Wenn die Erde ein Hund wäre, würde er sich derzeit verzweifelt im Schlamm wälzen oder tief in Wasser untertauchen. Nicht nur wegen Corona, Armut, Hunger, Kriegen oder der Klimaerwärmung. Seine gefährlichsten Quälgeister bleiben 14.000 Atomwaffen, die Politikern weiterhin die Möglichkeit bieten, Millionen Menschen per Knopfdruck auszulöschen – sie binnen Sekunden verdampfen oder langsam und qualvoll sterben zu lassen. Unabhängig von Alter, Geschlecht oder Hautfarbe. So wie am 6. und 9. August 1945, als zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen. 75 Jahre später ist es höchste Zeit, die tödlichen Parasiten ein für alle Mal loszuwerden.

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Bild der Zerstörung: Am 6. August 1945 warf ein US-Flieger eine Atombombe über Hiroshima ab.
Foto: Reuters/Department of Energy

"Das Zentrum der Stadt glich einer weißen Platte, komplett eingeebnet und weich, wie die Fläche einer Hand", schrieb Marcel Junod vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, der einen Monat nach der Explosion als erster ausländischer Arzt nach Hiroshima kam. "Nichts blieb übrig. Selbst die kleinsten Spuren von Häusern waren verschwunden." Humanitäre Hilfe nach der Explosion einer Atombombe zu leisten ist unmöglich, die Kosten sind zu hoch, und niemand kann sich darauf vorbereiten. Vor dem nuklearen Holocaust in Hiroshima gab es 300 Ärzte in der Stadt. Danach waren noch 30 am Leben. Die meisten Krankenschwestern wurden getötet. Wer nicht gleich umkam, starb innerhalb von ein bis zwei Monaten. Es gab keine Behandlungsmöglichkeit. Die Krankenhäuser und Apotheken waren völlig zerstört. Wenn eine Bombe den Strahlentod bringt, kann keiner mehr helfen.

Keine rationalen Mittel

Die Schilderungen von Marcel Junod bezogen sich auf die Auswirkungen der ersten "Prototypen" von Atomwaffen, die im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kamen. Moderne Nuklearwaffen sind um ein Vielfaches zerstörerischer und gefährlicher. Atomwaffen sind kein vernünftiges As, das man als Staat im Ärmel haben sollte. Atomwaffen sind Todesversprechen für die Zukunft. Ihre Erhaltung verschlingt Milliarden, die anderswo fehlen. Atomwaffen sind keine rationalen Mittel der Abschreckung, um das Leben von Menschen zu schützen. Atomwaffen sind die Möglichkeit, die letzten Reste der Menschlichkeit in einem Krieg zu beseitigen. Das soll und darf es nicht geben.

Das Friedensdenkmal in Hiroshima.
Foto: EPA/DAI KUROKAWA

Die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder einmal dazu kommt, ist an diesem Jahrestag des Schreckens alarmierend gestiegen. Die Atomwaffenmächte entwickeln neue nukleare Waffensysteme für einen flexibleren Einsatz, der INF-Vertrag über das Verbot von Kurz- und Mittelstreckenraketen wurde aufgelöst, und der New-Start-Vertrag über die Begrenzung strategischer Kernwaffen droht nächstes Jahr auszulaufen. Auf dem 2017 von der Uno beschlossenen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen, den Österreich und das Rote Kreuz mitgetragen haben, ruhen Hoffnungen. Aber der Vertrag wird erst nach Hinterlegung der 50. Ratifikationsurkunde völkerrechtlich gültig, und derzeit haben das erst 40 Staaten getan.

Es ist höchste Zeit, Atomwaffen ein für alle Mal loszuwerden. Das Rote Kreuz fordert die neun Atomwaffenstaaten dieser Welt auf, das Andenken an die Toten von Hiroshima und Nagasaki zu respektieren und diese Waffen aus ihren Arsenalen zu eliminieren. Wir müssen uns beeilen, alle Atombomben abzuschaffen. Das ist nicht idealistisch oder weltfremd. Wir sind es den Menschen schuldig, die 1945 ihr Leben gelassen haben. Wir sind es den Menschen schuldig, die heute und morgen geboren werden. Wir schulden unseren Nachkommen eine atomwaffenfreie Welt. Eine Erde, die die Chance auf eine Zukunft hat. (Gerald Schöpfer, 6.8.2020)