Die Generalstaatsanwältin des Bundesstaats New York, Letitia James.

Foto: EPA/JUSTIN LANE

NRA-Geschäftsführer Wayne LaPierre.

Foto: SAUL LOEB / AFP

Die Zeit sei gekommen, um zum Generalangriff überzugehen. "Dies ist der Moment, um die Kräfte, die es auf unsere Freiheit abgesehen haben, ein für alle Mal zu besiegen", blies Wayne LaPierre zur Offensive, kaum dass Donald Trump zum Präsidenten gewählt worden war. Seine Organisation, die National Rifle Association (NRA), hatte den Immobilienunternehmer nach Kräften unterstützt. An die dreißig Millionen Dollar hatte sie ausgegeben, um in sozialen Medien, im Fernsehen, im Radio für den Kandidaten zu werben, der im Unterschied zu seiner Rivalin Hillary Clinton keinerlei Einschränkungen privaten Waffenbesitzes zulassen wollte. Nun wähnte sich LaPierre, seit Anfang der Neunziger an den Schalthebeln der NRA, im Zenit seiner Macht. "Das ist unsere historische Chance", frohlockte er. Jetzt werde man es endgültig entscheiden, das Ringen mit den Anhängern schärferer Schusswaffenparagrafen.

Knapp vier Jahre danach findet sich der wortgewaltige Stratege in einem Clinch mit der Justiz wieder, der Kritiker des Waffenwahns hoffen lässt, dass der Flintenlobby zumindest die Flügel gestutzt werden. Die Generalstaatsanwältin des Bundesstaats New York fordert die Auflösung der NRA, weil deren Spitzenfunktionäre viele Millionen Dollar in die eigenen Taschen umgeleitet hätten. LaPierre setzt der Klage von Letitia James die für ihn so typische, robuste Rhetorik entgegen. Da werde eine Attacke gegen die aufrechteste Verteidigerin amerikanischer Freiheitsrechte geritten, kontert er, um voller Angriffslust hinzuzufügen: "Wir sind bereit für den Kampf, es kann losgehen.

Luxusleben

Dass es die New Yorker Justiz ist, die gegen die fünf Millionen Mitglieder zählende, vor allem im ländlichen Raum verwurzelte Organisation klagt, hat mit deren Geschichte zu tun. 1871 wurde die Rifle Association von Veteranen des amerikanischen Bürgerkriegs in Manhattan gegründet, anfangs noch weitgehend unpolitisch, darauf bedacht, Privatleute im korrekten Umgang mit Gewehren und Pistolen zu schulen. Aus den Anfängen ergibt sich, dass sie bis heute an die Gesetze New Yorks gebunden ist. Dass sie nicht auf die leichte Schulter nehmen kann, was die Chefklägerin des Staates gegen sie vorzubringen hat.

Folgt man Letitia James, gönnte LaPierre sich und seiner Familie ein Luxusleben, während er nach außen den Eindruck erweckte, als riebe er sich unermüdlich auf, um jenen zweiten Verfassungsartikel zu verteidigen, der den Waffenbesitz garantiert. Allein für Flüge in Privatjets und Fahrten in Limousinen zahlte er für sich und seine Nächsten innerhalb von zwei Jahren 3,6 Millionen Dollar, finanziert aus dem Budget der NRA. Einer Nichte spendierte er acht Übernachtungen in einem Four-Seasons-Hotel, wobei er die zwölftausend Dollar selbstverständlich über ein Spesenkonto abrechnete. Von einem Geschäftspartner, der lukrative Aufträge im Auge hatte, ließ er sich eine Safari in Afrika spendieren. Ein anderer lieh ihm für Ausflüge auf die Bahamas regelmäßig seine Yacht, ein Prachtstück namens Illusions, zu deren Besatzung ein Koch gehörte.

Politisches Schwergewicht

Nach dem Amoklauf eines Schützen an einer Schule in Parkland, Florida, konfrontiert mit Schülern, die sich so eloquent wie einfallsreich für härtere Waffenbestimmungen einsetzten, soll der Geschäftsführer LaPierre seinen Aufsichtsrat gebeten haben, ihm ein fürstliches Anwesen in Texas, am Rande von Dallas, zu kaufen. Die sechs Millionen Dollar, soll er argumentiert haben, müsse man sich leisten können, da er sich um seine persönliche Sicherheit sorge und ein Domizil benötige, das gut bewacht werden könne. Drei der engsten Mitarbeiter LaPierres sollen sich ebenfalls massiv bereichert haben, etwa der Assistent des Chefs, dessen Jahresgehalt innerhalb von drei Jahren von 250.000 auf 800.000 Dollar stieg.

Dass der Rechtsstreit das Ende der NRA einläuten könnte, glauben allerdings nicht einmal deren härteste Gegner. Dazu scheinen die Lobbyisten der Gruppe noch immer zu mächtig, zu gut vernetzt im Politikbetrieb Washingtons. Gezielt fördern sie Abgeordnete und Senatoren, die sich jeglichen Restriktionen widersetzen – und die sie dann mit der Bestnote A belohnen. In hart umkämpften Wahlkreisen, in denen es zwischen beiden großen Parteien oft auf der Kippe steht, wagen es auch Demokraten nur selten, sich mit der NRA anzulegen.

Das Bemerkenswerte an LaPierre wiederum ist, dass er dem Klischee des hemdsärmeligen Waffenliebhabers so gar nicht entspricht. "Würde Wayne mit mir auf die Pirsch gehen, ich würde Fersengeld geben", kalauerte John Aquilino, einst der Pressesprecher der Rifle Association. Der Mann gilt als Schreibtischmensch, eher der Typ Akademiker, rhetorisch ein Ideologe. In Boston studierte er Politikwissenschaften, bevor er 1978 bei der NRA anfing. Es war ein Jahr nach einem Führungswechsel, der aus dem neutralen Fachverband von Jägern und Sportschützen eine vernehmbare Stimme der Rechten machte – politisiert erst in dem Moment, in dem das konservative Amerika nach Antworten auf die sozialen Umbrüche der Sechziger suchte. LaPierre symbolisierte den Schwenk und verstärkte ihn. Strengere Waffenvorschriften versteht er als Angriff auf die individuelle Freiheit, "auf das Wesen unseres Landes", wie er betont. (Frank Herrmann aus Washington, 7.8.2020)