Die MA 62 muss herausfinden, wo Heinz-Christian Strache am Stichtag, dem 14. Juli seinen Lebensmittelpunkt hatte. Das ist nicht nur für Strache relevant – die Antwort wird auch wahlentscheidend sein.

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Ende voriger Woche gibt der ehemalige Vizekanzler in der Lerchenfelder Straße 4, am Sitz der Magistratsabteilung 62, seine Stellungnahme ab. Der Behörde für Wahlen und Rechtsangelegenheiten kommt im anlaufenden Wien-Wahlkampf eine ungewollte Schlüsselrolle als Ermittler zu.

Sie muss herausfinden, wo Heinz-Christian Strache am Stichtag, dem 14. Juli 2020, seinen Lebensmittelpunkt hatte. Das ist nicht nur für Strache relevant – die Antwort wird auch wahlentscheidend sein.

Wiener Original?

Heinz-Christian Strache behauptet: Natürlich ist er Wiener – privat, beruflich, politisch, hauptgemeldet im dritten Bezirk. Das könne er belegen. Seine Kritiker argumentieren: Strache wohnt seit Jahren im niederösterreichischen Klosterneuburg. Dort ließ er sich mit seiner Frau Philippa für Homestorys in Hochglanzblättern ablichten – und erhielt für die Villa von der Wiener FPÖ einst einen saftigen monatlichen Mietzuschuss.

An seiner gemeldeten Hauptadresse in Wien lebte hingegen seine Mutter – bis sie im März in ein Pflegeheim übersiedelte. Strache beteuert, er habe ihre Wohnung übernommen.

Team Strache optimistisch

Mit einer Entscheidung der MA 62 rechnet das Team HC Strache, wie die Liste des früheren FPÖ-Chefs heißt, nun Mitte kommender Woche. Christian Höbart, Generalsekretär der Truppe, ist optimistisch: "Wir gehen von einem positiven Entscheid aus."

Sollte Strache tatsächlich antreten dürfen, will die FPÖ die Wien-Wahl auf jeden Fall anfechten – das gab Freiheitlichen-Chef Norbert Hofer bereits bekannt. Im Team Strache deutet man hingegen juristischen Protest im Falle eines Ausschlusses an, wenn auch vorsichtiger: "Sollte Heinz-Christian von der Wahl ausgeschlossen werden, liegt es nahe, dass wir Rechtsmittel einlegen", sagt Höbart zum STANDARD. Konkret entschieden werde das aber erst, wenn die Behörde ihr Verfahren beendet habe.

Auch Wahlwiederholung droht

Der Politologe Peter Filzmaier hält eine Anfechtung schon deshalb für "sehr gut möglich", weil die Voraussetzungen gegeben sein werden, egal wie die Causa ausgeht: "Einen argumentierbaren Anfechtungsgrund gibt es in jedem Fall – entweder für die FPÖ, Wandel und Co oder für das Team Strache."

Der Verfassungsjurist Heinz Mayer gibt dem Politikexperten recht: "Jede wahlwerbende Partei kann die Wahl wegen einer Rechtswidrigkeit im Wahlverfahren beim Verfassungsgerichtshof anfechten."

Im aktuellen Fall könne also entweder ein politischer Gegner anmelden, dass mit Strache ein eigentlich nichtwählbarer Kandidat zugelassen wurde – oder eben das Team HC Strache monieren, dass mit Strache ein wählbarer Kandidat nicht antreten durfte, erläutert Mayer.

Entscheidende Wohnsitzfrage

So steht nun plötzlich die MA 62 im Fokus. Entscheidend sei, wie sauber die Behörde ermittle, sagt der Verfassungsjurist. "Wenn die Wohnsitzfrage bis ins letzte Detail geprüft wurde, wird der Verfassungsgerichtshof der Wahlanfechtung nicht stattgeben."

Geht die Anfechtung durch, rechnet Mayer aber sogar mit einer Wahlwiederholung: "Ein Antritt wie auch ein Nichtantritt Straches hat Auswirkungen auf das Gesamtergebnis der Wien-Wahl. Sie müsste somit komplett neu ausgetragen werden."

FPÖ wäre großer Verlierer

Politisch betrachtet liegt es auf der Hand, dass die FPÖ mit allen Mitteln gegen ihren langjährigen Obmann vorgeht: Die Freiheitlichen wären die großen Verlierer seines Antretens. In aktuellen Umfragen kommen FPÖ und Team Strache gemeinsam auf 13 bis 15 Prozent. Und beide fischen im selben Wählerteich.

Darf Strache nicht antreten, kann der blaue Spitzenkandidat Dominik Nepp auf ein paar Prozentpunkte mehr hoffen. Kann Strache kandidieren, droht den Freiheitlichen in Wien hingegen die Einstelligkeit. Bei der Wahl 2015 lag die FPÖ – damals mit Spitzenkandidat Strache – bei über 30 Prozent in der Hauptstadt. Dem Team Strache werden in aktuellen Umfragen rund fünf Prozent vorausgesagt.

Profitiert die SPÖ?

Immer wieder wird vermutet, dass auch die Wiener Sozialdemokraten ein besonderes Interesse daran haben, dass Strache kandidiert – oder auch, dass er eben nicht kandidiert. Dabei gibt es unterschiedliche Erzählarten.

Der Politologe Filzmaier ist eher skeptisch: "Für die SPÖ sind die Auswirkungen überschaubar. Ihr erklärter Gegner sind der Bund und eine zumindest rechnerisch denkbare türkis-grün-pinke Dreierkoalition mit ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel."

Chaos hilft Ludwig

Während die SPÖ bei den vergangenen Wien-Wahlen erfolgreich die Sorge streuen konnte, Strache könnte als Bürgermeister die Hauptstadt übernehmen, gibt er als rechter Gottseibeiuns inzwischen aber nicht mehr viel her. Dafür sei er im Vergleich zur SPÖ einfach zu schwach, sagt Filzmaier.

Die Sozialdemokraten könnten diesmal bestenfalls von einem Antritt Straches profitieren, wenn dieser für einen besonders schmutzigen und unübersichtlichen Wahlkampf sorgen würde. Es ist eine wahlkampfpolitische Binsenweisheit, dass der Amtsinhaber – also in diesem Fall der rote Bürgermeister Michael Ludwig – von Chaos profitiert. Er kann sich dann als stabiler Kandidat profilieren, bei dem man weiß, was man bekommt.

Unangenehm für Blümel

Für den ÖVP-Kandidaten Gernot Blümel, derzeit Finanzminister, könnte Strache unangenehm werden, da er die Wiener an Türkis-Blau erinnert. Eine Zeit, die Blümel seit der Ibiza-Affäre wohl eher vergessen machen möchte. Und natürlich würde Strache auch ein paar enttäuschte FPÖ-Wähler abfangen, die sich sonst vielleicht der Volkspartei zuwenden würden. Um große Wählerströme geht es hier aber nicht.

Am wenigsten betroffen von einer Kandidatur Straches wären Grüne und Neos. "Um ihn zu dämonisieren, ist er zu klein", sagt Filzmaier. Prinzipiell würden die kleinen Parteien aber profitieren, wenn keine weitere Partei bei der Mandatsvergabe mitnascht. Durch das neue Wiener Wahlrecht hätten Grüne und Neos mit demselben Ergebnis wie 2015 heute ein bis zwei Mandate mehr – außer die Liste Strache müsste ebenfalls bedacht werden.

Straches Rolle als Hinterbänkler

Sollte Strache die Fünfprozenthürde nehmen und in den Gemeinderat einziehen, sind seine Möglichkeiten, die Hauptstadt mitzugestalten, begrenzt, prognostiziert Filzmaier: "Als Koalitionspartner kommt er für niemanden infrage, und seine Rolle als Hinterbänkler im Gemeinderat wird überschaubar sein."

Antreten kann die Liste Strache übrigens auch ohne Strache als Spitzenkandidat. Wie erfolgreich das Unterfangen dann wäre, ist freilich fraglich. "Unser Wahlkampf ist voll und ganz auf die Person H.-C. Strache zugeschnitten", sagt Höbart. Einer der geplanten Wahlkampfslogans lautet: Strache, das Wiener Original. (Katharina Mittelstaedt, 8.8.2020)