Kevin Kühnert zeigt seit Jahren, dass man auch mit jungen Jahren in einer der ältesten Parteien Deutschlands etwas werden kann.

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Eine Zeitlang hat es so ausgesehen, als sei Kevin Kühnert eine Art Zweiter-Platz-Abonnent. Als die SPD 2018 mit sich rang, ob sie trotz eines gegenteiligen Versprechens in die dritte große Koalition mit der Angela-Merkel-Union gehen sollte: Da war Kühnert der Einzige, der die deutschen Sozialdemokraten in ein begeisterungsschwindliges "Nein!" reden konnte. Er war gerade frisch zum Chef der Parteijugend gewählt worden – und brachial dagegen, der anscheinend unabwählbaren Kanzlerin ein weiteres Mal als Juniorpartner zu dienen.

Etwas später dann – die SPD regierte doch wieder mit – starrte die Republik nicht auf Kühnert, wenn es um die jungen Aufsteiger in der Politik ging, sondern auf den schwerstkonservativen CDU-Spross Philipp Amthor, der sich erst mit Direktmandat in den Bundestag katapultierte und dann in den Status des Nachwuchsstars. Die SPD hatte sich da noch weiter in die Nähe jenes Zustands bugsiert, vor dem Kühnert sie gewarnt hatte: "Parteien können auch einfach verschwinden."

Zug zum Tor

Es gab Genossinnen und Genossen, die schon damals, Anfang 2018, fanden, Kühnert habe das Zeug zum Vorsitzenden. Ende 2019 wurde er Vize. Aber anders, als es aussieht, war das ein großer Erfolg. Mit gerade einmal dreißigeinhalb in der ältesten deutschen Partei – selbst wenn die in der existenziellsten ihrer vielen Existenzkrisen steckt – fast ganz vorn zu stehen: Scheitern geht anders.

Obendrein hatte Kühnert in den Monaten zuvor gezeigt, wie gut er das politische Geschäft beherrscht. In der zeitlich wie personell umfangreichsten Chef-Suche der SPD-Geschichte bugsierte er ein Duo aus dem wenig bekannten Ex-NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und der vollkommen unbekannten Bundestagsabgeordneten Saskia Esken an die Spitze – und schaltete den amtierenden Vizekanzler Olaf Scholz aus.

"Nicht ohne Kollektivierung"

Man darf das so sehen, weil die Jusos für "Eskabo" heftig Kampagne gemacht hatten. Dass die beiden seitdem kaum auffallen – und wenn, dann mit mittelkleinen Aufregern – wird Kühnert weder von der Partei noch vom Publikum angerechnet.

Letzteres vergrößerte sich im Mai 2019 sehr. Da sprach Kühnert in einem Interview mit der Zeit darüber, wie er sich einen "demokratischen Sozialismus" vorstelle, der im SPD-Programm steht als "die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist". Kühnert befand auf insistierendes Nachfragen, dass bei Konzernen wie BMW oder Siemens "die Verteilung der Profite demokratisch kontrolliert werden" müsse. Was "ohne Kollektivierung" so wenig denkbar sei wie "die Überwindung des Kapitalismus". Die Bild-Zeitung verstand und schlagzeilte "Enteignung". Seitdem gilt Kühnert als der linkeste der SPD-Linken – und als geborener Widerpart des von ihm später als Vorsitzender verhinderten Olaf Scholz. Das ist zwar kein Vollzeitjob. Aber – in den Augen der Jusos und der eher links orientierten Parteibasis – eine Aufgabe.

Statt Bashing plötzlich Lob

Schnitt. Es ist August 2020. In 13 Monaten wählt Deutschland den nächsten Bundestag und mithin, wenn auch nur indirekt, den nächsten Kanzler. Die Union sucht ebenso händeringend wie ergebnislos ihren Kandidaten für die Merkel-Nachfolge, die SPD tut, als müsse sie sich mit diesem Thema nicht beschäftigen. Keine dumme Strategie: Sie liegt in den Umfragen betoniert bei 15 Prozent, die Union stabil bei knapp unter 40. Und doch: Die SPD hat – wenn auch inoffiziell – den ersten Kanzlerkandidaten. Er heißt Olaf Scholz. Proudly presented by Kevin Kühnert.

Seit Corona-Krise ist, liegt Scholz in den Macht-seinen-Job-gut-Befragungen gleich hinter Merkel. Und weit vor allen offiziellen Unions-Bewerbern; allenfalls der (Noch-) Nicht-Kandidat Markus Söder (CSU) kann mithalten. Und Kühnert wäre nicht Kühnert, wüsste er nicht, was jetzt zu tun ist. Kaum hat Scholz sein "Wumms"-Konjunkturpaket vorgestellt, beginnt der Tonlage-Wechsel. Statt Bashing plötzlich Lob: "Er macht seinen Job in diesen Tagen einfach verdammt gut." Und Scholz sagt nun über Kühnert: "Das ist ein engagierter Politiker, der richtig viel kann und doch viele junge Leute mit sich zusammen dazu gebracht hat, erfolgreich für soziale Politik in Deutschland zu arbeiten."

Sorge um den "Laden" SPD

Schon das zeigt, wie gut Scholz Kühnert brauchen kann. Redet der, ist das Publikum hin. Redet Scholz, fängt es vor lauter sachlicher Trockenheit zu husten an. Und Kühnert hat ein Gespür für den Punkt, an dem Entscheidungen fällig sind. Statt weiter Juso-Chef zu sein, will er in den Bundestag. Per Direktmandat in seinem Berliner Heimatwahlkreis. "Man sollte wissen, wann es genug ist", twittert er diese Woche. Worum es ihm geht, hat er der SPD schon im No-GroKo-Krach 2017 erklärt: Regieren – aber aus dem Kanzleramt. Vorerst aber würde ihm schon reichen, "dass hier noch was übrig bleibt von diesem Laden, verdammt noch mal!". (Cornelie Barthelme aus Berlin, 6.8.2020)