"Das Ziel der Übung ist, einige Felsen zu bekommen, die in unserem Besitz bleiben. Dort wird es keine indigene Bevölkerung geben, außer Möwen, die noch kein Komitee haben. (...) Unglücklicherweise gibt es außer den Vögeln einige Tarzans und Freitags, deren Herkunft unklar ist und die hoffentlich auf Mauritius erwünscht sind." So lautete im Jahr 1966 die Einschätzung des hochrangigen Diplomaten des britischen Außenministeriums Denis Greenhill in einem geheimen Memo an die UN-Delegation seines Landes.

"Die Übung" war die Schaffung des British Indian Ocean Territory (BIOT), das Ziel die Einrichtung eines gemeinsam mit den USA genutzten Miltärstützpunktes im zentralen Indischen Ozean, die "Tarzans und Freitags" die in dem Gebiet ansässige Bevölkerung.

Auf der zum Chagos-Archipel gehörenden Insel Diego Garcia wurde ab Beginn der 1970er eine der wichtigsten und gleichzeitig umstrittensten Militärbasen errichtet. Während Diego Garcia im Kalten Krieg vor allem der Kontrolle der Region gegen die Sowjets diente, ist die Basis heute Teil der Strategie Washingtons gegen Chinas Hegemonialpolitik. In den Golfkriegen und dem Afghanistankrieg starteten US-Bomber von hier, darüber hinaus wurden gefangene Al-Kaida-Mitglieder auf dem Stützpunkt gefangen gehalten und verhört.

Fragwürdiger Rechtsstatus

Das BIOT steht jedoch rechtlich auf tönernen Füßen, und die Zukunft des Stützpunktes ist alles andere als gesichert. Die Nachkommen der vormaligen Einwohner kämpfen seit Jahrzehnten um die Möglichkeit der Rückkehr. Im vergangenen Jahr erhielt dieser Kampf Auftrieb, nachdem sich im Mai die UN-Generalversammlung mit 116 zu sechs Stimmen für die Rückgabe der Chagos-Inseln an Mauritius ausgesprochen hatte. Der Internationale Gerichtshof (International Court of Justice, ICJ) in Den Haag beurteilte bereits im Februar in einem Gutachten, dass die Übernahme der Inseln widerrechtlich vonstattengegangen war. London solle die Inseln so schnell wie möglich zurückgeben. Und bei seinem Besuch auf Mauritius im September erklärte Papst Franziskus, dass den internationalen Institutionen Folge zu leisten sei.

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Diego Garcia ist das größte Atoll des Chagos-Archipels. Hier ist die wichtigste Basis der USA im Indischen Ozean.
Foto: Reuters

London sieht jedoch keine Veranlassung zur Veränderung des Status quo. Der Spruch des ICJ sei nur ein Gutachten und kein Urteil und damit nicht bindend.

Ende Juli wies ein Berufungsgericht in London eine Klage der Chagossianer zurück. Diese waren gerichtlich gegen die britische Regierung vorgegangen, die die Rückkehr auf den Archipel verhindert. Nun wollen sich die Kläger an den obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreiches und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden.

Die Chagossianer fordern auch Schadensersatz in Höhe von bis zu 100.000 US-Dollar pro Person. Basis der Ansprüche ist der US Foreign Claims Act. Demnach muss das US-Militär Schadenskommissionen einrichten, um Schadensersatzansprüche ausländischer Staatsbürger zu bearbeiten. Jonathan Levy, der Anwalt der Chagossianer, erklärte, die Schadensersatzansprüche seien in einem vernünftigen Rahmen. Zum Vergleich kostet die Basis Camp Lemonier in Dschibuti die USA 70 Millionen Dollar pro Jahr: "Die Chagossianer, die die eigentlichen Eigentümer von Diego Garcia sind, verlangen nur einen kleinen Bruchteil der Miete."

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Seit vielen Jahren kämpfen die Chagossianer für ihre Rückkehr – hier bei einer Kundgebung vor dem Parlament in London im Jahr 2008.
Foto: AP/Dunham

Dekolonialisierung

Seit dem frühen 19. Jahrhundert hatten die Briten auf Mauritius und den weit verstreuten Inselatollen die Hoheit inne. Doch die Unabhängigkeit der Kronkolonie stand unmittelbar bevor. 1968 wurde Mauritius aus der britischen Herrschaft entlassen, und 1976 folgten die benachbarten Seychellen.

Das Vereinigte Königreich wollte jedoch keinesfalls auf die Präsenz in der Region verzichten. So musste eine Konstruktion geschaffen werden, die die weitere Anwesenheit der Seemacht ermöglichte. Gemeinsam mit den zuvor zur Kronkolonie Seychellen gehörenden Atollen Aldabra, Farquhar und Desroches wurde daher der Chagos-Archipel zum BIOT erklärt. Mauritius erhielt für den Archipel drei Millionen Pfund – und die Unabhängigkeit. Während die erstgenannten Atolle den Seychellen nach der Unabhängigkeit wieder zurückgegeben wurden, blieben die Chagos-Inseln weiter im britischen Besitz. Störend war jedoch die Anwesenheit der Einwohner – in dem künftigen militärischen Sperrgebiet konnte man keine Zivilisten brauchen.

Nachfahren von Plantagenarbeitern

Die Îlois (Insulaner) genannten Bewohner der Chagos-Inseln stammen von madagassischen und mosambikanischen Plantagenarbeitern ab, die Ende des 18. Jahrhunderts von der französischen Kolonialmacht auf die ehemals unbewohnten Inseln südlich der Malediven gebracht wurden. Unter der britischen Herrschaft kamen nach der Abschaffung der Sklaverei noch Arbeiter aus Indien hinzu. Weit abgeschieden von der auf Mauritius installierten Kolonialverwaltung entwickelte sich hier eine eigene Bevölkerung mit einer gemeinsamen, auf dem Französischen basierenden Kreolsprache. Diese "Tarzans und Freitags" waren nun den britischen und US-amerikanischen Plänen im Weg.

Ende 1966 unterschrieben Großbritannien und die USA einen Vertag, der für fünfzig Jahre die gemeinsame militärische Nutzung der Chagos-Inseln regelte. Der Chagos-Agalega-Konzern, der die alleinigen Rechte für den ganzen Chagos-Archipel besaß und die Kokosplantagen betrieb, wurde zuvor von den Briten um 600.000 Pfund ausgekauft. Damit war London der einzige Grundbesitzer auf dem Archipel.

Vertreibung

In den Jahren 1967 bis 1973 wurden die Îlois nach und nach von den Inseln vertrieben. Über ihre Zahl existieren unterchiedliche Angaben, was einerseits daran liegt, dass sich auch Vertragsarbeiter von Chagos-Agalega aus Mauritius und den Seychellen auf den Inseln befanden. Andererseits tat die britische Regierung alles Erdenkliche, um die Zahl jener kleinzureden, die auf den Chagos-Inseln geboren worden waren und schon seit Generationen hier lebten. In einem Bericht des BIOT war von lediglich 354 Chagossianern in dritter Generation die Rede. Die britische Regierung ließ das Außenministerium eine Rechtsgrundlage erarbeiten, auf welcher die Inseln geräumt werden sollten.

Chagossianer bei einer Protestkundgebung in der mauritischen Hauptstadt Port Louis im vergangenen November.
Foto: AFP/ Poche

Dieses schrieb, es müsse die Fiktion aufrechterhalten werden, dass die Menschen auf den Chagos-Inseln keine permanenten Einwohner seien. die Verordnung soll nur im Amtsblatt des BIOT publiziert werden, um die Öffentlichkeit so gering wie möglich zu halten.
Nach Mauritius gereisten Chagossianern wurde ab 1968 die Rückfahrt verwehrt. Ihnen wurde erklärt, dass ihre Verträge auf den Plantagen ausgelaufen seien, und sie strandeten mittellos in Port Louis. Ihre Angehörigen, die sich auf die Suche nach den Verschwundenen machten, ereilte dasselbe Schicksal. Dann ließen die Briten die Haustiere der Îlois töten. Mehr als tausend Hunde wurden mit Abgasen aus Öfen umgebracht.

Deportation

Anfang 1971 trafen die ersten US-Soldaten ein, und im April desselben Jahres wurde schließlich den Bewohnern von Diego Garcia eröffnet, dass sie deportiert würden. Bis Oktober 1971 wurden sie zunächst nach Peros Banhos und die Salomon-Insel gebracht. Letztere wurd im November 1972 geräumt, Peros Banhos im Mai 1973. Die Îlois wurden vor zwei Optionen gestellt: Sie konnten bei der zwangsweisen Umsiedelung zwischen Mauritius und den Seychellen wählen. Insgesamt wurden zwischen tausend und zweitausend Chagossianer von den Inseln gebracht.

Im April 1971 wurde den Einwohnern von Diego Garcia eröffnet, dass sie nach Mauritius und auf die Seychellen abgesiedelt würden.
Foto: AFP

Schon bald nach ihrer Vertreibung begannen sich die Chagossianer, die nur eine geringe und späte finanzielle Abgeltung erhielten, zu organisieren und führen seither einen zermürbenden Kampf um ihre Rückkehr. Heute leben auf Mauritius bis zu 8.000 Menschen mit einer chagossianischen Abstammung, auch auf den Seychellen und in Großbritannien gibt es eine größere Zahl von Nachfahren der Îlois. Seit etwa einem Jahrzehnt haben die Chagossianer sogar eine eigene – mäßig erfolgreiche – Diaspora-Fußballnationalmannschaft.

Die USA unterstützen die britische Position und sehen Großbritannien als rechtmäßigen Besitzer der Inseln. Schließlich ist London für Washington ein zuverlässiger Partner, während gegenüber Mauritius Vorbehalte herrschen, ob die Regierung in Port Louis die fremde Militärbasis dulden würde. Dabei haben die Mauritier längst klar signalisiert, dass sie an einem Fortbestehen der Basis interessiert sind: Port Louis denkt an einen Pachtvertrag über 99 Jahre.

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Im Jahr 2006 erlaubten die britischen Behörden rund hundert Chagossianern einen Besuch auf der Chagos-Insel Peros Banhos.
Foto: REUTERS/Terry Boughton/Royal Marines

Der Inselstaat leistet sich kein eigenes Militär. Als Garant für die Sicherheit fungiert seit der Unabhängigkeit Indien, womit Mauritius bis zu einem gewissen Grad von den politischen Verhältnissen beim mächtigen nördlichen Nachbarn abhängig ist. Mit einer vertraglichen Regelung der Anwesenheit der USA wäre diese Abhängigkeit nicht mehr gegeben. Im indopazifischen Raum verfolgen Neu-Delhi und Washington ähnliche, gegen eine chinesische Expansion gerichtete Interessen. Die Inder unterstützen jedoch die mauritischen Ansprüche auf die Chagos-Inseln.

Dass bei einer Rückgabe des Gebiets an Mauritius viele Chagossianer zurückkehren würden, macht Washington Sorgen. Allerdings ist eine ortsansässige Bevölkerung schließlich auch bei anderen US-Marinebasen wie Guam kein wesentliches Problem.

Komplizierter wird das Thema auch durch die Tatsache, dass Mauritius zu den Unterzeichnerstaaten des Vertrages von Pelindaba gehört. Dieser soll ganz Afrika zu einer atomwaffenfreien Zone machen. London hat die Zusatzprotokolle des Vertrages ratifiziert, nicht ohne jedoch den Chagos-Archipel auszuklammern. Die USA haben die Protokolle unterzeichnet, aber nicht ratifiziert.

Im Jahr 2001 war Diego Garcia ein wichtiger Stützpunkt für die Angriffe auf die afghanischen Taliban.
Foto: APA/AFP

Zweifelhafte Finanzgeschäfte

Ein weiteres strittiges Themenfeld ist die Top-Level-Domain .io, die 1997 für das BIOT eingerichtet wurde. Diese TLD dient unter anderem für umfangreiche Geschäfte mit Kryptowährungen und hat sich zu einem Paradies für Geldwäsche und Betrug entwickelt. 2014 hatte der Geschäftsführer des damals für die .io-Domains zuständigen Unternehmens Internet Computer Bureau (ICB) erklärt, dass ein gewisser Anteil der Profite an die britische Regierung für die Administration des BIOT abgeführt werden muss. 2017 wurde ICB um 70 Millionen Dollar an Afilias, den zweitgrößten Domain-Name-Registrar der Welt, verkauft. London bestreitet jedoch jegliche Einnahmen aus dem Geschäft mit den .io-Domains und könne daher auch nichts an die Chagossianer abführen. Diese fordern die Herausgabe der .io-Domain.

Vertrag bis 2026

Der US-britische Nutzungsvertrag für den Chagos-Archipel läuft nach einer Verlängerung bis 2026. Spätestens wenn eine weitere Prolongation ausverhandelt werden soll, wird sich Washington mit der fragwürdigen Rechtslage auseinandersetzen müssen. (Michael Vosatka, 19.8.2020)