch nur von der Verengung eines Türrahmens blockiert werden. Erstarrt man vielleicht gerade an der Supermarktkassa, kommt noch Stress hinzu – was alles noch schlimmer macht.

Mithilfe von Physiotherapeuten und Neurologen können die Patienten Strategien und "Tricks" finden, um Freezing-Situationen zu entschärfen. Dazu gehört beispielsweise, sich beim gefühlten Herannahen der Erstarrung in Gedanken einen Takt vorzugeben, etwa durch Zählen oder das Denken an ein Musikstück.

Eine bestimmte Medikation regelt etwa den Dopamin-Haushalt, mit dem das Freezing in Zusammenhang gebracht wird. Und es gibt optische und taktile Reize, die bei Erstarrung ablenken und helfen, die Muskeln wieder zu aktivieren. Dazu gehören etwa Gehstöcke, die per Laserstrahl eine Linie auf den Boden projizieren. Auch ein kurzes Zwicken in den Oberschenkel kann aktivierend wirken.

Besonders unauffällig

Ein Start-up von Studierenden und Absolventen der FH Wiener Neustadt möchte nun ein neues technologisches Hilfsmittel bieten, das Parkinson-Patienten besonders unauffällig mit dem Freezing umgehen lässt. Die Idee ist, eine mit Elektronik versehene Schuheinlage zu nutzen, die bei Bedarf elektromagnetische Impulse ins Bein sendet, um die Erstarrung zu lösen oder vorbeugend vor ihr zu bewahren, erklärt Ines Nechi.

Sie hatte in ihrem Masterstudium Medizintechnik die Idee zu dem Wearable für Parkinson-Patienten. Gemeinsam mit Philipp Lederle, Andreas Müllner und Ferdinand Perktold hat sie das Unternehmen Lellis gegründet. Das Produkt selbst soll Helpsole heißen.

"Die Entwicklung hat auch einen persönlichen Hintergrund", sagt Nechi. "Ich habe eine Bekannte mit Parkinson. Sie ist der Ansicht, dass 65 kein Alter ist, in dem man sichtbare Hilfsmittel wie Rollatoren oder Gehstöcke nutzen möchte."

Das Problem der Frau gab die Inspiration für die smarte Schuheinlage, über die sich Nechi bereits bei einem FH-Projekt 2016 Gedanken machte. 2019 wurde es für das Start-up aufgegriffen. Rückenwind kam dabei durch einen Aufenthalt im Silicon Valley.

Gangmuster analysieren

Die Gründer hatten einen unter anderem von der niederösterreichischen Finanzierungsgesellschaft Tecnet und dem Gründerservice Accent organisierten Start-up-Bewerb gewonnen, der sie an die Berkeley Entrepreneurship Summer School führte. Dazu kam eine sechsstellige Summe der Forschungsförderungsgesellschaft FFG aus Mitteln des Technologie- und des Wissenschaftsministeriums sowie Crowdfunding. Mittlerweile gibt es neben den vier Gründern bereits vier Mitarbeiter, weitere werden dringend gesucht.

Der Plan der Gründer lautet, die smarte Schuheinlage mit Druck- und Beschleunigungssensoren, Rechenkapazität und Kommunikationstechnologie auszustatten, sodass das Gangmuster ihrer Benutzer analysierbar wird. "Kurz vor dem Freezing zeigen die Patienten ein ganz eigenes Gangmuster, das unser System selbstständig erkennen soll", sagt Co-Gründer Philipp Lederle.

"Diese Messungen, die langfristig den Krankheitsverlauf abbilden, sollen auch für die behandelnden Ärzte interessant sein. Wenn hier erkennbar ist, dass das Freezing stark zunimmt, können Therapien angepasst werden."

Mit der vorausschauenden Erkennung des Phänomens kann per Elektrode ein regelmäßiger Impuls in den Fuß geleitet werden, der – ähnlich wie ein Metronom oder die Musik im Kopf – einen Takt vorgibt, der hilft, das Freezing zu überspielen und abzuwenden.

Kommt es zum Erstarren, kann der Impuls zum Reaktivieren der Bewegungsfähigkeit genutzt werden. Per Webzugang sollen die aufgezeichneten Daten abrufbar sein und bei Bedarf mit dem Beladen des verbauten Akkus überspielt werden können. Für das Beladen ist ein eigenes Induktions-Pad angedacht, auf das man die Schuhe abstellt.

Abgespeckte Variante

Bis die Technologie den individuellen Gang der Patienten automatisch erkennt, wird es noch etwas dauern. Klinische Studien, in denen Daten zum Alltagseinsatz erhoben werden, brauchen ihre Zeit. Um möglichst schnell auf den Markt zu kommen, soll zuerst eine abgespeckte Variante kommen, bei der Patienten die Impulssequenzen noch manuell, etwa mit einem Knopf am Gürtel, auslösen können.

Darauf aufbauend soll die automatische Variante entwickelt werden. "Durch Corona hat sich die Entwicklung verzögert", sagt Nechi über den Unternehmensstart. "Abhängig von der Dauer des Zulassungsprozesses könnten wir 2022 mit einer ersten Version am Markt sein." (Alois Pumhösel, 10.8.2020)