Am Rande der Verhandlungen im Mordfall Lübcke kam es immer wieder zu Protesten.

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Frankfurt am Main – Im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) hat der Hauptangeklagte den tödlichen Schuss auf den Politiker gestanden. "Ich habe geschossen", ließ er am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main von seinem Anwalt erklären. Der Angeklagte zeigte Reue für die Tat.

"Was ich und H. ihnen angetan haben, wird immer unentschuldbar bleiben", erklärte er an die Familie Lübcke gerichtet und bezog dabei seinen mitangeklagten mutmaßlichen Komplizen H. ein. "Was wir getan haben, war falsch", fügte er hinzu. "Niemand sollte sterben, weil er eine andere Meinung hat." Er habe sich von "falschen Gedanken" leiten lassen und übernehme dafür Verantwortung. Die Tat bezeichnete der 46-jährige Familienvater als "feige und grausam".

Zweites Geständnis

In einer ersten Vernehmung hatte der Hauptangeklagte wenige Tage nach seiner Festnahme den Mord an Lübcke gestanden. Dabei gab er an, allein gehandelt zu haben. Kurze Zeit später widerrief er sein Geständnis. Vor einem Ermittlungsrichter stellte er die Geschehnisse als Unfall dar und bestritt, die Waffe zum Zeitpunkt des Schusses gehalten zu haben.

Im Jänner hatte er dann eine andere Version des Tathergangs geschildert: Er sei mit H. zu Lübckes Wohnhaus gefahren. Beide hätten den Politiker einschüchtern und bedrohen wollen. Der Schuss habe sich versehentlich gelöst, als H. die Waffe gehalten habe.

Warum Ernst sich nun wieder zur Tat bekennt, war zunächst unklar. Zu Prozessbeginn hatte der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel die Angeklagten zu einem Geständnis aufgefordert: "Hören Sie nicht auf Ihre Verteidigung, hören Sie auf mich", sagt er. Ein frühzeitiges und von Reue getragenes Geständnis helfe immer.

Verteidiger abberufen

Der Hauptangeklagte machte H. in seiner Erklärung schwere Vorwürfe. "Die Radikalisierung ging von ihm aus", ließ der Hauptangeklagte erklären. "Und ich habe es ihm erlaubt, so mit mir umzugehen." Die tägliche Agitation H.s sei gefährlich gewesen, weil er Zugriff auf Waffen gehabt habe. H. sei eine Mischung aus Freund und Vater gewesen. Er habe bestimmt, was gemacht werde.

Während des zweiten Geständnisses war der Hauptangeklagte von dem Rechtsanwalt Frank Hannig vertreten worden. Dieser wurde vergangene Woche auf Antrag des zweiten Verteidigers Mustafa Kaplan als Pflichtverteidiger abberufen. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte dazu erklärt: Die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und Hannig sei nachvollziehbar.

Aussteigerprogramm für Rechtsextreme

An die Adresse des Vorsitzenden Richters ließ der Hauptangeklagte am Mittwoch erklären, dass er an einem Aussteigerprogramm für Rechtsextremismus teilnehmen wolle. Die Trennung von seiner Familie belaste ihn sehr. Seine Tochter wolle keinen Kontakt zu ihm. "Ich kann es ihr nicht verübeln", hieß es in der Erklärung.

Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni 2019 tot auf der Terrasse seines Wohnhauses nahe der nordhessischen Stadt Kassel gefunden worden. Als Regierungspräsident leitete er eine Mittelbehörde, wie es sie in einigen deutschen Bundesländern als Bindeglied zwischen Land und Kommunen gibt.

Der Christdemokrat war zur Hassfigur der rechten Szene geworden, nachdem er bei einer Bürgerversammlung 2015 die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland offensiv verteidigt hatte. Er hatte dabei an die Adresse der Rechten gesagt, dass diejenigen, die die Werte der Bundesrepublik Deutschland nicht teilten, das Land jederzeit verlassen könnten. Der Hauptangeklagte war bei der Versammlung anwesend. Die deutsche Bundesanwaltschaft sieht bei ihm eine "von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragene völkisch-nationalistische Grundhaltung" als Motiv. (APA, 5.8.2020)