In einem Land wie dem Libanon, in dem Servicefragen wie die Müllbeseitigung auf Gemeindeebene als politisches Problem betrachtet und gelöst werden müssen, ist eine Explosionskatastrophe wie jene am Dienstag, auch wenn sie ein Unfall war, ein einziges großes Politikum. Das virtuelle Streichholz, mit dem das erste Feuer entzündet wurde, das auf das Ammoniumnitratlager übergriff, haben jene Politikercliquen geführt, die schon zuvor, in der höchsten Not des Libanon, nicht bereit waren, ihre Partikularinteressen endlich einmal dem gemeinsamen Wohl unterzuordnen.

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Der zerstörte Hafen von Beirut.
Foto: AP/Hassan Ammar

Die Parteien waren in den vergangenen Wochen nicht einmal imstande, sich zusammenzusetzen, um das Land vor der Gefahr des totalen finanziellen Kollapses zu retten. Wen interessiert da schon, dass todgefährliches Material im Hafen von Beirut lagert? Diese Politiker können ja auch damit leben, dass immer mehr Libanesinnen und Libanesen nicht wissen, was sie ihren Kindern zu essen geben sollen. Dafür schieben sie einander die Schuld zu – und das werden sie beim neuen Desaster, das Beirut befallen hat, nicht anders halten.

Solidarität

Dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wurde bei seinem Besuch am Donnerstag eindrücklich vorgeführt, wie groß die Wut und das Misstrauen der Menschen ihrer eigenen Politikerklasse gegenüber sind. Ob der Vertreter der ehemaligen Kolonialmacht, die sich lange vor allem als Schutzmacht der maronitischen Christen sah, der Richtige ist, um gruppen- und konfessionsübergreifende Solidarität zu erzeugen, sei dahingestellt. Aber man mag Macrons Philippika vor Libanons Spitzenpolitikern zugutehalten, dass er sie im Namen einer weiteren internationalen Gemeinschaft hielt: Es ist unerträglich, wie ihr – alle – dieses Land vor die Hunde gehen lässt und immer nur eure eigene Klientel bedient.

Allerdings ist diese Kritik leichter geübt als schnelle Konsequenzen daraus gezogen. Gerade jetzt, inmitten dieser Katastrophe, ist es nicht so leicht, Hilfe an Bedingungen zu knüpfen. Sanktionen gegen Politiker und Gruppen – wobei gegen die Hisbollah ja bereits von einigen Staaten vorgegangen wird – brauchen lange, bis sie denen wehtun, die sie treffen sollen.

Vor allem aber gibt es das spezifisch libanesische Problem, dass die Innenpolitik stets auch eine außenpolitische Seite hat. Wenn die externen Player – Iran und Saudi-Arabien – versuchen, die Krise für ihre Stellvertreter zu nützen, wird sich im Libanon nicht nur nichts ändern. Im schlimmsten Fall könnte ein Abgleiten in einen neuen Bürgerkrieg die Folge sein. (Gudrun Harrer, 7.8.2020)