"Situations- abhängiges Arbeiten war auch vor Corona schon unser täglich Brot." Dominik Löffler

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Für Aisa (neun) ist die Sache sonnenklar: "Ich wünsche mir, dass Corona nicht mehr ist." Weil dann "endlich wieder alle zusammen sind" in der Klasse. Einen Teil ihrer Freundinnen hat sie nämlich sehr vermisst, als der Unterricht Mitte Mai im Schichtbetrieb wieder an Fahrt aufgenommen hat.

Auch Semsa Palić reicht es mit der Pandemie. Vier Kinder hat sie, eines davon Aisa, aber nur einen Computer. Und der war während des Lockdowns kaputt, es war "ein Horror". Also hat Frau Palić für den Herbst nur einen Wunsch: dass wieder normal unterrichtet wird. Eine Lernsituation wie im Frühjahr will sie zusätzlich zu ihrer Teilzeitarbeit als Reinigungskraft nicht mehr erleben.

Ganz normal

Normal also. Normalerweise ist der Schulherbst für die meisten Menschen Anfang August noch eine gefühlte Ewigkeit weit weg. Aber normal ist nicht mehr, auch nicht im beschaulichen Österreich mit seinen neun Wochen Sommerferien. Die Urlaube sind in vielen Familien aufgebraucht. Die nervlichen Kräfte ebenso.

Kein Wunder also, dass Eltern, Kinder und Lehrkräfte sich sorgen, wie es ab September weitergehen wird – da kann der Bildungsminister noch so oft ausrücken und versichern, man wolle "einen völlig normalen Schulstart" hinlegen. Es reicht ein Blick nach Deutschland: In Mecklenburg-Vorpommern sind die Ferien seit Montag vorüber. Am Freitag mussten zwei Schulen des nordöstlichen Bundeslandes wieder schließen – eine Lehrkraft und ein Schüler hatten sich infiziert.

Wie wird es in Österreich losgehen? Schicht- oder Vollbetrieb? Komplettes Unterrichtsprogramm oder reduzierte Stundentafel? Von frühmorgens bis nachmittags oder wieder in der zeitlich limitierten Schmalspurvariante?

In Wien ist Susanne Neuner in der Warteposition. Soll sie die Schultische, die derzeit wegen der Grundreinigung der Klassenzimmer auf dem Gang lagern, wieder so aufstellen, dass alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam daran Platz nehmen können? Oder soll sie, wie im Frühjahr bereits eingeübt, exakt auf die Abstände achten und im Fall eines Schichtbetriebs nur jedes zweite Pult besetzen?

Vorsichtig optimistisch

Dass Minister Heinz Faßmann den gestaffelten Schulbesuch, wie nach dem Lockdown praktiziert, de facto ausschließt, weiß die Direktorin der privaten Vienna Business School Floridsdorf, zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Doch Frau Neuner ist Optimistin. Also geht sie davon aus, wieder alle Lehrkräfte zur Verfügung zu haben und den Unterricht – hoffentlich inklusive Turnen – wieder aufnehmen zu können.

Vorsichtshalber hat sie vor den Ferien noch allen Jugendlichen den Rat mitgegeben, rechtzeitig vor Schulbeginn wieder im Land zu sein – sicher ist sicher. Vom Ministerium wünscht sie sich, dass sie wesentliche Informationen früher erhält. Am besten samt der notwendigen Freiheit, die jede individuelle Situation benötigt.

Darauf hofft auch Markus Pusnik. Weil aber Hoffen allein womöglich nicht reicht, hat sich der Schulleiter einer Inklusiven Offenen Volksschule in Wien samt Klassen für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf einen Plan A und einen Plan B für einen möglichen Schichtbetrieb zurechtgelegt. Für einen möglichst reibungslosen Umstieg, sollte Distance-Learning wieder notwendig sein. Was der Herbst dann wirklich bringe?

Normal ist nicht mehr, auch nicht im beschaulichen Österreich mit seinen neun Wochen Sommerferien.
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Dominik Löffler setzt auf Pragmatismus und Spontanität. "Situationsabhängiges Arbeiten war auch vor Corona schon unser täglich Brot", sagt der Leiter eines Kinderfreunde-Kindergartens im vierten Wiener Gemeindebezirk.

Übertragen auf die zu erwartende Husten- und Schnupfenzeit, die mitten in einer Pandemie auch nichts leichter macht, bedeutet das: Die Pädagoginnen und Pädagogen reden zunächst mit den Eltern und schicken die Familie im Zweifelsfall zum Arzt. Aber: "Wir werden sicher nicht bei einem einmaligen Niesen sofort die Eltern anrufen und alles absperren", sagt Herr Löffler.

Flexibel und belastbar

Wie die Bildungseinrichtungen durch die Grippezeit kommen, sorgt Eltern wie Pädagoginnen, Schulärztinnen wie Ministerium. Wie normales Halsweh von Corona zu unterscheiden ist? Wie infektiös Kinder wirklich sind? Der Wissensstand darüber ändert sich beinahe wöchentlich. Jedenfalls haben sie weniger häufig Symptome und es verdichtet sich das Bild, dass sie sich auch weniger häufig anstecken.

Für Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen wie Herrn Löffler mag das beruhigend sein, sind sie doch durchgehend an vorderster Front gestanden. Einen Shutdown hat es hier nie gegeben – auch wenn das mit dem Abstandhalten im Arbeitsalltag mit den Null- bis Sechsjährigen eigentlich nicht funktioniert.

Wie eine Eingewöhnungsphase für neue Krippen- und Kindergartenkinder in Corona-Zeiten aussehen kann? Es werde wohl ein "organisatorischer Aufwand" sein, dafür zu sorgen, "dass nicht zu viele Erwachsene gleichzeitig im Raum sind", ahnt Herr Löffler. Allerdings, es fehle die Alternative: "Es kann ja nicht sein, dass Eltern ihr Kind einfach abgeben und wieder gehen."

In Oberösterreich ist man gerade erst dabei, die überhastete Schließung von Bildungseinrichtungen in mehreren Bezirken zu verdauen, die wenige Tage vor dem offiziellen Ferienbeginn über 100.000 Kinder zum Zuhausebleiben verpflichtet haben. Sonja Ablinger, einst Nationalratsabgeordnete der SPÖ, immer noch Englisch- und Geschichtelehrerin an einer Neuen Mittelschule in Linz, erinnert sich an einen "bedrückenden Abschied", gerade von jenen Jugendlichen, die im September nicht mehr an der Schule sind.

Besser kommuniziert

Zwei Anliegen hat sie für den Schulstart, mindestens zwei. Das erste betrifft die Kommunikation mit den Schulen – bei der Planung wie im Ernstfall: "Dass wir oft erst aus den Medien erfahren haben was los ist, war schon sehr irritierend. Ich wünsche mir, dass das jetzt anders ist!" Klassenvorständin Ablinger kennt die unangenehme Lage, wenn man als Lehrkraft den Eltern erst last minute Informationen geben kann – um diese im schlimmsten Fall im Nachhinein wieder abzuändern, wie etwa bei den Vorgaben für Musik und Turnen geschehen. Zur Erinnerung: die Fächer wurden vom Ministerium zunächst abgesagt (Aerosole! Oberflächenverunreinigung!), dann mit Einschränkungen doch erhalten.

Außerdem freut sich Ablinger "schon sehr auf einen normalen Unterricht" – heißt Teamarbeit, Projekte, singen und so weiter. Denn Schule zwischen Lockdown und großer Sommerpause sei "schon sehr reduziert gewesen auf Frontal- und Einzelunterricht".

Was mit dem geplanten Wien-Tag im Herbst passiert? Hier will die Pädagogin erst einmal so zu tun, als wäre alles "normal". Der Ausflug soll also stattfinden. Und wenn Corona wieder dazwischen funkt, hofft Ablinger auf eine Ausweitung des ministeriellen Storno-Fonds, der das eigentlich nicht mehr abdeckt.

Gut geplant

Auch Aisa, das Mädchen vom Beginn des Artikels, will die Schullandwoche, die wegen Corona ins Wasser gefallen ist, gerne nachholen. Ihre Mutter glaubt nicht so ganz daran. Frau Palić hat vielmehr den Plan gefasst, diesmal beim Klassenvorstand einen zusätzlichen Computer zu beantragen. Dass ihre vier Kinder wieder alle Aufgaben am Handy erledigen, sei unmöglich, sagt sie und schaut sorgenvoll.

Angela (zehn) hat der tageweise gestaffelte Unterricht hingegen auf eine grandiose Idee gebracht: "Ein Tag Schule, vier Tage frei" – das wäre ganz nach ihrem Geschmack. Auch dass sie den Unterrichtsbeginn zum Leidwesen ihrer Mutter Tanja Jovanović mitunter auf elf Uhr vormittags verschoben hat, erscheint ihr verfolgenswert.

Die Mama macht sich in der Zwischenzeit Gedanken darüber, wie sie die Betreuung von Angela und dem fünfjährigen Sohn organisieren wird, falls der Unterricht wieder nach Hause verlagert werden muss. Im August startet sie nämlich eine Ausbildung zur Krankenpflegerin. Also werden die Freundinnen eingeplant, vielleicht kann auch der Mann einmal aushelfen.

Während also bei den Kindern die Freude überwiegt, bleibt bei Eltern wie Pädagoginnen und Pädagogen eine ordentliche Portion Skepsis, wie Schule in Corona-Zeiten funktionieren kann. Aber der Bildungsminister hat ohnehin nur von einem normalen Schulstart gesprochen. Was danach kommt ... (Karin Riss, 9.8.2020)