Lichtman kandidierte nur einmal selbst: 2006 war er erfolglos im Rennen für den Senat der Vereinigten Staaten.

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Allan Lichtman ist einer der berühmtesten Geschichtswissenschafter in den USA, wobei es weniger sein Beitrag zur Erforschung der Geschichte sein dürfte, die ihm große Bekanntheit brachte, mehr sein Blick in die Zukunft. Der 73-Jährige prognostiziert seit dem Jahr 1984 den Ausgang von Präsidentschaftswahlen. Und fast immer lag er dabei richtig. Bislang setzte er in seiner Vorhersage nur einmal auf den falschen Kandidaten – zumindest teilweise: 2000 unterlag der Demokrat Al Gore seinem republikanischen Kontrahenten mit einer bis heute umstrittenen Differenz von 537 Stimmen in Florida. Bush gewann die Mehrheit der Wahlleute, Gore jene der tatsächlich abgegebenen Stimmen.

Als einer von wenigen Politexperten sagte der Harvard-Absolvent 2016 den Sieg Donald Trumps voraus. Nun schlug der Augur, der seit fast fünf Jahrzehnten an der renommierten American University in Washington, D.C., unterrichtet, wieder zu. Via Video in der New York Times gab er seine Prognose für den Urnengang im November ab: Der Demokrat Joe Biden, der momentan vor dem republikanischen Amtsinhaber die Umfragen anführt, werde diesen schlagen.

Angelehnt an Erdbebenvorhersage

Seine Einschätzung basiert auf dreizehn Faktoren: Wirtschaftszahlen, Konkurrenz, soziale Unruhen sind einige dieser "Schlüssel zum Weißen Haus", wie auch eines seiner zwölf Bücher heißt. Die Methodik entwickelte der in New York City geborene Lichtman 1981 nach einer Begegnung mit dem russischen Seismologen Wladimir Keilis-Borok in Kalifornien. Dieser schlug vor, die Verfahrensweise bei der Erdbebenvorhersage auf amerikanische Präsidentschaftswahlen anzuwenden: Anhand dieser arbeiteten sie Indikatoren heraus, die sie seit dem Sieg Abraham Lincolns 1860 als entscheidend ausmachten.

Auf Lichtmans Expertise im Bereich der Bürgerrechte griffen das US-Justizministerium sowie zahlreiche NGOs in über 70 juristischen Auseinandersetzungen zurück. Den demokratischen Politikern Al Gore und Edward "Ted" Kennedy stand er ebenfalls als Berater zur Seite. 2006 kandidierte er selbst erfolglos bei den demokratischen Vorwahlen für den Bundesstaat Maryland für den Senat der Vereinigten Staaten.

Lichtman ist mit Karyn Strickler, Gründerin der Lobbygruppe Vote Climate US PAC, verheiratet. Die beiden haben zwei Kinder, neben der Begeisterung für Politik eint sie auch jene für Ausdauersportarten. (Anna Giulia Fink, 6.8.2020)