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Impfungen gelten als besonders emotionales und umstrittenes Thema in Österreich.

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Rund um den Globus arbeiten Forscher unter Hochdruck an der Entwicklung von Impfstoffen, die die Corona-Pandemie beenden könnten. Die Aussichten sind nicht schlecht: Rund 170 Impfstoffprojekte sind bisher angelaufen, davon befinden sich laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits sechs in der entscheidenden Phase 3 der klinischen Tests – mit teils vielversprechenden Zwischenergebnissen. Die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) gab kürzlich bekannt, dass erste Zulassungen Anfang 2021 denkbar wären.

Nicht von allen Entwicklungen liegen bereits veröffentlichte Daten vor. Unter den derzeit aussichtsreichsten Kandidaten sind zwei Impfstoffe mit sehr unterschiedlichen Wirkmechanismen: Einer wird von Forschern der Universität Oxford gemeinsam mit dem Pharmakonzern Astra Zeneca entwickelt, der andere vom US-Biotechunternehmen Moderna und dem National Institute of Allergy and Infectious Diseases.

Das Oxford-Team arbeitet mit einem sogenannten Adenovirus, das bei Schimpansen Erkältungen hervorruft. Dieses Virus wurde so verändert, dass es bei Menschen eine Immunantwort gegen Sars-CoV-2 auslöst. Die im Juli veröffentlichten Daten der kombinierten klinischen Phasen 1 und 2 zeigen, dass durch diesen Impfstoff sowohl Antikörper als auch T-Zellen gebildet werden, die das Virus abwehren können.

Neutralisierende Antikörper

"Der Antikörperlevel war zwar nicht so hoch wie nach einer natürlichen Infektion, es wird womöglich zwei Impfdosen brauchen, aber das ist nicht tragisch", sagt die Virologin Christina Nicolodi. Wichtig sei die Bildung neutralisierender Antikörper, die eine Infektion der Zelle verhindern. In Sachen Verträglichkeit schnitt diese Vakzine bisher gut ab. Die Phase-3-Studie wird nun mit rund 12.300 Probanden in Großbritannien und Brasilien durchgeführt.

Moderna hat hingegen einen neuartigen RNA-Impfstoff in Phase 3 gebracht, 30.000 Probanden nehmen an dieser Studie teil. Dabei wird eine RNA-Sequenz des Coronavirus injiziert, die den Bauplan für ein Protein des Virus enthält. Mithilfe körpereigener Zellsysteme wird dieses Protein dann in den Zellen hergestellt – und löst eine Immunantwort aus, die vor einer Infektion schützen soll. Bei 45 Probanden hat das weitgehend ohne Nebenwirkungen geklappt. Neben den klinischen Untersuchungen wurde auch eine Studie an Rhesusaffen gemacht, die "extrem gute Ergebnisse" zeige, sagt Nicolodi. Zu den weiteren Impfstoffen in Phase 3 zählen drei chinesische Entwicklungen inaktivierter Impfstoffe, die auf Oberflächenproteine des Coronavirus abzielen.

Ist ein wirksamer und gut verträglicher Impfstoff erst einmal verfügbar, werden vor allem zwei Dinge entscheidend sein: wie viel davon vorhanden sein wird und wie gut er von der Bevölkerung angenommen wird. Auf STANDARD-Anfrage hieß es erneut, dass Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sich gegen eine allgemeine Impfpflicht ausspricht – sowohl bei Corona als auch bei anderen Krankheiten. Das hat auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor einigen Wochen betont. Auch bestimmte Berufsgruppen sollen laut Gesundheitsministerium nicht zur Impfung verpflichtet werden.

FPÖ warnt vor Impfpflicht

Einzelne Landeshauptleute wie Thomas Stelzer (ÖVP) und Hans Peter Doskozil (SPÖ) sprachen sich hingegen für eine Impfpflicht aus, ebenso die Ärztekammer. Die FPÖ wiederum warnte vor einer solchen. Bundesparteiobmann Norbert Hofer kündigte in einem Interview mit der "Presse" überhaupt an, sich nicht impfen lassen zu wollen.

Doch wann ist eine Impfung überhaupt sinnvoll – und wann eine Verpflichtung dazu? Die Antworten hängen davon ab, wie der Impfstoff beschaffen ist. Es komme darauf an, ob die Impfung vorwiegend die Erkrankung verhindern oder mildern kann – oder ob sie auch die Übertragung unterbindet, sagt Immunologin Ursula Wiedermann-Schmidt. "Ist nur Ersteres der Fall, wird es darum gehen, die Risikogruppen und jene Personen, die besonders exponiert sind, zu schützen." Doch zunächst werde der Impfstoff ohnehin knapp sein und die Verteilungsfrage zwischen Ländern und Bevölkerungsgruppen im Vordergrund stehen.

Aus ethischer Sicht wäre es vertretbar, hier bestimmte Personen- und Berufsgruppen wie etwa Gesundheitspersonal, die besonders gefährdet sind, zu bevorzugen, sagt Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission, die auch das Kanzleramt berät.

Abwägung bei Impfpflicht

Was eine Impfpflicht betrifft, müsse man abwägen, sagt die Ärztin und ehemalige Vorsitzende der Arbeitsgruppe Impfen in der Bioethikkommission, Ursula Köller: Heikel sei es deshalb, weil es sich um eine "Intervention am Gesunden" handle. Aber eine Pflicht wäre durchaus argumentierbar. "Grundrechte sind in bestimmten Situationen einschränkbar", sagt auch Druml. Voraussetzungen seien etwa, dass eine Krankheit schwerwiegend sei, der Eingriff im Verhältnis zur Erkrankung geringfügig und das gelindeste Mittel sei. Auch einzelne Berufsgruppen könnten einer Pflicht unterworfen werden.

Dass sich die Regierung gegen eine Impfpflicht aussprach, hat die Bioethikerin nicht überrascht. "Impfen hat hierzulande eine schlechte Lobby. Es wurde bisher leider verabsäumt, in der Bevölkerung großflächig für ein breiteres Verständnis dafür zu werben", sagt Druml. Denn Schutzimpfungen würden zu den größten medizinischen Errungenschaften der Neuzeit gehören.

Impfmüdigkeit wird sichtbar

Eine Zunahme bei Masernfällen hat in den vergangenen Jahren eine gewisse Impfmüdigkeit sichtbar gemacht. Zur Influenza-Durchimpfungsrate gibt es keine gesicherten Zahlen. Da es sich um eine Leistung des Privatmarktes handelt, liegen im Gesundheitsministerium nur Schätzungen vor. Demnach waren in den vergangenen Jahren nur etwa zehn Prozent der heimischen Bevölkerung gegen die echte Grippe geimpft. Laut Ministerium sind die Ursachen dafür "vielschichtig, zahlreich und nicht vollständig bekannt".

Impfskepsis und Desinformation würden aber eine Rolle spielen, zudem fehle es an einem breiten Bewusstsein für die Gefahren, die vom Nichtimpfen ausgehen. Bei einer Befragung der Uni Wien gaben 47,5 Prozent an, sich ehestmöglich impfen zu lassen, wenn es einen Impfstoff gibt. 34 Prozent sagen, dass sie sich das "eher nicht vorstellen können".

Für Wiedermann-Schmidt besteht "ein Bedürfnis, dass von unabhängiger öffentlicher Stelle aufgeklärt und erklärt wird". Echte Impfgegner, die Verschwörungstheorien anhängen, seien zwar nicht zu bekehren, doch Impfskeptikern könne mit Fakten die Angst vor Impfnebenwirkungen genommen werden. Für Köller hat die Impfskepsis auch mit dem Hang vieler zur Alternativmedizin zu tun. Ihr ist wichtig zu betonen, dass es "praktisch keine Impfschäden gibt" und die Nebenwirkungen von Impfungen harmlos seien im Vergleich zu den Krankheiten, gegen die sie schützen.

Elektronischer Impfpass

Zumindest einer etwaigen Unwissenheit über Impfempfehlungen will man durch den elektronischen Impfpass samt Erinnerungssystem, der im Herbst eingeführt werden soll, beikommen. Um Barrieren abzubauen, fordert die Apothekenkammer, dass Impfen, wie in anderen Ländern, in Apotheken möglich sein soll.

Die Stadt Wien hat angekündigt, dass die Influenza-Impfung heuer gratis sein wird. Bundesweit ist das nicht der Fall, allerdings wurde die Impfung in das kostenfreie Kinderimpfprogramm aufgenommen. 200.000 Dosen stehen hierfür zur Verfügung. Ein zusätzliches Programm gibt es für Menschen über 65. Ob eine Corona-Impfung kostenlos sein wird, ist noch unklar.

Turbo-Zulassung in Russland

Schädlich für das Vertrauen in Impfungen gegen Sars-CoV-2 wäre wohl, wenn es bei der Zulassung zu Schnellschüssen kommt. Ein Impfstoff auf Basis eines Adenovirus soll nach Angaben des russischen Gesundheitsministeriums bereits im Oktober im großen Stil an die russische Bevölkerung gebracht werden – ohne klinische Phase 3.

"Nach meinen letzten Informationen wird der Impfstoff in Russland mit Daten aus den Phasen 1 und 2 zugelassen werden", sagt Virologin Nicolodi. Das sei zwar grundsätzlich möglich, aber riskant, zumal nur sehr kleine Gruppen untersucht wurden. Eine Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur werde es auf eine solche Weise nicht geben, so Nicolodi. Die Prozesse wurden zwar auch hier dramatisch beschleunigt, aber auf Kosten der Bürokratie und ohne Abstriche bei Forschung und Kontrolle. (David Rennert, Vanessa Gaigg, 10.8.2020)