Minister Rudolf Anschober (Grüne) verdeutlicht mit einem Taferl: Die Altersstruktur der Corona-Positiven hat sich verändert.

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Die aktuelle Altersstruktur der Personen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, deute darauf hin, dass man "möglicherweise ein Problem mit dem Risikobewusstsein der Jungen" habe, dafür einen "guten Schutz der Alten" aufweisen könne, erklärte am Mittwoch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bei der Präsentation einer Studie zu Covid-19 in Alten- und Pflegeheimen.

So gab es unter den ersten Coronavirus-Fällen zwar nur wenige ältere Personen, in der zweiten Phase, der des Lockdowns, und der dritten, jener der ersten schrittweisen Öffnungen, waren die Hauptbetroffenen jedoch der Gruppe der über 85-Jährigen zuzurechnen, resümierte Anschober. Das habe sich nun gedreht: Es gebe gegenwärtig nur eine geringe Infektionszahl unter der älteren Bevölkerung, gleichzeitig würden aber die Ansteckungen unter den 15- bis 24-Jährigen steigen.

Nur sieben Bewohner sowie 19 Mitarbeiter von Alters- und Pflegeheimen seien derzeit infiziert.

Mehr als ein drittel der Todesfälle

Bis 22. Juni wurden insgesamt 923 Infektionen in stationären Alten- und Pflegeheimen erfasst, diese Zahl entspricht rund 1,3 Prozent aller Bewohner. Bis zum selben Datum verstarben 260 Bewohner in einem Alten- und Pflegeheim an Covid-19. Das sind rund 36,8 Prozent aller bis zu diesem Zeitpunkt in Österreich verstorbenen Corona-Patienten (706). Im internationalen Vergleich liegt Österreich damit zwar weit vor Slowenien (81 Prozent aller Todesfälle in Alten- und Pflegeeinrichtungen), aber auch weit hinter Singapur (acht Prozent). Das ließe sich auf die sehr früh gesetzten und sehr restriktiven Maßnahmen zum Schutz der Alten in Singapur zurückführen, erklärte Elisabeth Rappold, die Studienautorin von der Gesundheit Österreich GmbH.

Bei Pflegern und Betreuern gab es in Österreich über 500 Ansteckungen und keinen Todesfall.

Im internationalen Vergleich liegt Österreich mit einer Mortalität je 100.000 Einwohner von 7,8 deutlich unter dem EU-Schnitt von 21,3. Mit 84,6 ist Belgien negativer Spitzenreiter, die Slowakei das Schlusslicht mit 0,5. Trotzdem sei nicht alles optimal gelaufen. Ebenfalls evaluiert wurden in der Studie die Empfehlungen der Regierung zu Schutzmaßnahmen in Alten- und Pflegeheimen.

Bekanntheit hoch

Befragt wurden dafür 304 Einrichtungen, damit seien 35.000 Plätze abgedeckt worden, sagte Rappold. Ein zentrales Problem sei in den Einrichtungen die Unsicherheit bezüglich der Schutzausrüstung gewesen. Unklarheiten und der Mangel an Schutzkleidung habe auch bei dem Personal in den Heimen starke Verunsicherung und Ängste ausgelöst.

Zwölf Prozent gaben an, zu wenige Einmalhandschuhe sowie Desinfektionsmittel zur Verfügung gehabt zu haben. Ganze 29 Prozent beklagten einen Mangel an chirurgischen Masken. Letztere seien aber gerade auch in der Kommunikation mit den Bewohnern ein Problem gewesen, gerade die Interaktion mit Menschen mit Demenz sei dadurch schwieriger geworden.

Keine Befragung von Bewohnern

Nicht erhoben wurde, wie die Pflegeheimbewohner selbst die bisherige Corona-Zeit erlebt haben. Damit stehe die Studie nicht allein da, denn diesbezügliche Erkenntnisse fehlten insgesamt, sagt der Soziologe und Gerontologe Franz Kolland. Grund seien die Kontaktbeschränkungen in den Heimen, die solche Forschungsarbeiten erschwerten.

Gesichert sei, dass ältere Menschen ihre sozialen Kontakte auf die Dauer nicht auf Telefon und Chats beschränken könnten, ohne Schaden zu nehmen, sagt Kolland. Begegnungen face to face seien unverzichtbar, das habe eine von ihm geleitete Studie des Niederösterreichischen Gesundheits- und Sozialfonds (Nögus) zu den Auswirkungen des Social Distancing auf Menschen über 60 Jahren ergeben.

Klar abzulehnen seien zudem Aufforderungen an Ältere, daheim zu bleiben, oder gar Verbote, sich draußen zu bewegen. Sich ausreichend zu bewegen sei eine Voraussetzungen für ein gesundes Altern. "Im öffentlichen Raum kann und soll man Abstand halten", sagte Kolland.

Klagen wegen Freiheitsentzugs

Zu den sich mehrenden Klagen wegen Freiheitsentzugs in Alters- und Pflegeheimen versprach Anschober Verbesserungen. In Salzburg hat die Bewohnervertretung bereits erfolgreich gegen Heimbetreiber geklagt, weil diese in die Rechte der Bewohnerinnen und Bewohner eingegriffen hätten. Denn trotz Corona-Schutzmaßnahmen könne man Senioren nicht einfach in den Heimen einsperren, kritisierte die Bewohnervertretung. In drei Fällen hat sie die Klagen in erster Instanz gewonnen.

Bei einem Treffen mit den Landessozialreferenten habe Anschober einen großen Willen erkannt, rechtliche Verankerungen zu schaffen. Allerdings sei das Spannungsfeld zwischen dem Schutz der älteren Bevölkerung und ihrer persönlichen Freiheit eine "Riesenherausforderung". Und er gestand ein, dass es sich in der Anfangsphase der Corona-Bekämpfung um ein "learning by doing" gehandelt habe. Jetzt aber habe man Zeit, um die Frage zu diskutieren: "Wie kann Pflege auch in Krisenzeiten gut funktionieren?" Und sich so auf den Herbst vorzubereiten. Dann erwartet der Minister wieder steigende Fallzahlen. (Irene Brickner, Oona Kroisleitner, Stefanie Ruep, 5.8.2020)