Es war ein Abend voller Wehmut. Der SV Mattersburg hat am Mittwochabend seine Mitglieder zu einer Generalversammlung gerufen ins Café unter der Längstribüne des altehrwürdigen Pappelstadions. Von den 240 Gerufenen kam nicht einmal die Hälfte. Ein karger Rest, die Treuesten der Treuen. Zwei junge Polizisten waren abkommandiert. In Zeiten wie diesen weiß man ja nicht, unlängst haben sie einer Bankfilialleiterin in einem Nachbardorf die Fenster eingeworfen. Aber die beiden durften dann eh unverrichteter Dinge abziehen, Wehmütige werden nicht handgemein. Nur rührselig.

Der Beschluss der Generalversammlung war rasch gefasst: Der SVM – der Fußballverein, der zwei Jahrzehnte lang eine ganze Region inspirierte, bis weit hinüber ins Niederösterreichische – ist Geschichte. Hans-Georg Deischler, dem Klubchef Martin Pucher und sein erst im Februar installierter Vize Richard Woschitz den Besen in die Hand gedrückt haben, auf dass er zusammenkehre die Scherben, wird einen Konkursantrag stellen.

Das Pappelstadion, Zentrum des burgenländischen Fußballs, hat zugesperrt. Die Funktionäre wollen mit der Jugend weitertun und denken an eine Neugründung.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Die Investorensuche war vergebens. Zu ungewiss, was der Masseverwalter der Bank dem Verein noch in Rechnung stellen könnte. Von bis zu 50 Millionen Euro war schon die Rede. Die Bundesliga machte Druck. "Der größte Gegner war die kurze Zeit." Und die Aussicht, als Funktionär möglicherweise auch juristisch in die Pflicht genommen zu werden, wegen Konkursverschleppung.

Ein Teil der wenigen, sozusagen das Schüttere vom schütteren Rest, versammelte sich an der Budel – wo sich zu anderen Zeiten Spieler, Trainer, Funktionäre, Fans und Gloryhunter zu einer Feiermasse zu sammeln gepflegt hatten – und tat, was zu solchen Gelegenheiten getan wird: Man ließ Revue passieren.

Es war, möglicherweise geschönt durch die Wehmut, eine prächtige Revue. Der SV Mattersburg hat sich in mehr als 30 Jahren zum Vorzeigeverein nicht nur des Burgenlandes gemausert. Noch als kleiner Raiffeisen-Filialchef hat Pucher 1988 den Verein in der zweiten Landesliga übernommen. Von da an ging’s bergauf.

Bergauf

1994 stiegen die Mattersburger in die Regionalliga auf, 2000 in die zweite Bundesliga, 2003 in den elitären Kreis der obersten Zehnerliga, wo sie sich – mit einem zweijährigen Intermezzo von 2013 bis 2015 – gehalten haben. So lange wie kein anderer burgenländischer Verein.

Begleitet war dieser Aufstieg von einer in ganz Österreich bestaunten Feststimmung. Die Fußballhungrigen bis weit in die Wiener Neustädter und Neunkirchener Gegend fanden hier endlich wieder Futter. In der zweiten Liga lag der Zuschauerschnitt bei knappen 10.000 pro Spiel, 2003/04 bei sagenhaften 11.000. Dass das SVM-Café unter der schon 2001 errichteten Haupttribüne die Anmutung einer Bahnhofshalle hat, war notwendig gewesen. Bis in den Morgen hinein war hier, gleich neben dem stadtbildprägenden Viadukt, ballesterisches Halligalli. Und Klubchef Pucher wurde nicht müde zu betonen, wie sehr der SVM von und mit seinen Zuschauern lebe.

Christian Fuchs – der erfolgreichste SVMler.

Bis ans Ende der Nullerjahre war das wohl auch so. Rund um den heimgekehrten Sohn der Stadt, dem jetzigen Rapid-Trainer Dietmar Kühbauer, wuchs eine sehenswerte Mannschaft. Neben Routiniers wie ihn, Krzystof Ratajczyk, Sergej Mandreko, Anton Köszegi und vielen anderen wuchsen auch die Talente. Christian Fuchs – 2016 mit Leicester englischer Meister – erlernte hier den Männerkick und bildete mit Cem Atan eine Zeitlang Österreichs bestes Flügelpaar.

2007 wurde der SVM Meisterschaftsdritter, 2006 und 2007 kam man ins Cupfinale, unterlag dort beide Male der Austria, kam aber auf diesem Weg immerhin zweimal in den Europacup. 2007 gar in die zweite Qualifikationsrunde.

Auch das war klarerweise Thema beim sentimentalen Herrenabend an der Budel, an dem auch Ingrid Salamon teilgenommen hat, die Bürgermeisterin, die mehr verloren hat als nur den Werbeträger und Umsatzbringer SVM. Das Stadion – ein Superädifikat auf Gemeindepachtgrund – steht nun leer und weitgehend wertlos in der Bankmasse, ein neues Stadtzentrum auf Bankgrund wird jahrelang eine Brache bleiben.

Auch das SVM-Café schließt. Es war zwar nicht schön, aber zweckmäßig. Gegen Ende hin vielleicht etwas sehr überdimensioniert, die Zuseher wurden weniger.

Bergab

Es ging auf Mitternacht zu. Niemand wollte gehen. Man blickte zurück, aber da und dort auch schon wieder nach vorn. Eine Neugründung wird ins Auge gefasst. Mit dem Nachwuchs soll weitergemacht werden. Vielleicht kann man nach einem Jahr wieder beginnen. In der zweiten Klasse, der Schutzliga.

Zwei junge Burschen schauten dann noch vorbei. In voller Fan-Montur und mit gebrochenen Herzen. Seit sie denken können, war Mattersburg wegen des Dorfklubs eine Fußballballhauptstadt. Vorm Vereinshaus haben die zwei Grablichter aufgestellt.

Selbst die zwei Kellnerinnen, die oft auf die Sperrstunde gedrängt haben, wollten noch nicht gehen. Es war ihr letzter Arbeitstag. (Wolfgang Weisgram, 7.8.2020)